Vom Knacki zum Vorzeige-Fußballer
Daniel Keita-Ruel schien sich den Weg zum Profi mit 22 Jahren bereits verbaut zu haben.
SANDHAUSEN Als er am 8. Oktober 2011 auf einer Kreuzung in Wuppertal-Barmen von Beamten eines Sondereinsatzkommandos aus dem Auto gezogen wird, ist sein Leben im Grunde vorbei. Er ist damals 22 Jahre alt, Fußballprofi beim Wuppertaler SV. Nun liegt Daniel Keita-Ruel auf dem Asphalt und ihm ist klar, dass nichts mehr so sein wird wie vorher. Alle seine Träume liegen im Dreck. Er war eines dieser hoffnungsvollen Talente. Mönchengladbachs Sportdirektor Max Eberl hat damals gesagt: „Von Hals bis Fuß ist er Bundesliga, aber der Kopf ist Kreisliga.“Mit 19 galt er als großer Hoffnungsträger in Gladbach. Aus Hoffnung wurde Ernüchterung.
Mit sieben Komplizen begeht er drei Raubüberfälle; zwei Kioske mit Postfilialen, ein Baumarkt. Die Beute: rund 100.000 Euro. Keita-Ruel, 1,88 Meter groß und bullig, muss dafür teuer bezahlen. Er war nicht nur Mitläufer, aber auch nicht Anführer. Geboren in Wuppertal, seine Mutter stammt von der französischen Mittelmeerinsel Korsika, sein Vater aus dem Senegal. Vor Gericht kaufte man ihm seine Reue nicht ab, auch weil er lange weiter in dem Glauben lebte, als Fußballer sei für ihn die Überholspur im Leben immer reserviert. Vier Jahre muss er in der Justizvollzugsanstalt in Düsseldorf absitzen.
Wie konnte es dazu kommen? Es geht natürlich zunächst um individuelle Schuld. Er hat ein Verbrechen begangen. In Wuppertal spielte er ohne Ausbildung, mit einem überschaubaren Gehalt. Er hatte viel Freizeit und zu viele falsche Freunde. Es ist müßig darüber zu spekulieren, ob seine Taten hätten verhindert werden können.
Er ist heute 31. Keita-Ruel sitzt an diesem Morgen auf der Geschäftsstelle des SV Sandhausen. Zwei Tage vor dem Heimspiel gegen Fortuna Düsseldorf. Er ist gefragt worden, ob er bereit sei, noch einmal über seine Geschichte zu reden. Keita-Ruel stimmt dem Gespräch zu. Er weiß, was bei solchen Interviews auf ihn zukommt. Sein Leben im Jetzt spielt in einem Vorort von Heidelberg.
Sandhausen hat etwa 15.000 Einwohner. Fällt ihm da nicht manchmal die Decke auf den Kopf? Er muss lachen. „Sie unterschätzen da die Region. Ich weiß echt zu schätzen, dass ich hier arbeiten darf. Ich habe es mir ja so ausgesucht und bin nicht gezwungen worden.“Dann macht er eine kurze Pause zwischen Verlegenheit und Nachdenklichkeit.
Es gibt da den Profi-Fußballer Keita-Ruel. Und es gibt sein Leben davor. Wenn er selbst von dieser Geschichte hören würde, würde er sie glauben? Wieder dieses verlegene Lächeln, nicht überheblich, nicht arrogant, nach all den Jahren immer noch ein wenig verschüchtert. Beschämt. Schuldig. „Gute Frage, sehr gute Frage“, sagt er schließlich. „Offenbar interessiert die Geschichte aber die Menschen. Ich habe, glaube ich, schon mehr als 150 Interviews zu meinem Buch gegeben, es ist ein Bestseller geworden, also es hat sich schon gelohnt. Ich konnte einfach Leute erreichen und ihnen etwas mitgeben. Ich bekomme wöchentlich Post von zum Beispiel kranken Kindern, die mir sagen, dass sie aus meiner Geschichte Kraft schöpfen, dass es sie inspiriert, zu lesen, was ich noch aus meinem Leben gemacht habe. Dieses Gefühl ist unfassbar erfüllend.“
Als er aus dem Gefängnis gekommen ist, war er zum ersten Mal bereit, etwas Neues anzufangen. „Mir war damals überhaupt nicht klar, was alles dazugehört, um in diesem Geschäft eine Chance zu haben. Es geht nicht darum, so und so oft pünktlich zum Training zu fahren. Es geht um dein Verhalten insgesamt, deine Einstellung zu allem. Ich war damals einfach noch nicht bereit und musste durch eine harte Schule“, erzählt er.
Noch im offenen Vollzug startete er bei Oberligist Ratingen einen neuen Anlauf. Es gab erneut einen Rückschlag, weil er Bewährungsauflagen zu frei interpretierte. 2016 wechselte er schließlich in die Regionalliga nach Wattenscheid, dann weiter zu Fortuna Köln in die Dritte Liga. Dann ein Meilenstein. Die Spielvereinigung Greuther Fürth holte ihn in die Zweite Liga.
Keita-Ruel hat diese Chance genutzt. Im vergangenen Sommer ist der Angreifer von Fürth ablösefrei nach Sandhausen gewechselt. Die „Bild“titelte: „Sandhausen holt Knast-Stürmer“. Er regt sich nicht darüber auf. „Dieses Image habe ich ehrlich gesagt aus meiner Sicht schon lange nicht mehr. Ich habe meine Strafe bekommen, ich bin voll resozialisiert. Man kann es sich immer einfach machen, aber dagegen komme ich sowieso nicht an“, sagt er. „Was ich beeinflussen kann, ist meine Art, wie ich mich auf dem Platz gebe. Wenn ich mit meiner Geschichte Jugendliche erreichen kann und davon abhalte, selbst einmal so eine Dummheit zu machen, habe ich schon viel erreicht. Mehr, als ich als Fußballer vermutlich jemals könnte.“
Er hat über sein Leben ein Buch geschrieben: „Zweite Chance – Mein Weg aus dem Gefängnis in den Profifußball“. Wie oft muss er für seine Kollegen in der Kabine ein Exemplar signieren? „Das kommt schon öfter vor. Oder für die Lehrer der Kinder. Oder öfter fragt auch die Polizei an, ob sie für Projekte meine Unterstützung haben kann. Mich nervt das überhaupt nicht, ich bin stolz, dass ich auf diese Weise etwas zurückgeben kann.“
Ob er für den SV Sandhausen am Samstag (13 Uhr) wieder im Kader steht? Unsicher. In den vergangenen Monaten ist der SVS immer tiefer in den Tabellenkeller gerutscht und Keita-Ruel immer mehr aus der Mannschaft. Während es für Fortuna Düsseldorf um die letzte Chance im Aufstiegskampf geht, braucht Sandhausen unbedingt drei Punkte, um nicht in die Dritte Liga abzustürzen.