Betont bürgerlich in Baden-Württemberg
Die Koalitionsfrage im Südwesten hat Signalcharakter weit über Stuttgart hinaus. Auch deshalb tat sich Wahlsieger Winfried Kretschmann so schwer damit, ob er Richtung Grün-Schwarz oder Richtung Ampel blinken sollte. Am Ende fiel die Entscheidung, das Bünd
Die Koalitionsentscheidung in Stuttgart lenkt den Blick auf ein ehernes Gesetz der deutschen Politik: dass sich die Bundespartei nicht in die Entscheidungsfreiheit der Landesverbände einmischt. Das ist die Theorie. In der Praxis sind die Landesvorstände auch mit einflussreichen Bundespolitikern besetzt. Und so stiegen die Erwartungen, mit einem grün-gelbroten Bündnis in Stuttgart die Chancen für eine Bundesregierung ohne die CDU zu erhöhen. Doch Ministerpräsident Winfried Kretschmann saß am Ende am längeren Hebel – und so fiel die Entscheidung für eine Neuauflage von Grün-Schwarz.
Ein Blick in die wichtigen Entscheidungsgremien zeigt: Agnieszka Brugger entscheidet im Stuttgarter Grünen-Landesvorstand mit – und ist Vizevorsitzende der Grünen-Bundestagsfraktion. Thorsten Frei ist bei der CDU Parteivize in Stuttgart und zugleich Fraktionsvize in Berlin. Bei der SPD bestimmt im Landesvorstand Rita Schwarzelühr-Sutter mit – sie ist zugleich Umwelt-Staatssekretärin der Bundesregierung. Und bei der FDP ist Michael Theurer zugleich Landesvorsitzender und Fraktionsvize im Bundestag.
Die große Wahlkampflokomotive war jedoch Kretschmann. Er hat Zuspruch weit über das Grünen-Spektrum hinaus gewinnen können. Deshalb konnte er den größten Anspruch geltend machen, die Richtung seiner dritten Regierung zu bestimmen. Er will als betont bürgerlicher Politiker das betont bürgerliche Bündnis mit der CDU fortsetzen. Mit dem CDU-Landesvorsitzenden Thomas Strobl hat er ein verlässliches Vertrauensverhältnis aufgebaut. Und er konnte auf Umfragen verweisen, wonach die meisten Wähler ihre Stimme mit der Erwartung einer grün-schwarzen Koalition verbanden.
Kretschmann hatte offenbar wenig Neigung, mit Andreas Stoch von der SPD und Hans-Ulrich Rülke von der FDP eine Regierung zu bilden, die beide dazu genutzt hätten, sich nach Kräften zu profilieren. Während die CDU in den Sondierungsgesprächen bereits eine ganze Reihe von Stoppschildern bei Lieblings-Ökoprojekten der Grünen weggeräumt hatte, steht die FDP unter dem Zwang, vor der Bundestagswahl im September deutlich zu machen, in Sachen Umweltpolitik bessere Lösungen als die Grünen durchsetzen zu können. Mehr Kollision als Konsens hätte die Ampel bedeutet.
Aber diese Sicht teilten große Teile der Grünen in Stuttgart nicht. Die Enttäuschung wuchs vor allem bei der Grünen Jugend, aber auch bei SPD und FDP zu Empörung. Sie sehen die große Chance verspielt, die CDU als Machtfaktor aus dem Spiel zu nehmen. Das hätte der erstmaligen grünen Kanzlerkandidatur deutlich mehr Gewicht verliehen. Seht her, wir lösen die CDU als bürgerliche Kraft ab und bringen mit SPD und FDP Reformwillen ins Kanzleramt, hätte bei dieser Variante die Stuttgarter Perspektive für Berlin bedeutet. Das Ländle sollte hierfür ein Muster liefern. Auch die FDP hätte bei ihrem Parteitag in Mai
Rülke sicherlich als Helden gefeiert. Im Bundestagswahljahr die Zahl der FDP-regierten Länder erhöht zu haben, wäre Rückenwind für die Regierungs-Ambitionen von Parteichef Christian Lindner gewesen. Zugleich aber sah dieser die dahinter lauernden Gefahren: Die Grünen hätten durch die Stuttgarter Ampel die Furcht vieler bürgerlicher Wähler vor einem Linksbündnis mindern können.
Denn die Erwartung ist klar: Wenn es am Ende zu einem Linksbündnis reicht, wird dieses kommen. Nicht zufällig stimmten auch die Linken in den Chor der von Kretschmann Enttäuschten ein.