Vor 40 Jahren auf der Ratinger Straße
Wie war das damals im Ratinger Hof? Welche Musik lief im Creamcheese? Studierende gestalten einen interaktiven Spaziergang.
DÜSSELDORF Die „Bergfeste“in der Uel oder beim Ohme Jupp sind legendär, die wilden Nächte im Ratinger Hof ebenso Kult wie die „Eat Art“im Spörri. Zwei Jahrzehnte lang war das Karree zwischen Ratinger, Neubrück- und Mühlenstraße bis zum Burgplatz der Szene-Hotspot. Dort tummelten sich in den 1960erund 70er-Jahren Künstler, Musiker, Punks und Freigeister. Sie feierten, tanzten und diskutierten bis in die frühen Morgenstunden und strickten so fleißig mit am Mythos Ratinger Straße. Dem gehen nun 25 Studierende des Fachbereichs Medienkulturwissenschaft der Heinrich-Heine-Uni (HHU) mit dem Projekt „#KultOrtDus“nach – und zwar im Wortsinne. Gemeinsam entwickelten sie einen interaktiven Insta-Walk, der tief eintaucht in die Geschichte(n) rund um die Ratinger Straße.
Für die digitale Plattform Instagram haben die jungen Forscher einen Kulturspaziergang zusammengestellt. „In Zeiten von Lockdown und Mindestabstand kann jeder für sich mit dem Smartphone oder Tablet die Strecke ablaufen und trotzdem Kultur live vor Ort erleben“, so fasst die Kulturwissenschaftlerin Elfi Vomberg die Idee hinter dem Projekt zusammen, an dem die Studierenden unter der Leitung von Dirk Matejovski seit dem Wintersemester 2020/21 arbeiten.
Unter dem Hashtag #KultOrtDus posten sie Fotos, Kurztexte, Videos, Musik und Podcasts mit einem Blick hinter die Kulissen, zu bislang neun Stationen des Insta-Walks. Der startet am Malkasten und führt die Jägerhofstraße entlang am Ratinger Tor vorbei auf die Ratinger Straße, mit den immer noch existierenden Kneipen Zur Uel, Ohme Jupp und Zum goldenen Einhorn. Zu jedem Stopp haben die Studierenden Wissenswertes und Skurriles zusammengetragen. Etwa, dass die wechselvolle Geschichte des Ratinger Hofs mit den „Kulturbanausen“, die dort zukünftig Veranstaltungen planen, ein neues Kapitel bekommt.
„Kaum zu glauben, dass hier einmal das legendäre Creamcheese gewesen ist“, sagt Vomberg. Sie steht in der Neubrückstraße und schaut auf die sanierte Fassade des Hauses mit der Nummer 12. Dort erinnert nichts mehr an die 1976 geschlossene Kunstkneipe. Jedenfalls solange nicht, bis ein Blick auf ihr Tablet die Vergangenheit wieder lebendig werden lässt. „Wir haben im Archiv des Kunstpalastes den Grundriss des Hauses gefunden, und wenn man auf den Instagram-Post zum Creamcheese klickt, kann man die Musik von damals hören“.
Begeistert tippt Lena Becker mit dem Finger auf das Display. Sie begleitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin die kreative Umsetzung des Projekts. Das versteht sich nicht nur als Retrospektive; es soll auch ein Brückenschlag zwischen damals und heute sein. „Jede Generation hat ihre Kultorte. Für die jungen Leute ist es der 2004 eröffnete Salon des Amateurs“, ist Vomberg überzeugt und ergänzt: „Deshalb gehört er genauso zum Insta-Walk wie der Ratinger Hof.“
Erneut tippt Becker auf den Bildschirm des Tablets und spielt ein Interview
mit DJ Joel Bethmann ab, der im Salon regelmäßig bis zum Lockdown aufgelegt hat. Die letzte Station des Kulturspaziergangs führt an den Burgplatz. Dort befand sich im Haus mit der Nummer 19 das Restaurant Spoerri. Als Hommage an die dort zwischen 1968 und 1981 zelebrierte „Eat Art“stellten die Studierenden die Gerichte von damals für Instagram nach.
Den Insta-Walk „Mythos Ratinger Straße“zu entwickeln und umzusetzen, war Ziel des Wintersemesters 2020/21. Doch damit soll es nicht vorbei sein. „Im Gegenteil“, betont Vomberg. „Es soll weitergehen, und dafür brauchen wir die Unterstützung der Düsseldorfer.“Über die Protagonisten der ersten Reihe, das Who is Who der Kunst- und Kulturszene, werde immer berichtet, wenn es um den Mythos Ratinger Straße gehe, ist die Kulturwissenschaftlerin überzeugt. Sie hofft daher auf viele Geschichten, Erinnerungen und Anekdoten jener Menschen, die damals dabei waren und diese Erfahrungen mit anderen teilen möchten. „Wir glauben, auf Dachböden, in Kellern oder in Kartons und Schubladen schlummern bestimmt noch Fotos – und wir würden uns freuen, wenn durch sie das Projekt weiterwachsen könnte“, appelliert Vomberg.
Die Bürgeruniversität der HHU hat es sich zum Ziel gesetzt, Wissenschaft aus ihrem Elfenbeinturm zu holen und für alle zu öffnen, die sich für Forschung interessieren. Deshalb fördert sie das Projekt „#KultOrtDus“, das von reger Beteiligung lebt, bis zum Herbst 2022. Entweder direkt durch Fotos, Texte und Videos, die als Post auf Instagram hochgeladen werden, oder durch Erinnerungen, Bilder und Aufzeichnungen, die von den Studierenden aufbereitet werden können. „Vielleicht hat ja noch jemand die Theke vom Creamcheese irgendwo im Keller stehen“, sagt Elfi Vomberg mit einem Augenzwinkern.
Wenn es die Corona-Situation wieder zulässt, soll es begleitende Bürger-Workshops, eine Ausstellung und eine Publikation geben.