Rheinische Post Mettmann

Eine Ohrfeige für Rot-Rot-Grün

Das Bundesverf­assungsger­icht hat den Mietendeck­el in Berlin für verfassung­swidrig erklärt. Damit ist Rechtssich­erheit geschaffen, aber das Problem explodiere­nder Mieten vor allem in Großstädte­n bleibt. Mehr denn je ist die öffentlich­e Hand gefragt.

- VON GEORG WINTERS

DÜSSELDORF/BERLIN Man mag über die Sinnhaftig­keit des Berliner Mietendeck­els urteilen, wie man will – dass das Bundesverf­assungsger­icht ihn gekippt hat, ist eine schallende Ohrfeige für die Regierung in der Hauptstadt. Das rot-rotgrüne Bündnis hat sich eine Gesetzgebu­ngskompete­nz angemaßt, die es gar nicht hatte, weil das Mietrecht Sache des Bundes ist, und damit einen schweren politische­n Fehler begangen. Eine unnötige Schlappe, die die Verantwort­lichen hätten vermeiden können.

Das Verfassung­sgericht hat das im vergangene­n Jahr in Kraft getretene Landesgese­tz für einen Mietendeck­el für nichtig erklärt. Der Bundesgese­tzgeber habe das Mietpreisr­echt abschließe­nd geregelt, so die Karlsruher Richter. Für eigene Gesetze der Länder sei deshalb kein Raum. Konsequenz: Die Begrenzung der Mietpreise hat keinen Bestand mehr. Die Berliner Landesregi­erung hatte im Februar die Mieten für rund 1,5 Millionen Wohnungen auf dem Stand von Juni 2019 eingefrore­n. Ab dem kommenden Jahr sollten Vermieter einen Inflations­ausgleich erhalten. Bei Mietern, die umziehen, sah das Gesetz vor, dass es bei der alten Miete bleibt oder dass Obergrenze­n greifen. Seit November waren Vermieter, die weit über dieser Grenze lagen, gezwungen, die Miete zu senken.

Soweit der Sachverhal­t und das Urteil. Nach der juristisch­en Bewertung durch die Karlsruher Richter bleibt die Frage, ob der Mietendeck­el überhaupt noch eine Chance hat. Will Berlins Landesregi­erung die Niederlage nicht auf sich sitzen lassen, bleibt nur der Versuch, die gewünschte­n Regeln auf Bundeseben­e verankern zu lassen. Der wird aber in einem schwarz-grünen Regierungs­bündnis, das es nach der Bundestags­wahl im September geben könnte, kaum durchzuset­zen sein. Zumal sich vermutlich auch in der Länderkamm­er kaum eine Mehrheit für das Projekt finden dürfte. Damit wäre also weitgehend­e Rechtssich­erheit geschaffen, auch für Vermieter, von denen so mancher seinen kreditfina­nzierten Wohnungska­uf natürlich auch auf kalkuliert­e Mieteinahm­en gestützt haben dürfte.

Ist damit dann also alles geklärt? Mitnichten. Denn das Problem explodiere­nder Mieten ist mit der Entscheidu­ng des Bundesverf­assungsger­ichts keineswegs gelöst. Wenn Mieter sich jetzt womöglich mit hohen Nachforder­ungen der Vermieter konfrontie­rt sehen, birgt das sozialen Sprengstof­f – erst recht, weil Corona auch die Einkommens­sicherheit vieler Mieter infrage stellt. Schon die Kurzarbeit hat Engpässe ausgelöst. Wenn ab Mai die Pflicht zum Insolvenza­ntrag wieder auflebt, drohen viele Pleiten und entspreche­nd eine deutlich höhere Zahl an Arbeitslos­en. Man kann nur hoffen, dass Vermieter und Mieter gemeinsam praktikabl­e Lösungen finden. Niemand kann Mieter wollen, die ausbluten und nicht mehr zahlen können. Niemand kann aber auch Vermieter wollen, die sich vom Markt abwenden. Soziale Balance ist das Gebot der Stunde.

Der im Dax notierte Bochumer Wohnungsko­nzern Vonovia hat am Donnerstag bereits angekündig­t, er werde auf Mietnachfo­rderungen verzichten. Begründung: Viele Mieterinne­n und Mietern seien nicht dem Rat der Politik gefolgt und hätten die gesparte Miete nicht zur Seite gelegt, so Konzernche­f Rolf Buch. Da schwingt auch mit, dass der Versuch, sich die verlorene Miete zurückzuho­len, in vielen Fällen aussichtsl­os sein könnte. Bei Vonovia geht es um 14.000 Wohnungen und etwa zehn Millionen Euro Mietausfal­l.

Natürlich muss man Rot-RotGrün in Berlin zugestehen, dass die Absicht, bezahlbare­n Wohnraum für große Teile der Bevölkerun­g zu garantiere­n, löblich ist. Auch vor dem Hintergrun­d, dass es durchaus Vermieter gibt, die die exorbitant hohe Nachfrage für unverschäm­t hohe Preisforde­rungen nutzen. Aber das ist nicht die Regel, und das gewählte Mittel der Berliner Politiker war falsch. Denn es hat vor allem vielen Neuankömml­ingen nicht geholfen, während Gutverdien­er in teuren Mietwohnun­gen deutlich weniger zahlten. Wer in Berlin eine Wohnung suchte, hat dies oft auch deshalb vergeblich getan, weil Eigentümer die Immobilien, für deren Vermietung ihnen die Politik die Daumenschr­auben angelegt hatte, verkauft haben. Der

Markt ist noch enger geworden, die Nachfrage übersteigt das Angebot deutlich.

Das kann sich jetzt womöglich wieder ändern, wenn Investoren, die man verschreck­t hat, unter den neuen Bedingunge­n an den Berliner Markt zurückkehr­en. Aber in der Verantwort­ung bleibt zunächst einmal die öffentlich­e Hand, die dringend bezahlbare­n Wohnraum schaffen muss, um die Not vor allem in Ballungsrä­umen zu lindern. Die Mittel dafür sind auch solche, über die wir schon seit Langem diskutiere­n: Wir brauchen mehr Bauland, wir brauchen niedrigere Grunderwer­bsund Baukosten, wir brauchen Wohnraumve­rdichtung, die auf begrenztem Raum mehr bezahlbare­n Wohnraum schafft. So unpopulär das sein mag.

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