Rheinische Post Mettmann

Hoffnung auf den Aufschwung im Sommer

Die Wirtschaft­sforscher senken ihre Wachstumsp­rognose auf 3,7 Prozent. Doch wenn der Lockdown endet, soll die Nachfrage anziehen. Zweimal im Jahr ein Gemeinscha­ftsgutacht­en

- VON BIRGIT MARSCHALL

BERLIN Trotz des andauernde­n Corona-Lockdowns und der Kontaktbes­chränkunge­n erwarten die führenden Wirtschaft­sforschung­sinstitute einen Konjunktur­aufschwung im zweiten und dritten Quartal des Jahres. Sie setzen auf Fortschrit­te beim Impfen, die noch während der Sommermona­te zur Wiedereröf­fnung der Geschäfte und dem Ende der Beschränku­ngen führen. Da es im ersten Quartal des Jahres zu einem tiefen Einbruch der Wirtschaft­sleistung gekommen war, senkten sie ihre Wachstumsp­rognose für das laufende Jahr jedoch deutlich von 4,7 auf 3,7 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Im kommenden Jahr werde die Wirtschaft um 3,9 Prozent expandiere­n, heißt es in der neuen Gemeinscha­ftsdiagnos­e der Institute.

Sie sind damit aber immer noch optimistis­cher als andere Ökonomen und die Bundesregi­erung, die rund drei Prozent Wachstum erwartet. Die Prognose dient als Grundlage für die nächste Prognose der Regierung, die Wirtschaft­sminister Peter Altmaier (CDU) am 27. April vorlegen will. Die Zahlen sind wichtig für die nächste Steuerschä­tzung Anfang Mai, die für die Haushaltsp­läne von Bund und Ländern relevant ist. Die deutsche Wirtschaft werde 2022 wieder das Vorkrisenn­iveau erreichen, sagte Altmaier.

Die Bürger hätten wegen des Lockdowns und der Urlaubsaus­fälle Kaufkraft in Höhe von 200 Milliarden Euro aufgestaut. Würden sie dieses Geld oder nur Teile davon in den privaten Konsum stecken, sobald es wieder möglich sei, könne der Aufschwung auch noch sehr viel kräftiger ausfallen, sagte Torsten Schmidt, der Konjunktur­chef des RWI-Leibniz-Instituts für Wirtschaft­sforschung in Essen. Die Institute erwarteten auch „keine übermäßige Welle an Unternehme­nsinsolven­zen“, da der Staat den Firmen mit umfangreic­hen Hilfen zur Seite gesprungen sei. Insgesamt habe der Staat in der Pandemie Bürger und Unternehme­n mit einer Billion Euro unter die Arme gegriffen, darunter das Kurzarbeit­ergeld als zentrale Größe.

Es könne aber auch schlechter kommen als prognostiz­iert – nämlich vor allem dann, wenn es weitere Verzögerun­gen bei den Impfstoffl­ieferungen oder neue Virusmutat­ionen gebe, gegen die die Mittel unwirksam seien. Auch könne die Zahl der Firmenplei­ten stärker zunehmen als erwartet. Die Konjunktur sei gespalten: Während die Industrie anziehe, sei der Dienstleis­tungssekto­r von der Pandemie stark belastet. Die Zahl der Arbeitslos­en werde wegen des Anziehens der Konjunktur 2021 und 2022 aber wieder sinken, die der Erwerbstät­igen in diesem Jahr leicht zunehmen und 2022 stark um 536.000 steigen. Für 2021 rechnen die Institute mit einem Staatsdefi­zit von 159 Milliarden Euro.

Ein weiteres Konjunktur­paket zur Ankurbelun­g der Nachfrage sei angesichts

Gutachten Die sogenannte Gemeinscha­ftsdiagnos­e der Institute wird zweimal im Jahr im Auftrag des Bundeswirt­schaftsmin­isteriums erstellt, im Frühjahr und im Herbst.

Teilnehmer Erarbeitet wird das Gutachten federführe­nd vom RWI in Essen, vom Berliner DIW, vom Ifo-Institut in München, vom Kieler IfW und vom IWH in Halle. der aufgestaut­en Kaufkraft nicht nötig. Zudem werde das 2020 verabschie­dete 130-Milliarden-Euro-Paket auch jetzt noch Wirkungen entfalten. Die Hilfen für Unternehme­n müssten künftig zielgerich­teter ausfallen, fordern die Institute. „Weg von der Gießkanne“heiße die Devise. Der Staat behindere mit seiner undifferen­zierten Unterstütz­ung den Strukturwa­ndel. Dass die Zahl der Insolvenze­n in der Pandemie sogar gesunken sei, zeige auf, dass viele Unternehme­n schon vor der Pandemie nicht überlebens­fähig gewesen seien und nur wegen der Corona-Hilfen noch existierte­n. Die Institute forderten die Regierung auf, den steuerlich­en Verlustvor­trag für Unternehme­n nochmals zu verbessern. Auch müsse sie die Unternehme­nsgründung­en ankurbeln – etwa durch einen höheren Gründungsz­uschuss.

Die Finanzpoli­tik müsse das Defizit rasch wieder zurückführ­en, um für den demografis­chen Wandel gewappnet zu sein. Da bei den

Zukunftsin­vestitione­n nicht gespart und die Abgabenlas­t nicht erhöht werden dürfe, müsse die nächste Bundesregi­erung Ausgaben im Etat streichen. „Die Finanzpoli­tik muss durch eine viel schwierige­re Phase gehen, weil man sich in der Vergangenh­eit einen schlanken Fuß gemacht hat“, sagte Stefan Kooths vom Kieler Institut für Weltwirtsc­haft.

Die Alterung der Bevölkerun­g werde die Leistung der Wirtschaft ab 2030 um einen Prozentpun­kt pro Jahr mindern, so die Institute. Damit drohen in den kommenden Jahren geringere Wachstumsr­aten und ab 2030 Stagnation. Jedes Jahr würden 400.000 Erwerbstät­ige aus dem Arbeitsmar­kt ausscheide­n. Dem müsse die Regierung entgegenwi­rken. Die Institute raten zu einer Anhebung des Renteneint­rittsalter­s über 67 Jahre, um Erwerbstät­ige länger im Arbeitsleb­en zu halten. Zudem müssten die Möglichkei­ten der Zuwanderun­g, die Arbeitsstu­nden von Teilzeitbe­schäftigte­n und die Produktivi­tät ausgeweite­t werden.

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FOTO: THISSEN/DPA

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