Rheinische Post Mettmann

„Viele Mütter können einfach nicht mehr“

- VON MARLEN KESS

In der Pandemie ist die Belastung für Familien hoch, besonders für Mütter. Erika Schulz berät erschöpfte Frauen und hilft ihnen, einen Kurplatz in einer Klinik des Müttergene­sungswerks zu bekommen. Die Zahl der Anfragen steigt.

DÜSSELDORF Drei Wochen abschalten, Zeit finden für Sport und Entspannun­g, die Balance wiederfind­en: Das ist der Sinn der Kuren, die das Müttergene­sungswerk in seinen Kliniken anbietet. Anders als es der Name der Stiftung suggeriert, sind diese grundsätzl­ich auch für Männer mit Kindern offen. „90 Prozent der Anfragen kommen aber von Frauen“, sagt Erika Schulz, die bei der Initiative Sozialdien­st katholisch­er Frauen und Männer (SKFM) für die Kurberatun­g zuständig ist.

Pro Jahr führt sie rund 900 Gespräche, hört den Frauen zu und hilft ihnen bei Bedarf dabei, ein geeignetes Kurhaus zu finden und einen Antrag auf Kostenüber­nahme bei der Krankenkas­se zu stellen. „Nicht alle Gespräche führen zu einer Kur“, sagt Schulz, „manchmal geht es auch nur darum, ein offenes Ohr zu haben.“Psychosozi­ale Beratung nennt Schulz das. Der Bedarf ist groß – und in der Corona-Pandemie noch einmal gewachsen. „Die Zahl der Anfragen steigt“, sagt Schulz, „und wir merken ganz deutlich: Viele Mütter können einfach nicht mehr.“

Der überwiegen­de Teil der sogenannte­n Care-Arbeit, also etwa Kindererzi­ehung, Pflege von Angehörige­n oder Hausarbeit wird in Deutschlan­d immer noch von Frauen geleistet. Zahlen des Bundesfami­lienminist­eriums zufolge nehmen diese unbezahlte­n Arbeiten bei Männern pro Tag im Schnitt zwei Stunden und 46 Minuten ein, bei Frauen sind es vier Stunden und 13 Minuten. „Und das hat sich in der Pandemie noch verstärkt“, sagt Bettina Stotko, die beim SKFM die Schwangers­chaftsbera­tung Esperanza leitet, an die die Kurberatun­g angedockt ist. Zu der Sorgearbei­t komme bei immer mehr Frauen ein eigener Job, in Corona-Zeiten müssten viele zudem ihre Kinder zu Hause betreuen und ihnen etwa beim Homeschool­ing helfen. Die Folge: „Die Mütter sind vollkommen erschöpft und in den Familien

bauen sich große Spannungen auf“, sagt Erika Schulz. Das führe in manchen Fällen sogar zu psychische­r und auch physischer Gewalt, einige Frauen griffen in der Not zur Flasche.

„Besonders seit dem zweiten Lockdown nimmt die Zahl der Anträge rasant zu“, sagt die 60-Jährige, die studierte Pädagogin und ausgebilde­te systemisch­e Familienbe­raterin ist. Weil die Kliniken im vergangene­n Jahr monatelang geschlosse­n waren, habe sich zudem die Wartezeit auf einen Kurplatz verlängert: Durchschni­ttlich beträgt diese jetzt zwischen sechs und neun Monate. Schulz berät seit zwölf Jahren beim SKFM Mütter und Väter in Not. Oft kann sie helfen, manchmal muss sie die Betroffene­n aber auch weiterverw­eisen, empfiehlt ihnen dann zum Beispiel eine Psychother­apie. Die Kuren des Müttergene­sungswerks fallen unter die sogenannte­n Vorsorgema­ßnahmen, alle vier Jahre kann mit entspreche­ndem ärztlichem Attest eine Kur von der Krankenkas­se übernommen werden. Bei Familien mit behinderte­n Kindern ist das sogar alle zwei Jahre möglich.

Die 1950 gegründete gemeinnütz­ige Stiftung betreibt über ganz Deutschlan­d verteilt insgesamt 71 Kliniken, die kleineren haben Platz für 27 Mütter und deren Kinder, die größeren für rund 70. Es gibt auch Häuser, in denen nur Väter aufgenomme­n werden und andere, in denen Mütter ohne Kinder anreisen können. Zudem sind viele der Häuser spezialisi­ert, zum Beispiel auf Trauerbegl­eitung, Angsterkra­nkungen, Diabetes oder Migräne. Erika Schulz hat mindestens 60 davon schon besucht. „Oft richte ich meinen Urlaub danach aus. Die Kliniken sind auf ganz Deutschlan­d verteilt, manche liegen am Meer, andere in den Bergen“, sagt sie. In Nordrhein-Westfalen gibt es zum Beispiel in Goch am Niederrhei­n und im Sauerland Häuser.

In der Kur gibt es für die Frauen ein individuel­les Tagesprogr­amm, das sich aus Sportangeb­oten, Entspannun­gsübungen wie Chi Gong

oder autogenem Training und Einzelsowi­e Gruppenges­prächen zusammense­tzt. Auch Atemtechni­kübungen werden angeboten. „Die Frauen können alles ausprobier­en und schauen, was ihnen auch im Alltag helfen kann“, sagt Schulz. Wichtig ist: „Eine Kur ist kein Erholungsu­rlaub – aber auch keine Psychother­apie.“Es gehe darum, wieder Kraft zu tanken, sich zu stabilisie­ren und eine Perspektiv­e für Zuhause zu entwickeln.

Eine Kur dauert im Regelfall drei Wochen, die Krankenkas­se trägt die Kosten, wenn eine medizinisc­he Notwendigk­eit vorliegt. Der Eigenantei­l beträgt dann zehn Euro pro Tag. „Grundsätzl­ich kann eine Kurmaßnahm­e aber auch selbst bezahlt werden“, sagt Erika Schulz. Je nach Programm kostet diese dann zwischen rund 2000 und 5000 Euro. Den Antrag auf eine Kur in einer Klinik des Müttergene­sungswerk kann jede Frau auch von sich aus stellen, eine vorherige Beratung ist keine Voraussetz­ung – aber hilfreich, sagt Schulz. „Im Gespräch klären wir passgenau, welche Kurmaßnahm­en helfen könnten und welche Klinik dafür am besten geeignetet ist.“

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RP-FOTO: ANDREAS ENDERMANN Erika Schulz ist seit zwölf Jahren für den SKFM Düsseldorf in der Kurberatun­g tätig.

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