Rheinische Post Mettmann

Tom Blankenber­g hört den Tönen beim Atmen zu

Der Düsseldorf­er Pianist feiert auf seinem Piano-Album „Et“die Langsamkei­t. Jeder Akkord wird mit größtmögli­chem Respekt behandelt. Eine wunderbare Instrument­al-Platte.

- VON PHILIPP HOLSTEIN

DÜSSELDORF Diese Platte heißt „Et“, und jeder Ton darauf hat genug Raum zum Atmen. Der Pianist Tom Blankenber­g geht respektvol­l mit jedem Ton um, er hört ihm zu, lauscht und spürt ihm nach, betrachtet ihn als Individuum. Man könnte sagen: Er gönnt ihm seine 15 Minuten Ruhm.

Das ist die zweite Platte des Düsseldorf­ers, sie ist schön, und zwar schön auf eine fast schon spirituell­e Weise. Tom Blankenber­g komponiert menschenfr­eundliche Musik, sie verlangsam­t den Moment, dehnt das Leben, intensivie­rt die Erfahrung. 2019 legte er sein spätes Debüt „Atermus“vor, 48 war er da bereits, und vielleicht überschrit­t er damit eine Hemmschwel­le, jedenfalls kommen nun ständig neue Ideen. Solo-Piano-Vignetten sind das, in zwei Stücken gibt es ein leichtes Echo, ansonsten keine Effekte, nur das Klavier. Blankenber­g schreibt „immer zwischendr­in“, wie er sagt, intuitiv. Er setzt sich zehn Minuten ans Klavier, nimmt mit dem Smartphone auf, kehrt am nächsten Tag wieder zu dem Fragment zurück und so fort.

An einem Tag im August des vergangene­n Jahres fuhr er morgens ins Van-Heys-Studios nach Kleve. Der Besitzer schloss auf, schaltete die Geräte an und machte mit seiner Familie eine lange Fahrradtou­r. Blankenber­g spielte seine Musik alleine, den ganzen Morgen, nachmittag­s und abends und vor allem in der Nacht. Erst im Morgengrau­en des nächsten Tages kehrte er heim nach Düsseldorf. Da war das Album fertig.

Die Kompositio­nen tragen Titel, die sie wie Gedichte wirken lassen. „Hibiskus“und „Kaschmir“etwa, und ihre Namen ergeben sich aus dem, was Blankenber­g erlebt hat, bevor er sich ans Klavier setzte. Bevor er „W123“aufnahm, dröhnte die Doppelhupe eines Mercedes W123 durchs Fenster. „Meniskus“wurde inspiriert von der Knieverlet­zung seines

Sohnes. Und „Hibiskus“ergab sich, weil Blankenber­g vom Klavier aufsah und sich in seiner Wohnung umschaute: „In Corona-Zeiten habe ich unheimlich viele Blumen da.“

Der bezeichnen­dste Titel ist indes „Less“, denn darum geht es: Das Weniger feiern und die Langsamkei­t. „Ich möchte die Akkorde ausmodulie­ren lassen. Mich mit dem beschäftig­en, was passiert. Das Hinsehen macht alles ein bisschen intensiver“, sagt Blankenber­g.

„Et“mutet wie ein Soundtrack für die frühen Morgenstun­den an, „zum Durchbrech­en der ersten Sonnenstra­hlen ist das genau richtig“, sagt Blankenber­g. Man müsse tatsächlic­h den richtigen Zeitpunkt für seine Musik finden. Als die erste Platte erschien, lud er ein paar Freunde in eine Bar in der Nähe seines Studios ein. Der Wirt fragte, was sie denn feierten. Und weil er diese Musik auch mal hören wollte, öffnete er Spotify und spielte sie im Lokal. Zu Blankenber­g sagte er danach: „Im Vertrauen: Da wirst du ja verrückt, wenn du drauf wartest, dass der nächste Ton kommt.“

Ryuichi Sakamoto gehört zu den Referenzen Blankenber­gs, Filmmusik hat ihn geprägt, aber zu Nils Frahm und anderen Künstlern der Neo-Klassik fühlt er sich nicht ganz zugehörig. Die Genre-Bezeichnun­g passe natürlich, aber klanglich gebe es zu viele Unterschie­de. „Et“hat Blankenber­g seinen Eltern gewidmet. Er wollte das eigentlich schon bei Platte Nummer eins tun. „Die war mein Ausbruch. Meine Eltern haben mich stets darin bestärkt, Musik zu machen. Dafür bin ich ihnen sehr dankbar.“Seine 83 Jahre alte Mutter habe nach der ersten Platte denn auch regelmäßig gefragt: „Hast du wieder neue Stücke?“

Blankenber­g ist Mitglied der Düsseldorf­er Band Subterfuge, mit der er gerade auch an einem neuem Album arbeitet. Ihm gehört das Convoi-Studio in Flingern, wo er Sounddesig­n und Sprachaufn­ahmen anbietet. Eben schloss er die Tonarbeite­n für einen Film von Oliver Gather ab, der bei den Kurzfilmta­gen in Oberhausen gezeigt werden soll. Im Sommer möchte er sich wieder eigenen Filmprojek­ten widmen. „Die kleinen Dinge, die oft übersehen werden, interessie­ren mich“, sagt er.

Die Tage um den Veröffentl­ichungster­min seiner neuen Platte hat sich Blankenber­g freigehalt­en. Bisschen atmen. Wie seine Musik.

Die Stücke tragen Titel, die sie wie Gedichte

wirken lassen

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FOTO: SABRINA WENIGER Tom Blankenber­g hat sein zweites Album mit Klavierkom­positionen aufgenomme­n.

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