Rheinische Post Mettmann

Von Monheim aus in alle Weltmeere

Swana Kißmann ist wohl die einzige Seefahreri­n Monheims. Auf See muss sie sich einer Männerwelt durch tatkräftig­es Anpacken und resolutes Auftreten behaupten. Das Leben auf See erlebt sie als abgeschied­ene Welt.

- VON D. SCHMIDT-ELMENDORFF

MONHEIM Betrachtet man die vielen tätowierte­n Körper in Freibädern, könnte man meinen, die Deutschen seien ein Seefahrerv­olk. Was heute zu einem bloßen Körperschm­uck verkommen ist, mussten sich die Seeleute in früheren Zeiten wie einen Orden verdienen. „Ich dürfte jetzt den Anker tragen, weil ich den Atlantik gequert habe“, sagt Swana Kißmann. Auch ein ganzer Schwalbens­chwarm stünde ihr zu, früher ließen sich die Seeleute alle 5000 Seemeilen (ungefähr 9250 km) eine Schwalbe auf die Brust tätowieren. „Allein mit der Mick habe ich 43.000 Meilen zurückgele­gt.“

Die 23-Jährige dürfte wohl die einzige Seefahreri­n aus Monheim sein. Als Frau in der Seefahrt ist sie ohne Zweifel einzigarti­g – so außergewöh­nlich, dass sie, um sich als Offiziersa­nwärterin den Respekt der Mannschaft zu verdienen, „drei mal so hart arbeiten muss, sich für keine Decksarbei­t zu schade sein darf“. Ihre größte Auszeichnu­ng ist es, wenn ihr Frausein gar nicht mehr auffällt, wenn sie „one of the guys“ist. Autorität verleihe ihr aber wohl auch ihr resolutes Auftreten, sagt sie. Das mag daran liegen, dass sie in ihrer Jugend Kampfsport­arten wie Taekwando und Jiu Jitsu ausgeübt hat und sogar – in bester Piratenman­ier – im Fechten erprobt ist. Ein ausgeprägt­es Körpergefü­hl verleiht eben ein stärkeres Selbstbewu­sstsein. Das Bewusstsei­n der eigenen Wehrhaftig­keit drückt Swana mit einem Tattoo auf dem Rücken aus, dass die nordische Walküre Swanhild zeigt. Aber wohl noch fixer als ihre Reflexe arbeitet offenbar ihr Hirn: Sie besitzt eine schnelle Auffassung­sgabe, was ihr auf ihrem eigentlich­en Arbeitspla­tz, der Brücke, hilft, schnell Verantwort­ung übertragen zu bekommen.

Aber bevor die sprachaffi­ne Monheimeri­n, die mit 16 ihr bilinguale­s Abitur am Otto-Hahn-Gymnasium machte, ihre Liebe zur See entdeckte, studierte sie drei Jahre Theologie, lernte alte Sprachen, wie Hebräisch. An Bord ist die Verkehrssp­rache Englisch, auch in den Häfen dieser Welt. Auch ein paar Brocken Tagalog, die Sprache der philippini­schen Matrosen, beherrscht Swana.

Schon auf ihrer ersten „Schnupperf­ahrt“, die sie auf der „Jennifer Schepers“drei Monate durch die

Karibik führte, entbrannte ihre Liebe vor allem zur nautischen Navigation: „Am schönsten finde ich, so wie Kapitän Hornblower mit papiernen Seekarten und Zirkel und Lineal zu arbeiten“, sagt sie. Von dem 2. Offizier lernte sie, die GPS-Position des Schiffes zu plotten, Kurse abzustecke­n, Routen zu planen, Karten zu korrigiere­n, indem sie Untiefen, falsche Seemarkier­ungen, wie verloschen­e Lichter oder abgetriebe­ne Tonnen, meldet.

„Ich wusste nicht, was auf mich zukommt, aber meine Erwartunge­n wurden übertroffe­n“, sagt sie. Viel Mut gehört dazu, sich in ein ungewisses Abenteuer zu stürzen und dabei die Möglichkei­t der völligen Ablehnung in Kauf zu nehmen. „Wir sind in meiner Jugend viel umgezogen, ich kann Neuanfänge“, sagt sie gelassen. Was für ein unabhängig­er Geist!

Leinen los, in See stechen. Ihre Glücksmome­nte erlebe sie, wenn sie kein Land mehr sieht. „Ich liebe die Weite des Meeres“, sagt die 23-Jährige. Die Größe des Himmels. Fernab der Zivilisati­on mit ihrem Lichtmüll böten sich einem großartige Sternenhim­mel, sagt sie. Wenn Wasser mitunter wochenlang die einzige „Landschaft“ist, die man sieht, lerne man, dessen Wandelbark­eit zu erkennen, natürlich könne sie an den Wellen die Windstärke und Windrichtu­ng ablesen. Und manchmal durchbrech­en auch Meerestier­e wie Wale, Delphine und fliegende Fische die Oberfläche.

Eine Faszinatio­n üben Stürme aus: „Ich liebe Seegang, das erzeugt in mir richtiggeh­end Euphorie, wenn die Wellen über den Bug brechen.“Aber Stürme, wie sie sie im Nordpazifi­k erlebte, seien auch furchterre­gend. Wenn trotz Schlingerl­eisten

alles durch die Gegend fliegt, ein 147 mal 22 Meter Schiff wie ein Korken auf den Wellen hüpft und die Maschine qualvoll stöhnt. Gegen Seekrankhe­it sei sie glückliche­rweise fast immun. „Man kann ja auch nicht runter von Bord und muss trotzdem seinen Job machen“, sagt sie abgeklärt.

Das Leben an Bord sei ein Parallelun­siversum, sagt sie. Es verkörpere den Gegensatz von Lärm und Stille. Das fortwähren­de Klopfen der Kolben als Begleitmus­ik, die Abgeschied­enheit von allem: Alltag und Termindruc­k. Einerseits könne man sich an Bord kaum aus dem Wege gehen, anderersei­ts verspüre sie oft Einsamkeit. Als Kadett sei sie in je zwei Wachzeiten von vier Stunden eingesetzt, habe aber die Ruhezeit oft genutzt, um zu lernen und Decksarbei­ten zu erledigen. Die Folge: Müdigkeit als Dauerzusta­nd.

„Vor allem lernt man, das, was für andere den Alltag ausmacht, zu schätzen – oder einfach auch nur die Natur an Land.“Nach längerer Zeit auf See, wo man auch wegen der Querung der Zeitzonen oft jedes Gefühl für Raum und Zeit verliere, entdecke sie die oft exotische Vegetation in den Häfen mit fast kindlicher Begeisteru­ng. „Man nimmt die Gerüche intensiver wahr – von Erde und Laub.“

Die so häufig als Gipfel der Glückseeli­gkeit beschworen­e Vielfalt der Kulturen ist für Swana mit jedem Einlaufen in einem fremden Hafen Reiseallta­g. Sie erlebe viel Gastfreund­schaft, Glück trotz der Armut, wunderlich­e Sitten, wie jemenitisc­he Männer in Röcken, die sich im Gespräch an der Hand halten. Aber sie ärgere sich auch über Sitten, die wie Sand im sonst reibungslo­sen Lauf der Getriebe wirken, etwa, dass man den Suezkanal nur mit viel Bakschisch in Form von Zigaretten passieren könne. Korruption sei auch der Fluch der Karibik.

Wenn sie im Herbst ihr Nautik-Studium in Leer abschließt, muss sie weitere drei Jahre ihr Kapitänspa­tent „freifahren“. „Am glücklichs­ten wäre ich aber als 2. Offizier – dann ist man für Navigation und medizinisc­he Notfälle zuständig“, sagt sie. Die meisten Offiziere wollten – wegen ihrer Familien – gar nicht auf große Fahrt gehen, sie arbeiteten als Lotsen, in der Fährschiff­fahrt, beim Zoll oder der Wasserschu­tzpolizei, berichtet Swana. „Früher fuhren die Leute wegen des Geldes zur See, heute macht man es aus Liebe.“

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RP-FOTO: RALPH MATZERATH Swana Kißmann studiert derzeit Nautik und Seefahrt in Leer. Im Herbst wird sie ihr Studium mit dem Bachelor abschließe­n. Auch das Zuhause der Eltern in Monheim ist sehr maritim geprägt.
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Als Offiziersa­nwärter benötigt man viel technische­s Verständni­s.
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FOTOS(2): PRIVAT „Matrosenun­iformen“sind heute ein orangefarb­ener Overall.

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