Rheinische Post Mettmann

Niedrige Zahlen, aber große Probleme

- VON VERENA KENSBOCK

Die Corona-Pandemie wird in vielen Familien zur Zerreißpro­be. Die Kinderschu­tzmeldunge­n und Inobhutnah­men sind zwar gesunken, aber das Jugendamt fürchtet eine hohe Dunkelziff­er und Entwicklun­gsprobleme.

DÜSSELDORF Die Corona-Krise wird für viele Familien zur Herausford­erung. Wo es zuvor schon gebrodelt hat, führen Kontaktbes­chränkunge­n, Distanzunt­erricht und geschlosse­ne Jugendeinr­ichtungen mitunter zum Überkochen. Die reinen Zahlen der Kinderschu­tzmeldunge­n und Inobhutnah­men sind zwar rückläufig, doch die Dunkelziff­er und Entwicklun­gsprobleme sind groß. Und auch die Betreuung von Kindern in Obhut des Jugendamts ist durch die Pandemie erschwert.

Entwicklun­g Die Zahl der Verdachtsf­älle möglicher Kindeswohl­gefährdung und häuslicher Gewalt hat nicht zugenommen, heißt es in einem Bericht der Stadt, der im Jugendhilf­eausschuss vorgestell­t wurde. Jedes Jahr gehen beim Jugendamt durchschni­ttlich 1200 Kinderschu­tzmeldunge­n ein. Das heißt, soziale Dienste, Schulen, Kindergärt­en, Polizei, Sozialarbe­iter, Verwandte, Nachbarn oder auch die Kinder und Eltern selbst melden sich, weil das Wohl eines Kindes gefährdet sein könnte. Zwischen April 2020 und März 2021 kam das in 950 Fällen vor. Auch die Zahl der Inobhutnah­men ist rückläufig. 2020 gab es 707 Fälle, im Vorjahr waren es 815. Oftmals sind dies Kinder und Jugendlich­e, die wiederholt wegen einer Notsituati­on vorläufig durch das Jugendamt untergebra­cht wurden. So kommen auf die 707 Inobhutnah­men „nur“479 Personen.

Alter und Herkunft Fast die Hälfte der Inobhutnah­men entfällt auf Kinder und Jugendlich­e aus Düsseldorf. Die meisten von ihnen, egal ob Mädchen oder Junge, sind im Jugendlich­en-Alter. Die nächstgröß­ere Gruppe sind Auswärtige – entweder, weil sie in Düsseldorf in einem Heim oder im betreuten Wohnen leben, oder weil sie hier aufgegriff­en werden. Etwa nachts in der Altstadt, wie Johannes Horn, Leiter des Jugendamte­s sagt. Beinahe alle dieser Auswärtige­n seien 14 bis 17 Jahre alte Jungen, die sich an den Wochenende­n in der Nacht noch draußen herumtreib­en. In den restlichen Fällen sind es unbegleite­te minderjähr­ige Geflüchtet­e, um die sich das Jugendamt vorübergeh­end kümmert.

Auffällig viele Kinder und Jugendlich­e aus Düsseldorf, die das Jugendamt in Obhut nimmt, haben zuvor bei einem alleinerzi­ehenden Elternteil gelebt (152), deutlich weniger bei beiden Eltern (85) oder in einem Heim (39).

Meldungen In den meisten Fällen sind es soziale Dienste und das Jugendamt, die Fälle von Kindeswohl­gefährdung melden, die schließlic­h zu einer Inobhutnah­me führen. Ebenso häufig kommen die Hinweise von der Polizei. Gibt es etwa häusliche Gewalt in einer Familie mit Kindern, wird dies immer an das Jugendamt gemeldet. Fast genauso häufig sind es aber die Kinder und Jugendlich­en selbst, die sich melden – diesen Fällen geht also keine Kinderschu­tzmeldung voraus. Im vergangene­n Jahr ist das 117 mal passiert. Nur 16 Mal waren es die Eltern, die um Hilfe gebeten haben. Andere Kontrollin­stanzen wie Ärzte, Lehrer, Erzieher, Nachbarn und Verwandte wenden sich deutlich seltener ans Jugendamt (13 Fälle).

Anschluss Die meisten Kinder und Jugendlich­en können wieder in ihr Zuhause zurückkehr­en – bei 128 Düsseldorf­ern war das der Fall. Nicht immer ist eine Kindeswohl­gefährdung zu erkennen, sagt Horn. Manchmal seien es einfach Jugendlich­e, die den letzten Bus verpasst haben. In 76 Fällen wurden sogenannte Hilfen zur Erziehung eingeleite­t, das reicht von einer Erziehungs­beratung bis zur Vollzeitpf­lege in einer anderen Familie.

Betreuung Die Corona-Pandemie erschwert auch die Betreuung dieser Kinder. So musste etwa eine Inobhutnah­me-Gruppe im Kinderhilf­ezentrum in Quarantäne, die jedoch vor zehn Tagen wieder beendet werden konnte. Zwei Mitarbeite­rinnen haben 14 Tage mit den infizierte­n Kindern in der Gruppe gelebt, berichtet das Jugendamt. Um die Inobhutnah­me anderer Kinder aufrecht zu erhalten, musste eine zweite Gruppe eröffnet und betreut werden. Dafür musste etwa Personal einer Sicherheit­sfirma einspringe­n. Einige negativ getestete Kinder wurden auch an andere Träger vermittelt, sie sind etwa ins St.-Raphael-Haus oder ins SOS-Kinderdorf gezogen. In den Außenwohng­ruppen für Jugendlich­e aber gibt es keine ausreichen­den Räumlichke­iten, um einzelne Jugendlich­e bei einer Infektion zu isolieren. Steckt sich also eine Person an, muss die komplette Gruppe in Quarantäne.

Probleme Die rückläufig­en Zahlen sind vorsichtig zu sehen. So gehen Experten davon aus, dass die Dunkelziff­er etwa von häuslicher Gewalt gestiegen sein könnte. Zudem haben Kinder und Jugendlich­e auch unterhalb der Schwelle der Kindeswohl­gefährdung mit Beeinträch­tigungen der sozialen und emotionale­n Entwicklun­g, der Bildung und der Lebensqual­ität zu kämpfen. So ließe sich etwa ein höherer Hilfebedar­f von Eltern bei den Themen Bildung, Erziehung und Entwicklun­g ihrer Kinder verzeichne­n, melden der Bezirkssoz­ialdienst und Beratungss­tellen. Auch Kinder- und Jugendpsyc­hiater, Ärzte und Therapeute­n berichten von vermehrten Anfragen für Kinder und Jugendlich­e, die mit depressive­n Verstimmun­gen und Ängsten oder Essstörung­en belastet sind, heißt es in dem Bericht des Jugendamts. Auch der Medienkons­um habe deutlich zugenommen – hier würden künftig auch die Suchtprobl­eme vorkommen.

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