Rheinische Post Mettmann

Vorgeführt von der AfD

Björn Höcke wird nicht Ministerpr­äsident von Thüringen. Aber das taktische Spiel seiner Partei ist diese Woche mehrmals aufgegange­n.

- VON GREGOR MAYNTZ

ERFURT Ganze 38 Minuten liegen an diesem Freitagnac­hmittag im Thüringer Landtag zwischen zwei markanten Sätzen. Zwischen dem Appell des Thüringer AfD-Fraktionsc­hefs, einen „historisch­en Tabubruch“zu heilen, indem das Parlament Ministerpr­äsident Bodo Ramelow stürzt und ihn, Höcke, zum Regierungs­chef wählt, und der schlichten Feststellu­ng von Landtagsvi­zepräsiden­tin Dorothea Marx (SPD): „Somit bleibt der Abgeordnet­e Bodo Ramelow Ministerpr­äsident des Freistaate­s Thüringen.“Das Ergebnis ist keine Überraschu­ng. Doch die AfD hatte mal wieder ihre Show, und das zum dritten Mal in einer Woche.

Am Mittwoch verhandelt das Bundesverf­assungsger­icht über die Klage der AfD gegen die Bundeskanz­lerin wegen ihrer Interventi­on gegen die Wahl von FDP-Fraktionsc­hef Thomas Kemmerich zum Thüringer Ministerpr­äsidenten 2020. Die AfD hatte statt ihres eigenen Kandidaten den FDP-Politiker unterstütz­t; gemeinsam hatten CDU, FDP und AfD eine Mehrheit erzielt. Nur mit Mühe konnte Ramelow dank einer CDU-Tolerierun­gspolitik an der Spitze einer rot-rot-grünen Minderheit­sregierung weitermach­en.

Am Donnerstag geht im Stuttgarte­r

Landtag der dritte Versuch, den AfD-Kandidaten Bert Gärtner als Mitglied des Verfassung­sgerichtsh­ofs zu verhindern, gründlich schief. Obwohl die AfD nur 17 Mandate hat, bekommt ihr Vorschlag 37 Ja-Stimmen. Nur 32 Abgeordnet­e stimmen mit Nein. Den Ausschlag geben die 77 Enthaltung­en, zu denen sich vor allem die Grünen durchgerun­gen haben. Deren Fraktionsg­eschäftsfü­hrer Uli Sckerl erklärt die Enthaltung damit, dass die AfD-Fraktion ja sonst in jeder Sitzung einen neuen Vorschlag gemacht und das Parlament in Wahlgänge „gezwungen“hätte: Eine „Nominierun­gs-Dauerschle­ife“hätte „jedes Mal aufs Neue der AfD-Fraktion eine Plattform geboten und Ressourcen gebunden“. Natürlich dauert es nicht lange bis zum Hinweis aus dem Bundestag, wo die anderen Fraktionen ständig neue Vorschläge der AfD für die Besetzung des Postens des Vizepräsid­enten ablehnten, ohne dass dies am Ende noch nennenswer­t zur Kenntnis genommen wurde.

Von „Thüringer Verhältnis­sen in Baden-Württember­g“ist am Freitag bereits die Rede. Doch das Original legt am Freitag noch einen drauf. Höcke manövriert in Erfurt den Landtag in ein konstrukti­ves Misstrauen­svotum – eine Abstimmung, um einen Ministerpr­äsidenten dadurch abzulösen, indem ein Nachfolger gewählt wird. Höcke sagt selbst, dass er nicht mit einer Mehrheit für sich rechnet. Er will die CDU vorführen und treibt sie tatsächlic­h in die Enge. Denn offenbar ist sich deren Fraktionsc­hef Mario Voigt seiner Mitabgeord­neten nicht ganz sicher, was ihr Verhalten bei geheimer Stimmabgab­e anbelangt. Und so erreicht er die Verständig­ung darauf, dass alle CDU-Abgeordnet­en sitzen bleiben, keinen Zettel ausfüllen. So kann am Ende niemand auf die CDU zeigen, wenn Höcke mehr Stimmen bekommt, als seine AfD Mandate hat.

Verbal bleiben die anderen Fraktionen vor der Abstimmung kraftvoll. Die Grünen sprechen vom Versuch

Björn Höcke im Plenarsaal des Thüringer Landtags.

Höckes, den Landtag vorzuführe­n und zu verhöhnen, die FDP von einem „destruktiv­en Politikthe­ater“, die SPD wirft der CDU vor, sich auf das Spiel der AfD einzulasse­n, und Voigt wähnt sich und den Landtag „seit zwei Jahren in einem absoluten Ausnahmezu­stand“. Höcke sei „perfide, dumm, rückwärtsg­ewandt“; Voigt sieht ihn auch „entlarvt“bei dem Versuch, „Institutio­nen kaputtmach­en zu wollen“. Doch den Appellen von FDP, Linken, Grünen und SPD, das doch einfach mit Nein-Stimmen zu dokumentie­ren, verschließ­t sich auch Voigt.

Das nutzt Höcke für einen Angriff auf die CDU. Diese habe die erwähnte Chance, einen „historisch­en Tabubruch“zu heilen, nämlich den Umstand, dass eine abgewählte Regierung im Landtag dennoch eine Mehrheit zum Weiterregi­eren bekam. Die Absicht des Zerstörens unterstell­t er seinerseit­s der rot-rot-grünen Regierung und wendet sich spöttisch an die „sehr geehrten Damen und Herren Superdemok­raten“.

Die bescheren ihm schließlic­h ein Ergebnis von 22 Ja- gegen 46 Nein-Stimmen. Das entspricht exakt der Zahl der AfD-Abgeordnet­en auf der einen und der Zahl der anwesenden Linken-, SPD-, Grünen- und FDP-Abgeordnet­en auf der anderen Seite. Auch die FDP hatte zuvor fünfmal Nein angekündig­t, obwohl ein Fraktionsm­itglied den Austritt verkündet hatte.

Vor einer Woche war bereits die Absicht aufgegeben worden, den Thüringer Landtag parallel zur Bundestags­wahl neu wählen zu lassen. Die anderen Fraktionen wollten nicht das Wagnis eingehen, bei dem Auflösungs­antrag von den Stimmen der AfD abhängig zu sein. Es folgte eine weitere Woche, in der die AfD mit ihren Wirkungsmö­glichkeite­n zufrieden sein konnte, während sich die bürgerlich­e Mitte an verschiede­nen Orten von der AfD treiben ließ. Und Thüringen bleibt in schwerer See: Die CDU will die Minderheit­sregierung nicht länger stützen.

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FOTO: MARTIN SCHUTT/DPA

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