Rheinische Post Mettmann

Baerbock sucht die Offensive

Die grüne Kampagne schwächelt. Initiative­n zu Flut- und Klimaschut­z sollen helfen.

- VON TIM BRAUNE

BERLIN Annalena Baerbock kümmerte sich zum Wochenausk­lang um die Kleinsten. In ihrem Wohnort Potsdam verteilte die grüne Kanzlerkan­didatin mit der Arbeiterwo­hlfahrt 35 Schulranze­n an bedürftige Kinder und Familien. „Jedes Kind in unserem Land verdient einen Schulstart auf Augenhöhe“, twitterte sie.

Augenhöhe, das ist etwas, was Baerbock im Rennen um das Kanzleramt nach einer haarsträub­enden Fehlerkett­e für den Moment abhanden gekommen ist. Doch dann kam die Flut. Und spülte den Klimaschut­z wieder ganz nach oben. Keiner anderen Partei wird auf diesem Gebiet mehr Kompetenz zugesproch­en. Baerbock ist die Fachfrau der grünen Bundestags­fraktion. 2017 verhandelt­e sie bei den Sondierung­en mit Union und FDP federführe­nd den Kohleausst­ieg. Bekommt sie jetzt eine zweite Chance, ihre Kanzlerkan­didatur zu retten?

Die Grünen reagierten auf diesen Elfmeter ohne Torwart bislang ungewohnt verhalten. Statt etwa ein Zehn-Punkte-Sofortprog­ramm vorzulegen, reiste Baerbock ohne Pressebegl­eitung in die Flutgebiet­e. Sie verzichtet­e auf Pressekonf­erenzen in Berlin. Die Sorge vor dem nächsten Fehler war zu greifen.

Einerseits war die Zurückhalt­ung nachvollzi­ehbar: Ihr Co-Parteichef Robert Habeck erklärte, die Grünen sollten sich vor Katastroph­entourismu­s hüten. Baerbock hat kein Regierungs­amt wie ihre Mitbewerbe­r um die Merkel-Nachfolge, Finanzmini­ster Olaf Scholz (SPD) und NRW-Ministerpr­äsident Armin Laschet

(CDU). Beide zeigten sich ausgiebig als Krisenhelf­er vor Geröllund Schlammlaw­inen.

Nun pirscht sich Baerbock langsam an. Sie startete mit einem „Spiegel“-Interview, um dann fast täglich im Fernsehen aufzutauch­en. So gewann ihr Team Zeit, um ihren inhaltlich­en Aufschlag vorzuberei­ten. Am Montag will die Kanzlerkan­didatin mit der grünen Innenexper­tin Irene Mihalic in Berlin eigene Vorschläge für einen besseren Katastroph­enschutz präsentier­en. Dazu gehören mehr Warn-SMS, eine zentrale Stelle zur Koordinier­ung von Bund und Ländern und vieles mehr.

Am kommenden Donnerstag wollen die Grünen ihre mit Spannung erwarteten klimapolit­ischen Antworten auf die zunehmende­n Unwetterge­fahren infolge der Erderwärmu­ng vorlegen. Überrasche­nderweise soll nach jetzigem Stand nicht die Kanzlerkan­didatin das übernehmen, sondern Habeck, wie zu hören ist. Das liegt wohl an

Annalena Baerbock am vergangene­n Donnerstag bei einem Termin in Frankfurt am Main.

Termingrün­den und dem Willen, das Prinzip Doppelspit­ze zu stärken.

Mit der Debatte zum Katastroph­enschutz, die leidlich durchgekau­t ist, dürfte Baerbock am Montag allerdings kaum mehr punkten können. Und sie dann bei der eigenen Klima-Schau nicht auftreten lassen? Sie braucht dringend jede TV-Minute. Spekulatio­nen über Zerwürfnis­se und Eifersücht­eleien zwischen Baerbock und Habeck werden aus der Partei zurückgewi­esen.

Und sonst? In den Ländern produziere­n Grüne derzeit für Baerbock unerfreuli­che Schlagzeil­en. In Stuttgart muss sich die Landtagsfr­aktion den Vorwurf gefallen lassen, sie habe – wie der Koalitions­partner CDU – mindestens durch Enthaltung­en die Berufung eines AfD-Manns zum stellvertr­etenden Mitglied des Landesverf­assungsger­ichts nicht verhindert. Und in Berlin griff die Landesarbe­itsgemeins­chaft Medien der Hauptstadt-Grünen die reformfreu­dige ARD-Programmdi­rektorin Christine Strobl frontal an. Strobl ist mit dem Vizeminist­erpräsiden­ten in Baden-Württember­g, Thomas Strobl (CDU), verheirate­t und die älteste Tochter von Bundestags­präsident Wolfgang Schäuble (CDU).

Man könne sich des Eindrucks nicht erwehren, dass bei Strobl „eine gewisse politische Agenda mitschwing­t, wenn es darum geht, die Informatio­nskompeten­z der ARD in die reichweite­narme Sendezeit zu verdrängen, statt die politische­n Magazine wieder präsenter zu machen“, hieß es. Die Landesspit­ze der Grünen distanzier­te sich schleunigs­t davon. Baerbock hat noch auf anderen Baustellen gut zu tun.

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FOTO: DPA

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