Wo die Chancen von Olaf Scholz im Wahlkampf liegen
In zehn Wochen wird gewählt. Der nächste Bundeskanzler heißt Armin Laschet, weil ohne ihn niemand regieren kann – das legen jedenfalls aktuelle Umfragen nahe. Warum nicht Annalena Baerbock diese Pläne durchkreuzen könnte, sondern der merkelige Kandidat de
Spätestens mit ihrem letzten Auftritt vor der Bundespressekonferenz wird deutlich: Angela Merkel geht tatsächlich. Schon in zehn Wochen zeigt sich, wer ihr im Kanzleramt nachfolgt. Wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte, heißt es. Das gilt auch für den Bundestagswahlkampf, wobei Armin Laschet und Annalena Baerbock seltsamerweise nicht so sehr miteinander streiten, sondern sich selbst demontieren.
Zwar führt die CDU/CSU in den Umfragen, aber ihr Kandidat erfährt Häme und Spott wie kaum jemand in der Geschichte der Union. Bei Helmut Kohl war es am Anfang zwar ähnlich, als er als „Birne“verunglimpft wurde, aber das liegt schon bald 40 Jahre zurück. Ob das hingenuschelte „Entschuldijungefrau“oder ein deplatziertes Lachen bei einer Ansprache des Bundespräsidenten: Es geht in den Erregungswellen der sogenannten sozialen Medien sehr selten um das, was Laschet sagt – obwohl er viel sagt, ein klares Programm hat und kritischen Fragen nicht ausweicht.
Auch Annalena Baerbock hat sich in atemraubender Geschwindigkeit demontiert: Lagen die Grünen noch vor wenigen Wochen vor der Union, haben die Plagiatsvorwürfe gegen die Kandidatin das Bild gewandelt. Dabei dreht sich die Debatte weniger um das, was in ihrem Buch steht, sondern darum, wie sie damit umgeht. Vertrauen und Glaubwürdigkeit schwinden nicht so sehr durch die schlampige Arbeit an diesem programmatisch gemeinten Text, sondern durch den verdrucksten Umgang mit der Kritik daran.
Und der Dritte? Olaf Scholz liegt bei den Beliebtheitswerten deutlich vor den beiden anderen. Schon das ist erstaunlich, denn als großer Charismatiker war der SPD-Kandidat bisher wirklich nicht bekannt. Einst als „Scholzomat“tituliert, zeigte er immer wieder eine wortkarge intellektuelle Überheblichkeit; er schien sich stets für klüger als die anderen zu halten. Seine relative Popularität sagt weniger über ihn als über die anderen beiden. Und seine
Partei hat, jedenfalls den aktuellen Umfragen zufolge, eigentlich keine Chance, nach 16 Jahren Merkel wieder den Bundeskanzler zu stellen.
Wir haben keine Chance, aber wir nutzen sie: Das ist die Ansage von Olaf Scholz. Und da es keine breite Wendestimmung gibt, mag das paradoxerweise genau die richtige Strategie sein. Olaf Scholz verkörpert ja gerade nicht den Wechsel, sondern das „Weiter so“: Mehr Merkel bieten Laschet und Baerbock sicher nicht, im Gegenteil. Scholz ist seit mehr als drei Jahren Bundesfinanzminister und Vizekanzler, er war bereits Arbeitsminister. Sein überlegtes, zurückhaltendes und inzwischen betont demütiges Auftreten erinnert mehr an sie als an den bisher letzten sozialdemokratischen Kanzler Gerhard Schröder. Die Ähnlichkeiten zeigen sich sogar sprachlich: Sein „Wir kriegen das hin“ist ihr „Wir schaffen das“.
Und sowohl in der Corona-Krise als auch in der Flutkatastrophe ist Scholz kraft Amtes derjenige, der Hilfe bringt, also die Milliarden mobilisiert. Die Schwarze Null, für die auch er einst stand, spielt keine Rolle mehr. EZB-Präsident Mario Draghi prägte diese Haltung in der Finanzkrise: „Und glauben Sie mir, es wird genug sein“, sagte er im Sommer 2012. Scholz hat offensichtlich davon gelernt und wiederholt nun bei allen Gelegenheiten, dass es genug sein wird und der Staat über ausreichende, ja unerschöpfliche Finanzmittel verfügt. Die alte Polemik, dass Sozialdemokraten nicht mit Geld umgehen könnten, greift bei ihm nicht, denn alles, was er in der Hinsicht sagt, hat die Billigung der Union und der Bundeskanzlerin.
Die Umfragen legen nahe, dass Armin Laschet es, zwar etwas gerupft und gebeutelt, ins Kanzleramt schafft und dann ein bisher im Bund nicht dagewesenes Bündnis schmieden muss, sei es SchwarzGrün oder eine Dreierkoalition (Jamaika oder Deutschland). Die Vorstellung, dass Baerbock Kanzlerin werden könnte, hat sich bei den Grünen wie ein kurzer Traum verflüchtigt – nicht einmal sie selbst scheinen noch daran zu glauben. Es war so ähnlich, als Renate Künast 2011 Regierende Bürgermeisterin von Berlin werden wollte – erst flogen ihr die Herzen zu, doch dann verstolperte sie den Wahlkampf.
Von Scholz ist nicht bekannt, dass er stolpert. Selbst die Wirecard-Affäre hat ihn nicht dazu gebracht. Und er lässt keinen Zweifel daran, dass er gegen alle Demoskopie ernsthaft Anspruch aufs Kanzleramt erhebt. Wenn es der SPD gelingt, an den Grünen vorbeizuziehen, könnte für ihn tatsächlich alles offen sein. Eine Mehrheit jenseits der Union könnte dann möglich werden. Es gelingt Laschet bisher nicht, daraus ein Angstszenario zu machen. Das wäre auch schwer: Eine Rote-Socken-Kampagne dürfte verpuffen, die Warnung vor Rot-Grün-Rot perlt an diesem staatsmännischen Genossen ab. Was eine solche Koalition wirtschaftlich und außenpolitisch alles verbocken könnte, und das wäre einiges, scheint die Menschen nicht wirklich zu schrecken. Das liegt vermutlich daran, dass Olaf Scholz der Merkeligste der drei ist.