„Wir stehen von einem gewaltigen Kraftakt“
Die Deutsche Bahn (DB) will bis zum Jahresende den größten Teil der durch die Flutkatastrophe beschädigten Infrastruktur in NRW und Rheinland-Pfalz wieder instandsetzen. „Bis dahin wollen wir 80 Prozent wieder auf Vordermann bringen“, sagte Bahn-Vorstand Volker Hentschel in einer Telefonkonferenz. In dieser Dimension sei die Infrastruktur noch nie auf einen Schlag zerstört worden. „Wir stehen vor einem gewaltigen Kraftakt“, so Hentschel.
Das gelte vor allem für Rheinland-Pfalz, aber auch für NRW. Einige Strecken seien überschwemmt oder sogar komplett verschwunden. „Dies alles wiederherzurichten, wird Monate, wenn nicht Jahre dauern“, schätzt der Bahn-Manager. Er sprach von einer „historischen Katastrophe“. Hentschel dankte den rund 2000 Mitarbeitern, die „rund um die Uhr“daran gearbeitet hätten, Schäden aufzunehmen, und teilweise schon dabei sein, sie zu beseitigen: „Das ist auch emotional keine einfache Aufgabe; manche sind ja auch persönlich von der Katastrophe betroffen“, so Hentschel.
Die größten Schäden in der Region sind an 50 Brücken entstanden. Außerdem seien 180 Bahnübergänge, knapp 40 Stellwerke und mehr als 1000 Oberleitungs- und Signalmasten, Energieanlagen sowie Aufzüge und Beleuchtungsanlagen in den Bahnhöfen betroffen, sagte Hentschel. Es seien Hänge und Dämme weggerutscht, Gleise unterspült und überflutet worden. Dadurch hat es massive Zerstörungen an der Infrastruktur gegeben. Einen Versicherungsschutz, der greife, gebe es für den größten Teil der Schäden wohl nicht, so Hentschel.
.Zu den Strecken und Einrichtungen, die am stärksten vom Hochwasser betroffen sind, gehören in Nordrhein-Westfalen der Bahnhof in Hagen und die S-Bahn-Strecke zwischen Essen und Wuppertal (S9), die von der privaten Firma Abellio betrieben wird. Abellio hat für die Strecke
einen Schienenersatzverkehr eingerichtet, der erst einmal bis zum 8. August läuft. In den nächsten beiden Wochen könne man womöglich klarer sehen, was Beginn und Dauer der Reparaturarbeiten angehe, erklärte das Unternehmen auf Anfrage.
Ein DB-Sprecher sagte unserer Redaktion, der Wasserstand sei gesunken, und die Bahnanlagen seien wieder frei von Wasser. Aber: „Durch die Überflutung ist das Schotterbett mit Schlamm durchsetzt und muss mit Großmaschinen
DB-Netz-Vorstand für Anlagen- und
Instandhaltungsmanagement
gereinigt werden, und zwar im gesamten Abschnitt Essen-Überruhr – Langenberg“, so der Sprecher. An vielen Stellen sei das Schotterbett unter den Gleisen fortgespült worden.
Die Gleise seien notdürftig unterfüttert worden, damit sie mit Baggern befahren werden könnten. An diesen Stellen müssten der Untergrund neu aufgebaut und die Entwässerung erneuert werden. Außerdem seien Schalthäuser fast aller Bahnübergangsanlagen zerstört worden. Auch sie müssten erneuert werden. Verlässliche Aussagen zur Dauer der Sperrung könne man leider noch nicht treffen, erklärte der Konzernsprecher. Allerdings müsse man von Monaten ausgehen.
Auch der Güterverkehr ist derzeit stark beeinträchtigt. Zwar ist die wichtige Trasse von Köln über Aachen nach Belgien wieder in Betrieb, doch an anderen Stellen läuft es noch längst nicht reibungslos. Auch in Sachsen, wo das Elbtal eine der meistgenutzten Strecken für den Gütertransport ist, wird es nach Angaben der Bahn noch drei bis vier Wochen dauern, bis alle Kapazitäten wiederhergestellt sind. Dort hatte das Hochwasser einige Tage später als hierzulande zugeschlagen und große Schäden angerichtet.
Was die Finanzierung der Reparaturarbeiten angeht, ist die Bahn in Gesprächen mit Bund, Ländern und Kommunen. Mitunter müssten beim Wiederaufbau neue Verkehrskonzepte und Bauideen entwickelt werden. An neuen Brücken könne man beispielsweise künftig durch größere Spannweiten verhindern, dass Treibgut sich in diesen Bereichen ansammle. Auch vereinfachte Genehmigungsverfahren könnten den Neubau der Strecken deutlich beschleunigen, wie Hentschel sagte. Dass die Ticketpreise für Bahnkunden wegen der Reparaturarbeiten steigen könnten, erwartet der DB-Vorstand allerdings nicht.
Volker Hentschel