Berufsstart mit Hindernissen
Die Corona-Einschränkungen machen die Suche nach einem Ausbildungsplatz für viele junge Menschen zum Geduldsspiel. Wir haben mit vier von ihnen gesprochen. Protokolle aus der Warteschleife – und mit Happy End.
DÜSSELDORF Auch im zweiten Jahr der Coronakrise gestaltet sich die Suche nach Ausbildungsplätzen vielerorts schwierig: Vorstellungsgespräche können meist nur digital durchgeführt werden, Praktika in den Betrieben waren nicht überall möglich. In NRW meldeten Unternehmen bis Ende Juni landesweit 97.185 Ausbildungsstellen, wie aus der Ausbildungsmarkt-Statistik des Regionalbüros Nordrhein-Westfalen der Bundesagentur für Arbeit für das Berichtsjahr 2020/2021 hervorgeht. Das sind 2322 Stellen weniger als im Vorjahr. 95.509 Bewerber auf eine Ausbildungsstelle gab es bis Ende Juni – fast 6000 weniger als 2020.
Doch nicht überall sieht der Ausbildungsmarkt düster aus: „Im Juni wurden von den Betrieben in NRW deutlich mehr Ausbildungsstellen gemeldet, als sonst in diesem Monat üblich ist“, erklärt etwa Torsten Withake, Vorsitzender der Geschäftsführung der Regionaldirektion NRW der Bundesagentur für Arbeit. Auf der anderen Seite haben sich diesen Juni 4360 Menschen auf der Suche nach einem Ausbildungsplatz gemeldet. Normalerweise sind es im Juni etwa 5300.
Im Handwerk sieht der Ausbildungsmarkt dagegen gut aus – vor allem im Vergleich zum Jahr zuvor. „Wir hatten ein Plus von etwa 20 Prozent bei den Ausbildungsstellen“, sagt Christian Henke, Geschäftsführer der Handwerkskammer Düsseldorf. „Das Handwerk hat den Corona-Knick gut weggesteckt“, so Henke. Handwerkliche Betriebe seien in den vergangenen Monaten gefragt gewesen, im Bau und Ausbau herrscht aktuell Hochkonjunktur. Positiv sieht Henke auch, dass sich inzwischen 20 Prozent der Menschen mit Fachabitur oder Abitur für eine Ausbildung im Handwerk entscheiden.
Dazu gehört ab dem 1. August auch Eric Wilkniß. Der 20-jährige Düsseldorfer beginnt diesen Sommer seine Ausbildung bei der Auto-und Bootspolsterei Gläser und Müller. 2019 machte er sein Abitur, begann Wirtschaftsingenieurswesen zu studieren. „Ich habe nur für mich alleine gelernt und saß online in den Vorlesungen. Meistens hatte ich auch nicht die Motivation, morgens aufzustehen und mich vor den Laptop zu setzen“, sagt Wilkniß. Er wollte wieder einen Grund haben, morgens aus dem Bett zu kommen, machte ein Praktikum bei der Firma Gläser und Müller – und beginnt nun dort seine Ausbildung.
Lina-Marie Wagener (18) macht eine Ausbildung zur Kauffrau für Büromanagement. „Mit dem Realabschluss in der Tasche bin ich dieses Jahr vom Gymnasium abgegangen. Mir war schon lange klar, dass ich eine Ausbildung anfangen will und von der Schule gehen möchte. Ich hatte zuerst überlegt, auf ein Berufskolleg zu gehen, um dort eine Ausbildung und gleichzeitig mein Abitur zu machen. Dort stand ich auf einer Warteliste und habe erst im Laufe des letzten Schuljahres eine Zusage bekommen. Zu dem Zeitpunkt hatte ich schon andere Pläne gemacht und wollte eine Ausbildung machen und Geld verdienen. Ich habe die richtigen Charaktereigenschaften, die ich brauche, um als Industriekauffrau zu arbeiten: Ich bin ordentlich, organisiert, pünktlich. Deswegen ist das für mich die richtige Ausbildung. Ich fand es sehr schwierig, eine Ausbildung zu bekommen. Dazu habe ich relativ viele Bewerbungen geschrieben, mindestens 20 bis 30, bevor ich mich an die IHK gewandt habe. Im April war ich schon sehr spät dran. Viele Firmen hatten sich schon entschieden. Zum Glück habe ich bei der IHK am Azubi Speeddating teilgenommen. Die IHK hat mich dann auch bei verschiedenen Firmen zur Bewerbung vorgeschlagen. Mithilfe der IHK habe ich tatsächlich im Juni noch Zusagen bekommen. Bei der Ausbildung werde ich komplett ins kalte Wasser geworfen, da ich wegen Corona keine Praktika machen konnte. Ich freue mich aber sehr auf die Ausbildung und bin glücklich, etwas Neues machen zu können.“
Rebecca Woldt (23) macht eine Ausbildung zur Karosserie- und Fahrzeugmechanikerin in einer Spezialfirma im Ruhrgebiet.
„Ich beginne im August meine Ausbildung bei den Fahrzeugwerken Lueg in Essen. Als Studienabbrecherin der Medizintechnik habe ich schon nicht den ,typischen’ Lebenslauf, wenn es diesen überhaupt gibt. Durch mein vorheriges Studium ist mir aber bewusst geworden was ich möchte, oder auch, was ich eben nicht möchte. So hat sich mir dort gezeigt, dass ich praktisch veranlagt bin. Meine Eltern haben beide handwerkliche Berufe gelernt und zeigten mir schon früh, dass man mit einem Hammer nicht nur Dinge zerstören kann. In den letzten Jahren habe ich viel meinen Freund bei seiner Arbeit im Youngund Oldtimerhandel begleiten können und festgestellt, dass man doch vieles wieder retten und reparieren kann. Im vergangenen Jahr konnte ich bereits durch verschiedene Praktika die Arbeitswelt kennenlernen und in den Beruf der Karosseriebauerin
schnuppern. Auffällig war, dass in den Firmen, in denen jetzt schon Frauen arbeiten, ein tolles Arbeitsklima herrscht, es aber dennoch – und dies habe ich dann vor allem in der Bewerbungsphase gemerkt – auch viele Firmen des ,alten Schlags’ gibt, in denen Frauen nicht angenommen werden. Corona war hier selten der Grund. Bei Lueg stand nicht das Geschlecht im
Vordergrund, sondern die persönliche Qualifikation, und ich freue mich sehr auf die neue Herausforderung und auf die neuen Kolleginnen und Kollegen. Ich möchte jede Firma dazu ermutigen, unabhängig vom Berufsfeld allen Geschlechtern offen gegenüberzutreten.“
Eric Wilkniß (20) beginnt Anfang August eine Ausbildung als Fahrzeugsattler bei der Auto-und Bootspolsterei Gläser und Müller in Düsseldorf:
„Ich habe 2019 mein Abitur gemacht. Dann wollte ich erst einmal auf Reisen gehen, das war wegen Corona aber nicht möglich. Dann habe ich Wirtschaftsingenieurswesen studiert. Da habe ich recht schnell gemerkt, dass das nichts für mich ist. Auch wegen Corona. Wenn ich in der Uni gewesen wäre, weiß ich nicht, ob ich das Studium so schnell abgebrochen hätte. Aber ich habe meine Kommilitonen nicht kennengelernt. Dann habe ich gemerkt, dass ich eher etwas Praktisches suche. Ich hatte schon immer eine Leidenschaft
für Autos und Oldtimer. Und ich habe schon immer gerne genäht, habe bei meinen Freunden kleinere Reparaturen – zum Beispiel an Taschen – vorgenommen. Mein Vater ist zudem Kfz-Mechaniker, ich habe schon zu Hause immer an Autos geschraubt. Dann bin ich auf die Idee gekommen, eine Ausbildung zum Fahrzeugsattler zu machen. Die Ausbildung geht drei Jahre. Jetzt mache ich bei dem Betrieb, bei dem ich jetzt bin, ein Praktikum. Das geht noch bis Ende Juli, Anfang August beginnt meine Ausbildung. Seit ich das Praktikum mache, habe ich wieder Motivation, morgens aufzustehen. Wieder täglich Menschen zu sehen, ist ein ganz anderes Lebensgefühl. Ich war während des Studiums wirklich total unzufrieden. Das Schöne an dem Beruf ist, dass man keinen Tag dasselbe macht. Mal näht man einen Tag, mal mache ich ein Cabrio-Verdeck neu, mal sind es auch ganz andere Aufgaben.“
Daniil Bartholomae (27) beginnt eine Ausbildung als Fachinformatiker für Systemintegration bei der Firma Cancom in Langenfeld:
„Ich habe 2015 mein Fachabi gemacht. Ein Jahr später habe ich eine Elektriker-Ausbildung begonnen. Doch das Arbeitsklima dort war wirklich nicht gut. Mir ging es auch psychisch in dieser Zeit nicht gut. Die Ausbildung habe ich dann nicht beendet und mich in Düsseldorf in eine berufliche Reha begeben. Das hat mein Selbstbewusstsein gestärkt, mir ist in dieser Zeit auch klargeworden, dass ich mir vorstellen kann, in der IT-Branche zu arbeiten. Im September 2020 habe ich dann ein Praktikum in einem IT-Unternehmen in Bochum absolviert. Da habe ich viel beim IT-Support geholfen, an technischen Systemen gearbeitet, auch mit der Hardware experimentiert. Ich merkte, das macht mir Spaß. Weitere Praktika habe ich wegen der Pandemie nicht bekommen, das war in vielen Betrieben wegen Corona nicht möglich. Nebenher habe ich noch als Amazon-Fahrer gearbeitet. Da war vor allem im Lockdown sehr viel los. Deswegen habe ich auch erst im April 2021 angefangen, Bewerbungen zu schreiben. 15 Bewerbungen habe ich verschickt, insgesamt wurde ich zu drei Vorstellungsgesprächen eingeladen. Anfang Juli habe ich dann die Zusage von der Firma Cancom, die haben mir direkt nach dem Videocall einen Vertrag angeboten. Ich habe wirklich ein gutes Gefühl.“