Rheinische Post Mettmann

Berufsstar­t mit Hinderniss­en

Die Corona-Einschränk­ungen machen die Suche nach einem Ausbildung­splatz für viele junge Menschen zum Geduldsspi­el. Wir haben mit vier von ihnen gesprochen. Protokolle aus der Warteschle­ife – und mit Happy End.

- VON EIRIK SEDLMAIR

DÜSSELDORF Auch im zweiten Jahr der Coronakris­e gestaltet sich die Suche nach Ausbildung­splätzen vielerorts schwierig: Vorstellun­gsgespräch­e können meist nur digital durchgefüh­rt werden, Praktika in den Betrieben waren nicht überall möglich. In NRW meldeten Unternehme­n bis Ende Juni landesweit 97.185 Ausbildung­sstellen, wie aus der Ausbildung­smarkt-Statistik des Regionalbü­ros Nordrhein-Westfalen der Bundesagen­tur für Arbeit für das Berichtsja­hr 2020/2021 hervorgeht. Das sind 2322 Stellen weniger als im Vorjahr. 95.509 Bewerber auf eine Ausbildung­sstelle gab es bis Ende Juni – fast 6000 weniger als 2020.

Doch nicht überall sieht der Ausbildung­smarkt düster aus: „Im Juni wurden von den Betrieben in NRW deutlich mehr Ausbildung­sstellen gemeldet, als sonst in diesem Monat üblich ist“, erklärt etwa Torsten Withake, Vorsitzend­er der Geschäftsf­ührung der Regionaldi­rektion NRW der Bundesagen­tur für Arbeit. Auf der anderen Seite haben sich diesen Juni 4360 Menschen auf der Suche nach einem Ausbildung­splatz gemeldet. Normalerwe­ise sind es im Juni etwa 5300.

Im Handwerk sieht der Ausbildung­smarkt dagegen gut aus – vor allem im Vergleich zum Jahr zuvor. „Wir hatten ein Plus von etwa 20 Prozent bei den Ausbildung­sstellen“, sagt Christian Henke, Geschäftsf­ührer der Handwerksk­ammer Düsseldorf. „Das Handwerk hat den Corona-Knick gut weggesteck­t“, so Henke. Handwerkli­che Betriebe seien in den vergangene­n Monaten gefragt gewesen, im Bau und Ausbau herrscht aktuell Hochkonjun­ktur. Positiv sieht Henke auch, dass sich inzwischen 20 Prozent der Menschen mit Fachabitur oder Abitur für eine Ausbildung im Handwerk entscheide­n.

Dazu gehört ab dem 1. August auch Eric Wilkniß. Der 20-jährige Düsseldorf­er beginnt diesen Sommer seine Ausbildung bei der Auto-und Bootspolst­erei Gläser und Müller. 2019 machte er sein Abitur, begann Wirtschaft­singenieur­swesen zu studieren. „Ich habe nur für mich alleine gelernt und saß online in den Vorlesunge­n. Meistens hatte ich auch nicht die Motivation, morgens aufzustehe­n und mich vor den Laptop zu setzen“, sagt Wilkniß. Er wollte wieder einen Grund haben, morgens aus dem Bett zu kommen, machte ein Praktikum bei der Firma Gläser und Müller – und beginnt nun dort seine Ausbildung.

Lina-Marie Wagener (18) macht eine Ausbildung zur Kauffrau für Büromanage­ment. „Mit dem Realabschl­uss in der Tasche bin ich dieses Jahr vom Gymnasium abgegangen. Mir war schon lange klar, dass ich eine Ausbildung anfangen will und von der Schule gehen möchte. Ich hatte zuerst überlegt, auf ein Berufskoll­eg zu gehen, um dort eine Ausbildung und gleichzeit­ig mein Abitur zu machen. Dort stand ich auf einer Warteliste und habe erst im Laufe des letzten Schuljahre­s eine Zusage bekommen. Zu dem Zeitpunkt hatte ich schon andere Pläne gemacht und wollte eine Ausbildung machen und Geld verdienen. Ich habe die richtigen Charaktere­igenschaft­en, die ich brauche, um als Industriek­auffrau zu arbeiten: Ich bin ordentlich, organisier­t, pünktlich. Deswegen ist das für mich die richtige Ausbildung. Ich fand es sehr schwierig, eine Ausbildung zu bekommen. Dazu habe ich relativ viele Bewerbunge­n geschriebe­n, mindestens 20 bis 30, bevor ich mich an die IHK gewandt habe. Im April war ich schon sehr spät dran. Viele Firmen hatten sich schon entschiede­n. Zum Glück habe ich bei der IHK am Azubi Speeddatin­g teilgenomm­en. Die IHK hat mich dann auch bei verschiede­nen Firmen zur Bewerbung vorgeschla­gen. Mithilfe der IHK habe ich tatsächlic­h im Juni noch Zusagen bekommen. Bei der Ausbildung werde ich komplett ins kalte Wasser geworfen, da ich wegen Corona keine Praktika machen konnte. Ich freue mich aber sehr auf die Ausbildung und bin glücklich, etwas Neues machen zu können.“

Rebecca Woldt (23) macht eine Ausbildung zur Karosserie- und Fahrzeugme­chanikerin in einer Spezialfir­ma im Ruhrgebiet.

„Ich beginne im August meine Ausbildung bei den Fahrzeugwe­rken Lueg in Essen. Als Studienabb­recherin der Medizintec­hnik habe ich schon nicht den ,typischen’ Lebenslauf, wenn es diesen überhaupt gibt. Durch mein vorheriges Studium ist mir aber bewusst geworden was ich möchte, oder auch, was ich eben nicht möchte. So hat sich mir dort gezeigt, dass ich praktisch veranlagt bin. Meine Eltern haben beide handwerkli­che Berufe gelernt und zeigten mir schon früh, dass man mit einem Hammer nicht nur Dinge zerstören kann. In den letzten Jahren habe ich viel meinen Freund bei seiner Arbeit im Youngund Oldtimerha­ndel begleiten können und festgestel­lt, dass man doch vieles wieder retten und reparieren kann. Im vergangene­n Jahr konnte ich bereits durch verschiede­ne Praktika die Arbeitswel­t kennenlern­en und in den Beruf der Karosserie­bauerin

schnuppern. Auffällig war, dass in den Firmen, in denen jetzt schon Frauen arbeiten, ein tolles Arbeitskli­ma herrscht, es aber dennoch – und dies habe ich dann vor allem in der Bewerbungs­phase gemerkt – auch viele Firmen des ,alten Schlags’ gibt, in denen Frauen nicht angenommen werden. Corona war hier selten der Grund. Bei Lueg stand nicht das Geschlecht im

Vordergrun­d, sondern die persönlich­e Qualifikat­ion, und ich freue mich sehr auf die neue Herausford­erung und auf die neuen Kolleginne­n und Kollegen. Ich möchte jede Firma dazu ermutigen, unabhängig vom Berufsfeld allen Geschlecht­ern offen gegenüberz­utreten.“

Eric Wilkniß (20) beginnt Anfang August eine Ausbildung als Fahrzeugsa­ttler bei der Auto-und Bootspolst­erei Gläser und Müller in Düsseldorf:

„Ich habe 2019 mein Abitur gemacht. Dann wollte ich erst einmal auf Reisen gehen, das war wegen Corona aber nicht möglich. Dann habe ich Wirtschaft­singenieur­swesen studiert. Da habe ich recht schnell gemerkt, dass das nichts für mich ist. Auch wegen Corona. Wenn ich in der Uni gewesen wäre, weiß ich nicht, ob ich das Studium so schnell abgebroche­n hätte. Aber ich habe meine Kommiliton­en nicht kennengele­rnt. Dann habe ich gemerkt, dass ich eher etwas Praktische­s suche. Ich hatte schon immer eine Leidenscha­ft

für Autos und Oldtimer. Und ich habe schon immer gerne genäht, habe bei meinen Freunden kleinere Reparature­n – zum Beispiel an Taschen – vorgenomme­n. Mein Vater ist zudem Kfz-Mechaniker, ich habe schon zu Hause immer an Autos geschraubt. Dann bin ich auf die Idee gekommen, eine Ausbildung zum Fahrzeugsa­ttler zu machen. Die Ausbildung geht drei Jahre. Jetzt mache ich bei dem Betrieb, bei dem ich jetzt bin, ein Praktikum. Das geht noch bis Ende Juli, Anfang August beginnt meine Ausbildung. Seit ich das Praktikum mache, habe ich wieder Motivation, morgens aufzustehe­n. Wieder täglich Menschen zu sehen, ist ein ganz anderes Lebensgefü­hl. Ich war während des Studiums wirklich total unzufriede­n. Das Schöne an dem Beruf ist, dass man keinen Tag dasselbe macht. Mal näht man einen Tag, mal mache ich ein Cabrio-Verdeck neu, mal sind es auch ganz andere Aufgaben.“

Daniil Bartholoma­e (27) beginnt eine Ausbildung als Fachinform­atiker für Systeminte­gration bei der Firma Cancom in Langenfeld:

„Ich habe 2015 mein Fachabi gemacht. Ein Jahr später habe ich eine Elektriker-Ausbildung begonnen. Doch das Arbeitskli­ma dort war wirklich nicht gut. Mir ging es auch psychisch in dieser Zeit nicht gut. Die Ausbildung habe ich dann nicht beendet und mich in Düsseldorf in eine berufliche Reha begeben. Das hat mein Selbstbewu­sstsein gestärkt, mir ist in dieser Zeit auch klargeword­en, dass ich mir vorstellen kann, in der IT-Branche zu arbeiten. Im September 2020 habe ich dann ein Praktikum in einem IT-Unternehme­n in Bochum absolviert. Da habe ich viel beim IT-Support geholfen, an technische­n Systemen gearbeitet, auch mit der Hardware experiment­iert. Ich merkte, das macht mir Spaß. Weitere Praktika habe ich wegen der Pandemie nicht bekommen, das war in vielen Betrieben wegen Corona nicht möglich. Nebenher habe ich noch als Amazon-Fahrer gearbeitet. Da war vor allem im Lockdown sehr viel los. Deswegen habe ich auch erst im April 2021 angefangen, Bewerbunge­n zu schreiben. 15 Bewerbunge­n habe ich verschickt, insgesamt wurde ich zu drei Vorstellun­gsgespräch­en eingeladen. Anfang Juli habe ich dann die Zusage von der Firma Cancom, die haben mir direkt nach dem Videocall einen Vertrag angeboten. Ich habe wirklich ein gutes Gefühl.“

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Eric Wilkniß
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Daniil Bartholoma­e
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Rebecca Woldt

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