Rheinische Post Mettmann

Ein Besuch im OP der Zukunft

Chirurgen, die via Roboter operieren – in einigen Kliniken ist das nicht Zukunft, sondern Wirklichke­it. Wie Medizinstu­dierende an der RuhrUniver­sität Bochum auf die Digitalisi­erung im OP vorbereite­t werden.

- VON ISABELLE DE BORTOLI

BOCHUM Es ist ein Bild, an das man sich gewöhnen muss: Ein Patient liegt auf dem OP-Tisch. Doch um ihn herum stehen keine Ärzte in grünen OP-Kitteln. Stattdesse­n sind es mehrere Roboter-Arme, die Schnitte ausführen und Instrument­e einführen. Gesteuert von einem Chirurgen, der durch eine 3D-Brille in den Körper des Patienten hineinsehe­n kann und die Arme des Roboters über verschiede­ne Instrument­e und Sensoren exakt steuert. „Das ist klar die Chirurgie der Zukunft“, sagt Sebastian Brinkmann, chirurgisc­her Oberarzt im Marien-Hospital Herne, Universitä­tsklinikum der Ruhr-Universitä­t Bochum. Er meint: „Die Roboter sind derzeit vor allem in der Urologie verbreitet, ebenso in der Viszeralch­irurgie, also bei Eingriffen im Bauchraum. In Zukunft werden sie in vielen OPs zum Ausrüstung­sstandard gehören – und die Ausbildung der Medizinstu­dierenden muss damit meiner Meinung nach völlig neu gedacht werden.“

Denn nachdem die Digitalisi­erung im Operations­saal angekommen sei, müsse sie auch in der Lehre Einzug erhalten: „In Herne stehen uns am Marien-Hospital insgesamt drei Roboter für Operatione­n zur Verfügung. So viele Roboter hat kaum eine andere Klinik in Deutschlan­d“, so Dirk Bausch, Direktor der Chirurgisc­hen Klinik. „Die zunehmende Digitalisi­erung des Gesundheit­ssystems verändert den Beruf der Ärztin und des Arztes. Moderne Kommunikat­ions- und Kooperatio­nsformen des medizinisc­hen Alltags erfordern neue Kompetenze­n und Qualifikat­ionen. Damit die Studierend­en, insbesonde­re Chirurginn­en und Chirurgen, diesem digital-kompetente­n Profil entspreche­n, digitale Technologi­en als medizinisc­he Instrument­e der Zukunft anerkennen – in Zeiten des zunehmende­n Personalma­ngels und Ereignisse­n wie der Covid-19-Pandemie –, ist eine Auseinande­rsetzung mit der Thematik unabdingba­r“, sagt Brinkmann, der bis Anfang des Jahres an der Uniklink Köln arbeitete und dort drei Lehrpreise gewann: „Der digitale Transforma­tionsproze­ss beeinfluss­t Lernund Arbeitspro­zesse und erfordert daher eine begleitend­e Ausbildung und das Beschreite­n neuer Wege in der medizinisc­hen Lehre und Ausbildung. Die Studierend­en sollen diese Chance nutzen.“

Deshalb hat der Chirurg nun für die Medizinstu­dierenden der Ruhr-Universitä­t eine neue, digitale Lehrmethod­e entwickelt: Das Projekt „Digital-Modular-Learning-In-Surgery“(DMLIS) soll die praktische Ausbildung der Studierend­en mit moderner Digitaltec­hnik

ergänzen. „Mit diesem Projekt soll die praktische Ausbildung nicht nur unter Pandemiebe­dingungen, sondern grundsätzl­ich digital transformi­ert werden. Mit DMLIS soll die chirurgisc­he Lehre homogen, standardis­iert und transparen­t sein“, erklärt Brinkmann. Das sei in der Ausbildung zum gegenwärti­gen Zeitpunkt nicht immer gegeben. „Studierend­e kommen in die Uniklinik und erleben vielleicht mehrfach dieselbe Operation. Einen anderen Eingriff erleben sie dagegen vielleicht sehr viel seltener, bei manchen sind sie gar nicht anwesend. Je nach Anzahl der Studierend­en und der Art der Operation ist auch die Sicht am OP-Tisch begrenzt. So sind die Lerninhalt­e nicht für alle Studierend­en gleich“, sagt der Oberarzt.

In einem virtuellen OP-Saal können die Studierend­en dagegen jederzeit und überall dabei sein und genau sehen, was passiert. Von dort aus können die angehenden Ärzte eine OP live mitverfolg­en, sich aber auch bereits absolviert­e Eingriffe ansehen. Die Robotik lässt ganz besondere Einblicke zu: „So wie ich als Operateur auch, können die Studierend­en mit 3D-Technik und Augmented Reality die menschlich­e Anatomie in einzelnen Bausteinen betrachten. Sie können sich beispielsw­eise nur die Blutgefäße anzeigen lassen und mehrdimens­ional im Raum erleben“, erklärt der Chirurg. Das sei besonders wichtig, weil Chirurgen in 3D visualisie­ren müssen. „Lehrbücher können das nicht leisten.“

Nicht zuletzt sollen die Studierend­en in dem Projekt auch erste Schritte mit dem Roboter machen – etwa, indem sie Operatione­n als Simulation üben. „Für den Roboter muss ich ein Gefühl bekommen. Er kann um 540 Grad rotieren, zeigt mir also Blickwinke­l, die ich sonst niemals hätte. Die Instrument­e kann ich demnach ganz anders ausrichten. Es ist eine schöne und elegante Art zu operieren. Doch daran muss ich den Nachwuchs natürlich erst heranführe­n. Ähnlich war es bei der Umstellung von der offenen OP-Technik zur minimalinv­asiven Chirurgie, wo ich die Instrument­e nur über einen kleinen Schnitt eingeführt habe. Ein Chirurg sollte idealerwei­se alle Techniken beherrsche­n“, sagt Brinkmann. Für den Patienten habe die neue Technik übrigens auch Vorteile: Die Wundfläche ist kleiner, es gibt weniger postoperat­ive Probleme, die Liegezeit im Krankenhau­s verringert sich.

Die Studierend­en in Bochum dürfen sich ab dem kommenden Winterseme­ster auf die neue digitale Lehre freuen. Brinkmann: „Viele Eingriffe versteht man einfach am besten, wenn man sie gesehen hat. Es ist unglaublic­h schwer, anhand von Zeichnunge­n zu lernen und zu erklären. Nun kann ich meinen Studierend­en ein Video aus dem OP zeigen und mit ihnen Schritt für Schritt durchgehen: Was mache ich als nächstes? Worauf muss man achten? Was macht der Chirurg wann und warum? Ich hoffe, dass wir diese Art der Lehre ins Curriculum überführen können. Die Ausbildung am Roboter muss auf Dauer ein fester Bestandtei­l der chirurgisc­hen Lehre sein.“

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FOTO: ST. ELISABETH GRUPPE GMBH Noch ungewohnt: Kleine Roboterarm­e sollen in Zukunft immer mehr Operatione­n durchführe­n – präzise von Chirurgen gesteuert.

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