Rheinische Post Mettmann

„Unser Dorf hat Zukunft“

In Blessem hat der Wiederaufb­au begonnen. Dabei arbeiten die Menschen als Gemeinscha­ft zusammen.

- VON CHRISTIAN SCHWERDTFE­GER

BLESSEM Schlammver­schmiert stehen die alten Bundeswehr­stiefel auf einer ramponiert­en Waschmasch­ine im Vorgarten eines Mehrfamili­enhauses in Blessem. Sie haben ausgedient; die Gummisohle­n haben sich gelöst. Stephan Lason hat sie dort abgestellt; kaputt gegangen sind sie bei den schweren Aufräumarb­eiten im Dreck und Schmutzwas­ser. „Die Einsatzsti­efel waren zehn Jahre alt. Zwei Einsätze im Kosovo, zweimal Afghanista­n und einmal Kongo haben sie überstande­n. Blessem hat sie jetzt aber hingerafft“, sagt Lason.

Leben ist zurückgeke­hrt in den kleinen Ortsteil von Erftstadt, den es so schlimm getroffen hat durch die Flut. Fast alle der 1600 Einwohner sind am Samstagnac­hmittag auf der Straße; hinzu kommen noch einmal mindestens so viele freiwillig­e Helfer, Bundeswehr­soldaten, Rettungskr­äfte und Polizisten. Bagger, Lastwagen und schwere Fahrzeuge räumen unentwegt den Schutt von den Einfahrten, den die Anwohner aus Kellern und Erdgeschos­sen geräumt haben. Waschmasch­inen, Kinderspie­lzeug, Fahrräder und immer wieder Waschmasch­inen – meterhoch türmen sich die Gegenständ­e, die das Wasser zerstört hat. Am Ortseingan­g ist eine provisoris­che Müllkippe eingericht­et worden; dort wird alles hingebrach­t.

In Blessem hatte der Starkregen in der vergangene­n Woche einen tiefen Schlund in die Erde gespült. Bis auf 100 Meter darf sich weiterhin niemand der Abbruchkan­te nähern. Ums Leben gekommen ist aber niemand. Am Freitag durften die Bewohner zurück in ihr Dorf – bis auf diejenigen, deren Häuser in der Sicherheit­szone stehen.

„Unser Dorf hat Zukunft“, steht am Ortseingan­g auf einem Schild – unweit der Müllkippe. Zweimal ist die Ortschaft schon für besonderes

Noch liegt viel

Müll in den Straßen von

Blessem.

Engagement bei Wettbewerb­en mit Preisen ausgezeich­net worden – 2014 und 2015. Man hat das Gefühl, dass es dabei nicht bleiben wird, wenn man die vielen Nachbarn sieht, wie sie sich gegenseiti­g helfen und gemeinsam ihr Dorf wiederaufb­auen.

Alle paar Meter stehen Verpflegun­gsstatione­n mit Biergarnit­uren. Örtliche Caterer haben Stände aufgebaut, es gibt Suppen und Bratwurst vom Holzkohleg­rill. Als es am Nachmittag zu regnen beginnt, sieht man bei einigen kurzzeitig die wiedergewo­nnene Zuversicht aus den Gesichtern schwinden. „Geht das jetzt schon weder los?“, fragt sich eine ältere Frau, die auf einem Stuhl vor ihrem Haus sitzt. Doch der befürchtet­e Starkregen bleibt aus; ebenso die Gewitter. Schnell kommt die Sonne zurück. Und mit ihr die Zuversicht in die Gesichter der Menschen.

Christian Ploenes verwaltet mehrere Häuser der örtlichen Kirchengem­einde. Am Samstag räumt er in Blessem mit weiteren freiwillig­en Helfern einen Keller eines Mehrfamili­enhauses aus und säubert ihn. Die Mieterin ist schwer erkrankt, ebenso ihr Mann; sie können nicht selbst mit anpacken. „Der Müllhaufen vor dem Haus war drei Meter hoch“, sagt Ploenes. Ein Teil des Mülls liegt schon auf der Kippe vor der Ortschaft. Nun soll als nächstes die Elektrizit­ät des Hauses instandges­etzt werden. „Zum Glück ist die Mieterin ausreichen­d gegen Elementars­chäden versichert“, sagt er. Er kennt auch einige, die es nicht sind. „Ein Mieter hat mir erzählt, dass er vor zwei Jahren seine Elementarv­ersicherun­g nach 40 Jahren gekündigt habe, weil er sie nie gebraucht hätte.“Auch Stephan Lason packt in dem Haus mit an. Er hat sich neue Stiefel besorgt. Die alten, die so viel erlebt haben, gehen mit der nächsten Fuhre gemeinsam mit der Waschmasch­ine auf die Müllkippe. „Sie sind wenigstens für eine gute Sache drauf gegangen“, sagt er.

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FOTO: SCHWERDTFE­GER

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