Kretschmann bringt Impfpflicht ins Spiel
Baden-Württembergs Regierungschef hält den Impfzwang für eine Option im Kampf gegen die Corona-Pandemie. Kanzleramts-Chef Helge Braun setzt auf mehr Einschränkungen für Ungeimpfte – und erntet Widerspruch.
BERLIN Kanzleramtsminister Helge Braun (CDU) und Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) haben nach umstrittenen Äußerungen über neue Einschränkungen für Ungeimpfte oder notfalls auch eine Impfpflicht scharfe Kritik einstecken müssen. CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet widersprach beiden Politikern, auch die FDP reagierte mit strikter Ablehnung. Ebenso von SPD, Linken und AfD gab es am Wochenende keine Unterstützung. Offen für die Vorschläge Brauns zeigten sich einzig die Grünen.
Sollten die Neuinfektionen weiter so zunehmen, müssten Ungeimpfte ihre Kontakte wieder reduzieren, sagte Braun der „Bild am Sonntag“. „Das kann auch bedeuten, dass gewisse Angebote wie Restaurant-, Kino- und Stadionbesuche selbst für getestete Ungeimpfte nicht mehr möglich wären, weil das Restrisiko zu hoch ist.“Helge Braun, der selbst Arzt ist, verwies auf die steigende Zahl von Corona-Infektionen: „Die Zahl der Neuinfektionen steigt noch schneller als in den vorherigen Wellen“, sagte der Minister und rief die Bürger eindringlich zum Impfen auf. Dafür gebe es zwei Argumente: Die Impfung schütze zu 90 Prozent vor einer schweren Corona-Erkrankung. „Und: Geimpfte werden definitiv mehr Freiheiten haben als Ungeimpfte“, sagte Braun.
Seit zweieinhalb Wochen steigt die Sieben-Tage-Inzidenz in Deutschland wieder kontinuierlich. Nach Angaben des Robert-Koch-Instituts (RKI) von Sonntag lag sie zuletzt bei 13,8. Die Infektionszahlen stiegen derzeit jede Woche um 60 Prozent, sagte Braun. Sollte sich die Impfquote nicht enorm verbessern oder sich das Verhalten der Bürger ändern, könne es Ende September jeden Tag 100.000 Neuinfektionen und eine Inzidenz von 850 geben.
Kretschmann ging angesichts dieser Entwicklung noch weiter und brachte eine Impfpflicht ins Spiel – allerdings noch nicht in nächster Zukunft. „Für alle Zeiten kann ich eine Impfpflicht nicht ausschließen“, sagte er. „Es ist möglich, dass Varianten auftreten, die das erforderlich machen.“
Dagegen betonte NRW-Ministerpräsident Laschet im ZDF: „Ich halte nichts von Impfpflicht und halte auch nichts davon, auf Menschen indirekt Druck zu machen, dass sie sich impfen lassen sollen.“Das Prinzip, dass man entweder geimpft, getestet oder genesen sein müsse, um bestimmte Dinge zu tun, sei richtig. „In einem freiheitlichen Staat gibt es Freiheitsrechte, nicht nur für bestimmte Gruppen“, betonte Laschet. Priorität müsse haben, möglichst viele Bürger von der Impfung zu überzeugen. „Wenn wir dann im
Herbst sehen, die Impfquote ist immer noch viel zu niedrig, finde ich, muss man dann weiter nachdenken. Aber nicht jetzt.“
FDP-Generalsekretär Volker Wissing forderte mehr wohnortnahe und unkomplizierte Impfangebote anstelle von mehr Zwang. „Anstatt mit Impflichten oder erneuten Kontaktbeschränkungen zu drohen, sollten die Verantwortlichen lieber alle Hebel in Bewegung setzen, damit die eingeschlafene Impfkampagne wieder Fahrt aufnimmt“, sagte Wissing unserer Redaktion. „Wir brauchen mehr niederschwellige Angebote, wie etwa wohnortnahe mobile Impfteams und Impfstationen in Einkaufszentren und Fußgängerzonen, um Unentschlossene von einer Impfung zu überzeugen“, so Wissing.
SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich verwies auf „hohe verfassungsrechtliche Hürden“bei der Ungleichbehandlung von Geimpften und Getesteten. Grünen-Chef
Robert Habeck zeigte sich dagegen offen dafür, Geimpften mehr Freiheiten zu geben. „In dem Moment, wo allen Menschen ein Impfangebot gemacht worden ist, sieht Solidarität so aus: Man muss sich nicht impfen lassen, aber kann nicht damit rechnen, dass alle anderen auf ihre Freiheit verzichten, weil man sich nicht hat impfen lassen“, sagte Habeck den Zeitungen der FunkeMediengruppe.
CSU-Chef Markus Söder forderte unterdessen eine verbindliche Formel aus Inzidenzwert, Impfquote und belegten Krankenhausbetten, „um zu wissen, ab wann Maßnahmen ergriffen werden müssen – und welche Rechte sich für Geimpfte daraus ergeben“, so der bayerische Ministerpräsident.