Salzige Brise in Kevelaer
Mit der Stadt am Niederrhein verbinden viele die Wallfahrt. Doch sie will sich breiter aufstellen, setzt auf Tourismus und Gesundheit. Entstanden ist ein Solepark mit Gradierwerk – mit Luft wie an der Nordsee.
Nur gut, dass es hier keine Maskenpflicht gibt. Denn nur so ist die frische Brise auch richtig zu spüren, die so angenehm salzig an die Nordsee erinnert. Keine Frage. Wer sich hier auf die modisch gewellten und gerade deswegen megabequemen Holzbänke niederlässt, muss aufpassen, dass ihm nicht schon nach kurzer Zeit die Augen zufallen. Das ausgelutschte Wort der Entschleunigung wird am Gradierwerk in Kevelaer mit Leben erfüllt. Eine kurze Pause an den leise rieselnden Solewänden ist tatsächlich echte Entspannung. Ganz im Sinne des Mottos „Gesund an Leib und Seele“unter dem der Komplex am Rande der City der Wallfahrtsstadt steht. Vor einem Jahr eröffnet, ist die Anlage zu einem Anziehungspunkt geworden. Und vielleicht hat dabei sogar die Corona-Pandemie geholfen. Denn während viele andere Ziele schließen mussten, blieb das Gradierwerk geöffnet. Schließlich ist das Gelände weitläufig, alles befindet sich unter freiem Himmel.
Mit dem Gradierwerk setzt die Stadt ihren Weg fort, sich ein zweites Standbein aufzubauen. Seit Jahrhunderten wird Kevelaer von der Wallfahrt geprägt. Doch die Zeiten, in denen mehr als eine Million Pilger in die Stadt kamen, sind vorbei. Daher will man jetzt mehr auf Tourismus setzen, auf Erholung. Auf Leib und Seele eben, womit dann auch wieder die Verbindung zur Wallfahrtsstadt hergestellt ist.
Entstanden ist die Anlage durch einen Zufall. Denn ursprünglich waren die Verantwortlichen der Stadt auf der Suche nach etwas anderem. Anfang des 20. Jahrhunderts gab es Bohrungen, man hoffte damals, Steinkohle zu finden. Statt dessen stieß man auf Thermalwasser und war erst einmal enttäuscht. Das Bohrloch wurde geschlossen, die Sache nicht weiter verfolgt. Viele Jahre später erinnerte sich der damalige Stadtdirektor Heinz Paal an den besonderen Bodenschatz und nahm Anfang der 90er-Jahre Kontakt mit Josef Klostermann auf. Der bekannte Geologe bohrte diesmal auf dem Hüls-Gelände und traf auch hier wieder auf Thermalwasser. Nach entsprechenden Proben gab es für das ganz besondere Wasser aus der Erde von Kevelaer die Anerkennung als Heilquelle. Der Grundstein für das Projekt in Kevelaer war gelegt. Doch bevor die Arbeiten starten konnten, gab es noch viele Diskussionen und Debatten. Vor allem um die Frage, ob Solequellen heute überhaupt noch zeitgemäß sind.
Die Diskussionen sind größtenteils verstummt. Eben auch weil das Gradierwerk zu einem Anziehungspunkt geworden ist, von dem am Ende dann auch die City profitiert. Für viele gehört es inzwischen einfach dazu, bei einem Besuch in Kevelaer auch am Gradierwerk vorbeizuschauen. Vorteil ist schließlich, dass die Anlage immer geöffnet ist.
Die Solequelle befindet sich in unmittelbarer Nähe zum Gradierwerk. Aus mehr als 500 Meter Tiefe wird das iodhaltige Heilwasser hochgepumpt und durch eine unterirdische Leitung zum Gradierwerk befördert. Hier sorgt die technische Anlage dafür, dass das Wasser von oben am Reisig herunter läuft. Durch die Verdunstung erhöht sich der Salzgehalt im Wasser. In Kevelaer beträgt er etwa 15 Prozent.
Die salzhaltige Luft ist intensiv, besonders im Inneren des Gradierwerks. Denn durch die besondere Muschelform hat die Anlage einen Innenhof, der windgeschützt ist. Hier bleiben die freigesetzten Salzpartikel noch länger in der Luft, das Einatmen wird noch erholsamer. Die Form der Muschel wurde gewählt, weil sie das Symbol der Pilger ist.
Das passt zum Slogan „Gesund an Leib und Seele“, mit dem man in der Marienstadt deutlich machen will, dass es auch um mehr als die reine körperliche Gesundheit geht. Eingebettet ist das Gradierwerk in einen Park mit verschiedenen Angeboten. Mit Unterstützung des Kneippvereins wurden beispielsweise ein Kneippbecken und ein Barfußpfad angelegt.
Integriert ist auch ein Bibelgarten: Beginnend mit dem Paradiesgarten schlängelt sich ein Weg durch verschiedene Bibelstellen
im Alten und Neuen Testament. Das Besondere: In jedem Areal stehen die Pflanzen, die für die jeweilige Geschichte charakteristisch sind und genau deshalb ihren Platz haben, zum Beispiel der Teufelskrückstock, die Blaue Libanon-Zeder, der Judasbaum und die Higan-Kirsche. Zu jedem Bereich gibt es eine eigene Bibelstelle. Auch hier wird wieder die Verbindung zur Wallfahrt deutlich.
Als Treffpunkt und Informations-Center mit öffentlichen WC-Anlagen prägt das Empfangsgebäude den Eingang zum Solegarten St. Jakob. Im Innenraum bieten Wandtafeln und Monitore Informationen zu Angeboten und Veranstaltungen. Blickfang ist dabei ein Baum, der durch die Decke quasi in den Himmel wächst.
Gut angenommen werden auch die neuen Boule-Felder. Die Spielgeräte dafür können bei der Kommune ausgeliehen werden. Die Anlage sei ein Alleinstellungsmerkmal für Kevelaer. Die Marienstadt habe auch die einzige Thermalquelle im Regierungsbezirk Düsseldorf. Zwar hat Xanten fast zeitgleich ebenfalls ein Gradierwerk eröffnet. Aber dort gibt es keine Heilquelle, und das Salz wird zugesetzt. Für die Stadt ist das Gradierwerk ein Baustein des Gesamtprojektes auf der Hüls zu dem auch noch das Restaurant Venga, ein Hotel sowie ein Haus mit medizinischen Angeboten gehört.