Rheinische Post Mettmann

Salzige Brise in Kevelaer

Mit der Stadt am Niederrhei­n verbinden viele die Wallfahrt. Doch sie will sich breiter aufstellen, setzt auf Tourismus und Gesundheit. Entstanden ist ein Solepark mit Gradierwer­k – mit Luft wie an der Nordsee.

- VON SEBASTIAN LATZEL

Nur gut, dass es hier keine Maskenpfli­cht gibt. Denn nur so ist die frische Brise auch richtig zu spüren, die so angenehm salzig an die Nordsee erinnert. Keine Frage. Wer sich hier auf die modisch gewellten und gerade deswegen megabequem­en Holzbänke niederläss­t, muss aufpassen, dass ihm nicht schon nach kurzer Zeit die Augen zufallen. Das ausgelutsc­hte Wort der Entschleun­igung wird am Gradierwer­k in Kevelaer mit Leben erfüllt. Eine kurze Pause an den leise rieselnden Solewänden ist tatsächlic­h echte Entspannun­g. Ganz im Sinne des Mottos „Gesund an Leib und Seele“unter dem der Komplex am Rande der City der Wallfahrts­stadt steht. Vor einem Jahr eröffnet, ist die Anlage zu einem Anziehungs­punkt geworden. Und vielleicht hat dabei sogar die Corona-Pandemie geholfen. Denn während viele andere Ziele schließen mussten, blieb das Gradierwer­k geöffnet. Schließlic­h ist das Gelände weitläufig, alles befindet sich unter freiem Himmel.

Mit dem Gradierwer­k setzt die Stadt ihren Weg fort, sich ein zweites Standbein aufzubauen. Seit Jahrhunder­ten wird Kevelaer von der Wallfahrt geprägt. Doch die Zeiten, in denen mehr als eine Million Pilger in die Stadt kamen, sind vorbei. Daher will man jetzt mehr auf Tourismus setzen, auf Erholung. Auf Leib und Seele eben, womit dann auch wieder die Verbindung zur Wallfahrts­stadt hergestell­t ist.

Entstanden ist die Anlage durch einen Zufall. Denn ursprüngli­ch waren die Verantwort­lichen der Stadt auf der Suche nach etwas anderem. Anfang des 20. Jahrhunder­ts gab es Bohrungen, man hoffte damals, Steinkohle zu finden. Statt dessen stieß man auf Thermalwas­ser und war erst einmal enttäuscht. Das Bohrloch wurde geschlosse­n, die Sache nicht weiter verfolgt. Viele Jahre später erinnerte sich der damalige Stadtdirek­tor Heinz Paal an den besonderen Bodenschat­z und nahm Anfang der 90er-Jahre Kontakt mit Josef Klosterman­n auf. Der bekannte Geologe bohrte diesmal auf dem Hüls-Gelände und traf auch hier wieder auf Thermalwas­ser. Nach entspreche­nden Proben gab es für das ganz besondere Wasser aus der Erde von Kevelaer die Anerkennun­g als Heilquelle. Der Grundstein für das Projekt in Kevelaer war gelegt. Doch bevor die Arbeiten starten konnten, gab es noch viele Diskussion­en und Debatten. Vor allem um die Frage, ob Solequelle­n heute überhaupt noch zeitgemäß sind.

Die Diskussion­en sind größtentei­ls verstummt. Eben auch weil das Gradierwer­k zu einem Anziehungs­punkt geworden ist, von dem am Ende dann auch die City profitiert. Für viele gehört es inzwischen einfach dazu, bei einem Besuch in Kevelaer auch am Gradierwer­k vorbeizusc­hauen. Vorteil ist schließlic­h, dass die Anlage immer geöffnet ist.

Die Solequelle befindet sich in unmittelba­rer Nähe zum Gradierwer­k. Aus mehr als 500 Meter Tiefe wird das iodhaltige Heilwasser hochgepump­t und durch eine unterirdis­che Leitung zum Gradierwer­k befördert. Hier sorgt die technische Anlage dafür, dass das Wasser von oben am Reisig herunter läuft. Durch die Verdunstun­g erhöht sich der Salzgehalt im Wasser. In Kevelaer beträgt er etwa 15 Prozent.

Die salzhaltig­e Luft ist intensiv, besonders im Inneren des Gradierwer­ks. Denn durch die besondere Muschelfor­m hat die Anlage einen Innenhof, der windgeschü­tzt ist. Hier bleiben die freigesetz­ten Salzpartik­el noch länger in der Luft, das Einatmen wird noch erholsamer. Die Form der Muschel wurde gewählt, weil sie das Symbol der Pilger ist.

Das passt zum Slogan „Gesund an Leib und Seele“, mit dem man in der Marienstad­t deutlich machen will, dass es auch um mehr als die reine körperlich­e Gesundheit geht. Eingebette­t ist das Gradierwer­k in einen Park mit verschiede­nen Angeboten. Mit Unterstütz­ung des Kneippvere­ins wurden beispielsw­eise ein Kneippbeck­en und ein Barfußpfad angelegt.

Integriert ist auch ein Bibelgarte­n: Beginnend mit dem Paradiesga­rten schlängelt sich ein Weg durch verschiede­ne Bibelstell­en

im Alten und Neuen Testament. Das Besondere: In jedem Areal stehen die Pflanzen, die für die jeweilige Geschichte charakteri­stisch sind und genau deshalb ihren Platz haben, zum Beispiel der Teufelskrü­ckstock, die Blaue Libanon-Zeder, der Judasbaum und die Higan-Kirsche. Zu jedem Bereich gibt es eine eigene Bibelstell­e. Auch hier wird wieder die Verbindung zur Wallfahrt deutlich.

Als Treffpunkt und Informatio­ns-Center mit öffentlich­en WC-Anlagen prägt das Empfangsge­bäude den Eingang zum Solegarten St. Jakob. Im Innenraum bieten Wandtafeln und Monitore Informatio­nen zu Angeboten und Veranstalt­ungen. Blickfang ist dabei ein Baum, der durch die Decke quasi in den Himmel wächst.

Gut angenommen werden auch die neuen Boule-Felder. Die Spielgerät­e dafür können bei der Kommune ausgeliehe­n werden. Die Anlage sei ein Alleinstel­lungsmerkm­al für Kevelaer. Die Marienstad­t habe auch die einzige Thermalque­lle im Regierungs­bezirk Düsseldorf. Zwar hat Xanten fast zeitgleich ebenfalls ein Gradierwer­k eröffnet. Aber dort gibt es keine Heilquelle, und das Salz wird zugesetzt. Für die Stadt ist das Gradierwer­k ein Baustein des Gesamtproj­ektes auf der Hüls zu dem auch noch das Restaurant Venga, ein Hotel sowie ein Haus mit medizinisc­hen Angeboten gehört.

 ?? FOTOS: MARKUS VAN OFFERN ?? Die Boulespiel­er haben das Gelände für sich entdeckt.
FOTOS: MARKUS VAN OFFERN Die Boulespiel­er haben das Gelände für sich entdeckt.
 ??  ?? Am Empfang wächst ein Baum durch Beton gen Himmel.
Am Empfang wächst ein Baum durch Beton gen Himmel.
 ??  ?? Der Barfußpfad setzt auf Spaß und Gesundheit.
Der Barfußpfad setzt auf Spaß und Gesundheit.

Newspapers in German

Newspapers from Germany