„Das Reisen hat an Wert gewonnen“
Explorer will expandieren, auf neue Locations setzen und Sehnsuchtsziele vom Sofa aus erlebbar machen.
DÜSSELDORF Explorer Fernreisen wurde 1970 als Afrika-Spezialist in der Landeshauptstadt gegründet und ist heute als Fernreise-Veranstalter im deutschsprachigen Raum etabliert. Schon lange sind Rüdiger Berger (67) und Marco Hansen (46) mit an Bord, seit fünf Jahren sind sie die Geschäftsführer des Unternehmens. Dem tiefgreifenden Umbruch durch die Corona-Krise konnte auch ihre Branche nicht entkommen. Nun setzt das Duo auf Innovationen.
Von jetzt auf gleich kam im März 2020 der Lockdown. Haben Sie die Eindrücke des vergangenen Jahres einigermaßen verarbeiten können?
MARCO HANSEN Wir haben harte Zeiten hinter uns. Als es mit den Rückholaktionen losging, haben wir sechs Wochen Tag und Nacht durchgearbeitet, um unsere Kunden nach Hause zu bringen. Das Geschäft war am Boden, aber wir hatten noch die Hoffnung, dass wir im Juli oder August wieder normaler arbeiten könnten. Dann hieß es aber bis in den Herbst hinein und bis heute: Kosten sparen! Wir haben jeden Euro umgedreht, neue Produkte kreiert.
Was für Produkte sind das?
RÜDIGER BERGER Wir haben Ziele innerhalb Europas ins Programm genommen, was für einen Fernreise-Spezialisten eine große Herausforderung war. Auf Koh Samui zum Beispiel oder in Namibia, auf den Seychellen, Malediven und in der Karibik kannten unsere Mitarbeiter jeden Stein, aber was Mallorca oder auf den Kanaren los ist, war Neuland. Die Umstellung haben wir rasch vorangetrieben. Auch Island und Skandinavien, Griechenland, Madeira und Kreuzfahrten haben wir neu ins Portfolio aufgenommen. Durch unser Tauchprodukt Orca haben wir eine kleine Brücke zu Europareisen gehabt. Das hat ganz gut Fuß gefasst, der Markt funktionierte schnell wieder, vielleicht weil die Taucher sich denken: Unter Wasser passiert eh nicht viel.
Der Hauptsitz von Explorer Fernreisen ist Düsseldorf, insgesamt gibt es 13 Niederlassungen. Eine Entlassungswelle blieb Ihnen erspart?
BERGER Etwa 20 von 150 Kollegen gingen bedingt durch die Perspektivlosigkeit in der Pandemie von sich aus – vergleichbar mit Hotellerie und Gastronomie. Die haben in andere Branchen gewechselt. Wir haben aber keinen aktiv entlassen, unsere Maßgabe war immer, alle zu halten.
Sind Sie zufrieden mit den staatlichen Hilfen?
BERGER Da können wir kategorisch sagen: Nein! Aus den Überbrückungshilfen I und II erhielten wir für 2020 gerade einmal 350.000 Euro für neun Monate, in denen wir gar keine Einnahmen hatten, sogar Kosten übernehmen mussten, da unsere Kunden einen hundertprozentigen Anspruch auf Erstattung hatten, selbst wenn wir Leistungsträger bezahlen mussten. Mit der Überbrückungshilfe III erwarten wir größere Summen, aber wir wissen nicht, wie es vorangeht. Bislang leben wir immer noch von Ressourcen und den Möglichkeiten, die man im Rahmen der Kurzarbeit hat. Nur das Kurzarbeitergeld von Seiten des Staates ist gut gelaufen, das war toll. Großer Dank gebührt einigen Vermietern, die sich zu Mietstundungen und Mietreduzierungen bereit erklärten.
Was sagen Ihre blanken Zahlen über den Impact der Corona-Krise aus?
BERGER In guten Jahren haben wir 60.000 Reisende pro Jahr. 2021 gab es Reiseverbots-Phasen, wo alles auf null war. Insgesamt kamen wir da vielleicht auf 20 Prozent der Bestmarken. 2022 wollen wir wieder anknüpfen an die 60.000 Reisenden. Und wir sind zuversichtlich: Der Markt hat sich verkleinert, es gibt einen Nachholbedarf.
Allerorten hat Corona tiefe Spuren hinterlassen. Wie sehr hat sich der Markt verkleinert?
HANSEN Einige Spezialisten bundesweit sind nicht mehr da. Im Moment ist es schwer, zu sagen, wer wieder aufmacht, wir dürfen ja erst seit Mitte Mai wieder. Für die Reisebüros schätze ich – auch für Düsseldorf – mit etwa 20 Prozent, die vom Markt
verschwinden könnten.
Wie sieht Ihre Zukunftsperspektive aus?
HANSEN Für 2022 sehen wir, dass munter gebucht wird. Die Nachfrage ist da, es gibt Neubuchungen, aber die sind kurzfristig, weil die Kunden das Ping-Pong um Stornierungen und Umbuchungen nicht mitmachen wollen. Jetzt fokussiert sich alles auf diesen August und langfristig auf die USA und Kanada.
Wie lähmend ist die Ungewissheit?
HANSEN Sehr. Deswegen ist es wichtig, dass wir für unsere Kunden immer erreichbar sind. Die Leute rufen hier an, um sich beraten zu lassen. BERGER Denn die Reise an sich startet nicht einfach wie früher. Ich brauche hier eine Bescheinigung, da einen Nachweis, muss mich bei der nationalen Gesundheits-App anmelden. Das sind wichtige Themen, wir informieren und merken, dass die Kunden das wertschätzen. Man braucht jemanden, der strukturiert erklärt, was zu machen ist.
Weil Reiseveranstalter wie Sie mit Sachkenntnis auftrumpfen können, gehen Sie eventuell gestärkt aus der Krise hervor?
HANSEN In so einer unsicheren Zeit ist eine profunde Beratung viel wert.
Viele Kunden buchen im Internet, rufen dann aber bei uns an, um an Infos zu kommen. Demnächst buchen sie vielleicht direkt bei uns. Verlässlichkeit ist das A und O. Außerdem wurde die Wertigkeit des Reisens aufgewertet. Mehr denn je ist es etwas Besonderes, weit weg zu verreisen, weil es auf einmal nicht mehr selbstverständlich ist.
Wenn man sich so umhört, dann machen viele Menschen immer noch in der Nähe Urlaub. Wird sich das wieder ändern?
HANSEN Das ist ein Phänomen dieses Jahres, weil ja erst einmal auch nicht viel möglich war. Aber: Eine Kollegin zum Beispiel wollte am Bodensee zwei Wochen Urlaub machen und sollte 5000 Euro zahlen. Das war ihr zu teuer. Es war auch deshalb teuer, weil die Nachfrage hoch war, weil jeder hier bleiben wollte. Das wird sich aber wieder ändern, die Menschen wollen was sehen von der Welt. Das ist wie eine Art Urprogramm.
BERGER Campen ist total in und Hausboote – über Jahre wollte die niemand, und plötzlich will jeder in seinem Cocon unterwegs sein. Die Menschen sind unter sich, es gibt wenig Berührungspunkte. Beim Campen wissen wir jetzt schon, dass es 2022 – zum Beispiel für USA und
Kanada – Engpässe geben wird. 20 Prozent unseres Geschäftes machen wir mit diesen Ländern, wie überhaupt jeder Kontinent mit einer Wertigkeit von 20 Prozent dabei ist.
Während der Corona-Krise kamen Sie auf die Idee, ein „Couch Travel“anzubieten. Wie wurde das angenommen?
HANSEN Das ist eine virtuelle Rundreise durch Sehnsuchtsorte. Denn wir haben erkannt, dass es eine Schnittmenge gibt aus den Bereichen Reisen, Kulinarik, Erleben, Gänsehautmomenten. Den Grand Canyon sehen, im Heißluft-Ballon durch die Lüfte fahren, Angkor Wat erleben. Der erste Versuch ist so gut angelaufen mit Thailand, dass wir das unbedingt weiter machen wollten. Wir schalten zu Kollegen vor Ort in Hotels am Strand oder schauen im Urwald auf Elefanten. Dazu schalten wir auch mal zu Top-Köchen wie Dieter Müller oder Tristan Brandt. Diesen Lifestyle mögen Reisekunden offenbar.
Viele Unternehmen trieben in der Corona-Krise die Digitalisierung voran, Sie auch?
HANSEN Auch wir haben die Technik grundlegend modernisiert, es gibt eine neue Software, um Arbeitsprozesse zu vereinfachen und zu beschleunigen. Eine neue Webseite – korrespondierend mit den „Couch Travels“– wird es auch bald geben: reise-trends.de. Wir wollen auch weiter expandieren.
Gibt es Grenzen des Wachstums für Sie?
HANSEN Die Kombination von guter Technik und Präsenz vor Ort ist gut. Das sehen Sie auch bei Zalando jetzt auf der Kö. Das ist für uns ein gutes Beispiel, Online und Offline müssen gut ineinander greifen. Wenn jemand für eine Reise 10.000 Euro ausgeben will, dann kommt der auch gerne mal in den Laden und will mit einem Menschen visà-vis sprechen. Es wird mehr Büros geben, aber die Lagen werden sich verändern. Wenn Sie hier auf die andere Straßenseite schauen, dann ist die Tokio Lounge statt im Erdgeschoss in der ersten Etage, solche Flächen könnten auch interessant werden für uns.