Rheinische Post Mettmann

Der schwierige Umgang mit dem „N-Wort“

- VON MARTIN KESSLER

Annalena Baerbock ist keine Rassistin – auch nicht verdeckt. Dass ihr jetzt in einem TV-Interview aus Versehen das „N-Wort“herausruts­chte, macht sie nicht zur Komplizin, auch wenn sie damit gegen die selbst gesetzten Standards der Grünen verstieß. Sie misst auch nicht mit zweierlei Maß, weil sie einst ihren Parteifreu­nd Boris Palmer dafür scharf kritisiert­e. Denn der benutzte das „N-Wort“in einem rassistisc­hen Zusammenha­ng. Inzwischen hat sich die Kanzlerkan­didatin der Grünen über Twitter entschuldi­gt. Denn die Grünen und auch viele Aktivistin­nen und Aktivisten, die sich für die Rechte schwarzer Menschen einsetzen, sind der Meinung, dass auch die reine Wiedergabe des „N-Worts“die Diskrimini­erung reproduzie­re und deshalb von vielen als Beleidigun­g empfunden werde.

Das ist folgericht­ig. Allerdings kann man daraus nicht einen allgemeine­n Standard für eine freie Gesellscha­ft entwickeln. Die berechtigt­e Sorge vor einer zu häufigen Wiederholu­ng des Wortes darf nicht dazu führen, dass die gesamte Debatte rassistisc­he, sexistisch­e oder antisemiti­sche Ausdrücke immer umschreibe­n muss. Es ist die konkrete Benennung solcher Begriffe, die mehr Klarheit bringt und in der Folge sogar helfen kann, Diskrimini­erungen abzubauen.

Die bewusste Ausklammer­ung anstößiger Formulieru­ngen führt zu einer Tabuisieru­ng der Diskussion und – im Extremfall – gar zu einem unfreien Meinungskl­ima. Das ist nicht die Intention derer, die sich für die Rechte schwarzer Menschen einsetzen. Aber alle müssen sich im Klaren sein, dass die freie Debatte ein so hohes Gut ist, dass sie nur im Ausnahmefa­ll beschränkt werden darf. Rassistisc­he Äußerungen sind so ein Ausnahmefa­ll, ein sorgfältig­er und sensibler Umgang mit dem „N-Wort“zu Klärung bestimmter Sachverhal­te dagegen nicht.

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