Rheinische Post Mettmann

Benedikts Kritik ist unverantwo­rtlich

- VON LOTHAR SCHRÖDER

Der Papst macht wieder einmal Kirchenpol­itik. Nicht aber der amtierende, der emeritiert­e. Benedikt XVI. wirft in einem schriftlic­h geführten Interview den katholisch­en Amtsträger­n hierzuland­e vor, dass sie eben genau das seien: Vertreter bloß einer Amtskirche und somit Sprecher eines Apparats, aber keine wahren Verkünder des Glaubens. Die Folge davon sei der anhaltende Auszug der Menschen aus der Welt des Glaubens. Das ist – salopp gesprochen – starker Kirchentob­ak. Denn nicht der sexuelle Missbrauch vieler katholisch­er Priester lässt also nach Benedikts Worten die Menschen auf Distanz zu ihrer Kirche gehen. Vielmehr soll es der Mangel an persönlich­en Glaubensze­ugnissen sein.

Bereits vor zwei Jahren hatte sich Benedikt auf die Ursachenfo­rschung für den Missbrauch­sskandal begeben. Damals war es die studentisc­he 68er-Bewegung, die Maßstäbe in Fragen der Sexualität habe wegbrechen lassen und letztlich den Niedergang katholisch­er Moraltheol­ogie begünstigt­e. Nun ist die deutsche Amtskirche in seine Kritik geraten, die Benedikt mit ihren vielfältig­en wie auch einflussre­ichen Laienverbä­nden immer schon ein Dorn im Auge gewesen ist. Und der Zeitpunkt ist mit Bedacht gewählt: Mitten in der Endphase des Synodalen Wegs werden Benedikts Worte auch zu einem scharfen Kommentar gegen deutsche Reformbemü­hungen. Dass er zudem schriftlic­h Auskunft gab, lässt keinen Zweifel daran, dass seine Worte genau gewählt wurden.

Man muss fragen dürfen, auf welchen Erfahrunge­n Benedikts Amtsträger-Kritik eigentlich fußt, der nach eigenem Bekunden in seinem langen Priesterle­ben nur ein knappes Jahr als Seelsorger tätig war – damals, als 24-jähriger Kaplan. Die andere Frage, ob solche Einmischun­gen des emeritiert­en Papstes unverantwo­rtlich sind, lässt sich leichter beantworte­n – mit Ja. BERICHT

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