Baerbocks Deichprobe
Die Grünen-Kanzlerkandidatin will mit ihrem Plan für Katastrophenhilfe punkten. Abseits davon häufen sich selbst verschuldete Fehler.
BERLIN Am Vormittag hat Annalena Baerbock in ihrem Wahlkreis in Wilhelmshorst nahe Potsdam noch flugs ein Großflächenplakat enthüllt. Zum Start ihrer brandenburgischen Grünen in diesen Wahlkampf. Aber dann treibt sie wieder das Hochwasser in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen. Die Grünen-Kanzlerkandidatin fährt nach Berlin und stellt dort der Hauptstadtpresse den Plan der Grünen zum künftigen Bevölkerungsschutz und zur Katastrophenhilfe vor, denn: Lehren aus diesem Hochwasser müssten gezogen werden. Etwa für ein künftiges neues Warnsystem, das möglichst viele Menschen erreiche, aber auch mit neuen Kompetenzen für das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) mit Sitz in Bonn. Die Grünen-Kandidatin steht nach einer Reihe selbst verschuldeter Fehler stark in der Kritik. Die vermeidbaren Fehltritte sind längst zum Ärgernis für die Grünen geworden. Jetzt hat Baerbock ihre ganz persönliche Deichprobe.
Nun ist ein nächster Aufreger dazu gekommen. In einem Video-Interview hat Baerbock über Rassismus in Schulbüchern gesprochen und dabei auch das „N-Wort“ausgesprochen, das bei den Grünen auf dem Index steht. Später versuchte sie, auch diesen Fauxpas über den Kurznachrichtendienst Twitter geradezurücken: „Leider habe ich in der Aufzeichnung des Interviews in der emotionalen Beschreibung dieses unsäglichen Vorgangs das N-Wort zitiert und damit selbst reproduziert. Das war falsch und tut mir leid.“Denn sie wisse ja um den rassistischen Ursprung des Wortes „und die Verletzungen, die Schwarze Menschen unter anderem durch ihn erfahren“.
Nach einer jüngsten Umfrage hält mittlerweile die Mehrheit der Bürgerinnen
und Bürger es für einen Fehler, dass sich die Grünen für Baerbock als Kanzlerkandidatin und nicht für ihren Co-Vorsitzenden an der Parteispitze, Robert Habeck, als Spitzenkandidaten entschieden haben. Während Annalena Baerbock also in Berlin das Hochwasser bekämpft, startet ihr Co-Vorsitzender Robert Habeck in Lübeck den zweiten Teil seiner Küsten-Wahlkampftour durch sein Heimatland Schleswig-Holstein.
Aber dann ist Baerbock – mit der Grünen-Innenexpertin Irene Mihalic an ihrer Seite – doch noch bei der Zukunft von Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe. Die Grünen-Kanzlerkandidatin spricht sich unter anderem dafür aus, den Katastrophenschutz, der laut Grundgesetz zuallererst Ländersache ist, bei den Bundesländern zu lassen. Doch es sei „an der Zeit, diese Strukturen mit Blick auf große Naturkatastrophen, Unglücksfälle und besondere Lagen, die das gesamte Bundesgebiet betreffen oder Bundesländer und Regionen übergreifend sind, weiterzuentwickeln“, heißt es in dem Papier. Grundsatz für die Zusammenarbeit zwischen Bund, Ländern und Kommunen müsse die Dezentralität bei starker Koordinierung sein.
Dazu müsse das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe in Bonn künftig „mit einer Zentralstellenkompetenz für den Bevölkerungsschutz zur Unterstützung der Länder ausgestattet werden“– und die Bundesbehörde dafür personell aufgestockt werden. Das BBK soll etwa „auch Bewertungen und Handlungsempfehlungen an die Länder geben dürfen“. Zudem plädieren die Grünen dafür, das gemeinsame Lagezentrum von Bund und Ländern zu einem ständigen Krisenstab der nicht-polizeilichen Gefahrenabwehr und des Bevölkerungsschutzes auszubauen.
Weiter sollen die operativen Fähigkeiten des Technischen Hilfswerks ( THW ) besser mit dem BBK verzahnt werden, wie Baerbock und Mihalic betonen. Außerdem soll nach dem grünen Plan die Warnung der Bevölkerung auf allen Kanälen verbessert werden – von Sirenen über den Weckruf bis zu digitalen Instrumenten wie etwa der Warn-App Nina oder einem robusten Cell Broadcasting, bei dem Warnnachrichten alle Mobiltelefone erreichen sollen, die innerhalb einer Funkzelle den Dienst aktiviert haben. Ähnliches hatten Bundesinnenminister Horst Seehofer und BBK-Präsident Armin Schuster in der Vorwoche angekündigt. Anders als Seehofer wollen die Grünen allerdings die Kompetenzverstärkung des BBK nicht auf Basis von Freiwilligkeit, sondern per Gesetz verankern, um es verbindlich zu machen, wie Mihalic betonte. Den Ländern sollten keine Kompetenzen weggenommen werden, aber etwa bei der Polizei, die auch Ländersache sei, sei man froh, dass es das Bundeskriminalamt gebe. Und so solle es mit dem BBK beim Bevölkerungsschutz und der Katastrophenhilfe auch sein.