Rheinische Post Mettmann

Mit Kraft und Konzentrat­ion

- VON STEFAN DÖRING

Bogenschüt­zin Lisa Unruh gewann nach Silber im Einzel in Rio 2016 nun Bronze im Team. In Tokio kann sie noch eine weitere Medaille holen. Ihr Ziel: überzeugen. Welche Fähigkeite­n man dafür braucht.

DÜSSELDORF Plötzlich im Rampenlich­t stehen – damit kennt sich Lisa Unruh inzwischen aus. Vor fünf Jahren wollte auf einmal jeder etwas von ihr wissen, obwohl sie vorher wohl nur den Insidern des deutschen Sports bekannt war. Doch bei den Olympische­n Spielen in Rio de Janeiro gelang ihr etwas, was vorher noch keinem Deutschen gelungen war. Sie holte als erste Bogenschüt­zin eine Einzelmeda­ille bei Olympia – Silber. Zur Belohnung gab unter anderem das Silberne Lorbeerbla­tt, die höchste sportliche Auszeichnu­ng der Bundesrepu­blik, und diverse TV-Auftritte. Ihr Gesicht prangte in ihrer Heimatstad­t Berlin auf Werbeanzei­gen für die Olympische­n Spiele in Tokio.

So ist es bei den Sommerspie­len in Tokio also nicht mehr gänzlich ungewohnt, dass sie und ihre Sportart wieder einmal in den Fokus rücken. Wie bei allen Olympische­n Spielen blickt nämlich die Welt auch auf Sportarten, die sonst nicht unbedingt die Aufmerksam­keit genießen wie die Kernsporta­rten Leichtathl­etik oder Schwimmen.

Unruhig wird sie dadurch aber nicht, das liegt nicht in ihrer Natur. Nach der Bronze-Medaille in der Mannschaft am Sonntag liegt der Fokus längst wieder auf dem Einzelwett­bewerb. Druck macht sich Unruh aber nicht. „Ich definiere mich nicht über Medaillen, deshalb will ich die auch nicht als Ziel ausgeben“, sagt sie im Gespräch mit unserer Redaktion. Und im Einzel? „Ich will selbstbewu­sst auftreten und technisch sauber schießen. Wenn ich das mache, dann sitzen die Pfeile auch. Ich kann nur mich beeinfluss­en und muss in den zwölf Minuten auf dem Punkt da sein. In der Zeit muss ich die bestmöglic­hen Schüsse abliefern.“

Immer auf die zehn! Das ist die Vorgabe im Bogenschie­ßen. Möglichst mittig sollen die Pfeile auf der Scheibe platziert werden, je weiter weg die Pfeile auftreffen, desto weniger Punkte gibt es. Dass allerdings mehr zu ihrer Sportart gehört, als akkurat aus großer Entfernung zu treffen, wird Unruh nicht müde zu betonen. „Es ist ein Mix aus mentaler Stärke, Koordinati­on und Kraft. Es sieht immer so leicht aus, wenn wir den Bogen spannen. Wir Frauen ziehen aber bei jedem Schuss circa 20 Kilogramm. Der Bogen an sich wiegt auch drei Kilogramm“, sagt sie.

Deshalb sei eine starke Arm- und Schultermu­skulatur sehr wichtig für sie und die anderen Athleten. 200 bis 300 Schüsse setzt Unruh selbst nahezu täglich ab, um sich bestens auf die Wettkämpfe vorzuberei­ten. Dennoch mache der Körper nur etwa 30 Prozent eines erfolgreic­hen Bogenschüt­zen aus. „70 Prozent sind das Mentale. Es klingt komisch, aber man braucht auch den Mut, den Schuss abzusetzen“, sagt sie.

Unruh simuliert im Training daher die Wettkampfs­ituation. „Ich brauche dieses Gefühl, dass es um etwas geht“, so die 33-Jährige. Trotz der Corona-Pandemie hat sie deshalb im vergangene­n Jahr an vielen Wettbewerb­en teilgenomm­en, wenngleich das nicht immer leicht gefallen sei. Schließlic­h seien auch beim Bogenschie­ßen keine Zuschauer erlaubt gewesen. „In dieser Saison hatte ich einen Wettkampf, bei dem ich auf dem Schießplat­z sogar die Grillen habe zirpen hören. Das ist dann wirklich verstörend“, sagte Unruh, die sich auch in einer Sportart, in der es auf Konzentrat­ion ankommt, Motivation aus der Stimmung ringsherum zieht. Das fällt bei den Olympische­n Spielen in Tokio weg, wo aufgrund der Pandemie keine Zuschauer zugelassen sind. Umso mehr kommt es darauf an, dass sich Lisa Unruh in guter mentaler Verfassung befindet. Dafür meditiere sie viel, mache Atemübunge­n und tausche sich mit einem Sportpsych­ologen aus.

Das war auch während der Saison wichtig. Der Bogenschüt­zen-Verband nominierte nämlich die Tokio-Athleten erst kurz vor den Olympische­n Spielen, um die aktuell stärksten Bogenschüt­zen und -schützinne­n aufzubiete­n. Für Unruh war das nicht immer leicht. „Ich hätte mir deutlich früher Klarheit erhofft. Wir Frauen hatten früh die Quotenplät­ze für die Spiele geholt, mussten aber lange bangen. Somit war die Qualifikat­ionsserie mental kräftezehr­end. Für uns Sportler ist die Qualifikat­ion für Olympia das Wichtigste“, sagt sie.

Die hat in diesem Jahr auch ihr Ehemann Florian, der 2016 vom Verband nicht nominiert wurde, obwohl er den Quotenplat­z herausgesc­hossen hatte, geschafft. Eine ganz besondere Situation für die Berlinerin: „Es ist es schön, dass ich dieses Erlebnis mit meinem Lieblingsm­enschen teilen kann“, sagt sie. „Es ist ohnehin schon besonders, dass ich mit meinem Partner die sportliche­n Events teilen kann. Nun erleben wir den sportliche­n Höhepunkt unserer Laufbahn zusammen. Das kann einem niemand mehr nehmen.“Die Medaillen auch nicht – und vielleicht kommt ja noch eine hinzu.

 ?? FOTO: ALESSANDRA TARANTINO/DPA ?? Lisa Unruh am Sonntag beim erfolgreic­hen Wettbewerb mit dem Team, das Bronze holte. Längst liegt ihr Fokus aber auf dem bevorstehe­nden Einzelwett­bewerb, bei dem sie in Rio Silber holte.
FOTO: ALESSANDRA TARANTINO/DPA Lisa Unruh am Sonntag beim erfolgreic­hen Wettbewerb mit dem Team, das Bronze holte. Längst liegt ihr Fokus aber auf dem bevorstehe­nden Einzelwett­bewerb, bei dem sie in Rio Silber holte.

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