Mit Kraft und Konzentration
Bogenschützin Lisa Unruh gewann nach Silber im Einzel in Rio 2016 nun Bronze im Team. In Tokio kann sie noch eine weitere Medaille holen. Ihr Ziel: überzeugen. Welche Fähigkeiten man dafür braucht.
DÜSSELDORF Plötzlich im Rampenlicht stehen – damit kennt sich Lisa Unruh inzwischen aus. Vor fünf Jahren wollte auf einmal jeder etwas von ihr wissen, obwohl sie vorher wohl nur den Insidern des deutschen Sports bekannt war. Doch bei den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro gelang ihr etwas, was vorher noch keinem Deutschen gelungen war. Sie holte als erste Bogenschützin eine Einzelmedaille bei Olympia – Silber. Zur Belohnung gab unter anderem das Silberne Lorbeerblatt, die höchste sportliche Auszeichnung der Bundesrepublik, und diverse TV-Auftritte. Ihr Gesicht prangte in ihrer Heimatstadt Berlin auf Werbeanzeigen für die Olympischen Spiele in Tokio.
So ist es bei den Sommerspielen in Tokio also nicht mehr gänzlich ungewohnt, dass sie und ihre Sportart wieder einmal in den Fokus rücken. Wie bei allen Olympischen Spielen blickt nämlich die Welt auch auf Sportarten, die sonst nicht unbedingt die Aufmerksamkeit genießen wie die Kernsportarten Leichtathletik oder Schwimmen.
Unruhig wird sie dadurch aber nicht, das liegt nicht in ihrer Natur. Nach der Bronze-Medaille in der Mannschaft am Sonntag liegt der Fokus längst wieder auf dem Einzelwettbewerb. Druck macht sich Unruh aber nicht. „Ich definiere mich nicht über Medaillen, deshalb will ich die auch nicht als Ziel ausgeben“, sagt sie im Gespräch mit unserer Redaktion. Und im Einzel? „Ich will selbstbewusst auftreten und technisch sauber schießen. Wenn ich das mache, dann sitzen die Pfeile auch. Ich kann nur mich beeinflussen und muss in den zwölf Minuten auf dem Punkt da sein. In der Zeit muss ich die bestmöglichen Schüsse abliefern.“
Immer auf die zehn! Das ist die Vorgabe im Bogenschießen. Möglichst mittig sollen die Pfeile auf der Scheibe platziert werden, je weiter weg die Pfeile auftreffen, desto weniger Punkte gibt es. Dass allerdings mehr zu ihrer Sportart gehört, als akkurat aus großer Entfernung zu treffen, wird Unruh nicht müde zu betonen. „Es ist ein Mix aus mentaler Stärke, Koordination und Kraft. Es sieht immer so leicht aus, wenn wir den Bogen spannen. Wir Frauen ziehen aber bei jedem Schuss circa 20 Kilogramm. Der Bogen an sich wiegt auch drei Kilogramm“, sagt sie.
Deshalb sei eine starke Arm- und Schultermuskulatur sehr wichtig für sie und die anderen Athleten. 200 bis 300 Schüsse setzt Unruh selbst nahezu täglich ab, um sich bestens auf die Wettkämpfe vorzubereiten. Dennoch mache der Körper nur etwa 30 Prozent eines erfolgreichen Bogenschützen aus. „70 Prozent sind das Mentale. Es klingt komisch, aber man braucht auch den Mut, den Schuss abzusetzen“, sagt sie.
Unruh simuliert im Training daher die Wettkampfsituation. „Ich brauche dieses Gefühl, dass es um etwas geht“, so die 33-Jährige. Trotz der Corona-Pandemie hat sie deshalb im vergangenen Jahr an vielen Wettbewerben teilgenommen, wenngleich das nicht immer leicht gefallen sei. Schließlich seien auch beim Bogenschießen keine Zuschauer erlaubt gewesen. „In dieser Saison hatte ich einen Wettkampf, bei dem ich auf dem Schießplatz sogar die Grillen habe zirpen hören. Das ist dann wirklich verstörend“, sagte Unruh, die sich auch in einer Sportart, in der es auf Konzentration ankommt, Motivation aus der Stimmung ringsherum zieht. Das fällt bei den Olympischen Spielen in Tokio weg, wo aufgrund der Pandemie keine Zuschauer zugelassen sind. Umso mehr kommt es darauf an, dass sich Lisa Unruh in guter mentaler Verfassung befindet. Dafür meditiere sie viel, mache Atemübungen und tausche sich mit einem Sportpsychologen aus.
Das war auch während der Saison wichtig. Der Bogenschützen-Verband nominierte nämlich die Tokio-Athleten erst kurz vor den Olympischen Spielen, um die aktuell stärksten Bogenschützen und -schützinnen aufzubieten. Für Unruh war das nicht immer leicht. „Ich hätte mir deutlich früher Klarheit erhofft. Wir Frauen hatten früh die Quotenplätze für die Spiele geholt, mussten aber lange bangen. Somit war die Qualifikationsserie mental kräftezehrend. Für uns Sportler ist die Qualifikation für Olympia das Wichtigste“, sagt sie.
Die hat in diesem Jahr auch ihr Ehemann Florian, der 2016 vom Verband nicht nominiert wurde, obwohl er den Quotenplatz herausgeschossen hatte, geschafft. Eine ganz besondere Situation für die Berlinerin: „Es ist es schön, dass ich dieses Erlebnis mit meinem Lieblingsmenschen teilen kann“, sagt sie. „Es ist ohnehin schon besonders, dass ich mit meinem Partner die sportlichen Events teilen kann. Nun erleben wir den sportlichen Höhepunkt unserer Laufbahn zusammen. Das kann einem niemand mehr nehmen.“Die Medaillen auch nicht – und vielleicht kommt ja noch eine hinzu.