Die Hauptversammlung der Zukunft
Der coronabedingte Trend zu virtuellen Aktionärstreffen ist für Unternehmen bequem. Doch Anleger bleiben skeptisch. Bei der Wahl des Formats ist die Politik am Zug
FRANKFURT Hauptversammlungen (HV) finden seit Beginn der Pandemie häufig online statt. Und die sehen oft so aus: Vorstand und Aufsichtsrat versammeln sich in einem mehr oder minder schick ausgestatteten Raum in der Zentrale, lächeln in die Kameras, verlesen ihre Reden. Dann beginnen sie, die vorbereiteten Antworten auf die Fragen der Aktionäre vorzutragen.
Der Vorteil für die Manager: Sie müssen nicht spontan reagieren, sie können Fragen zusammenfassen und damit die Dauer der Hauptversammlung direkt beeinflussen. Nicht zuletzt ist eine solche Online-Veranstaltung für ein Unternehmen natürlich viel billiger. Sie sparen die teure Miete für einen Veranstaltungsraum, denn oft finden physisch abgehaltene Hauptversammlungen ja in Messehallen, Konferenzzentren oder Konzert-Arenen statt. Auch das bei Aktionären so beliebte Büffet müssen sie nicht stellen, wenngleich das in den vergangenen Jahren meist nur aus Brezeln, Würstchen oder Suppe bestand. Deshalb lautet das Resümee etwa bei Bayer: „Die längere Vorlaufzeit hat es uns ermöglicht, die Aktionärsfragen teils noch detaillierter zu beantworten.“Zudem war die Veranstaltung mit sieben Stunden Dauer fünf Stunden kürzer als sonst.
Aktionärsschützer wie die Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) sehen es zwar als „nachvollziehbar und unvermeidbar“an, dass in Pandemiezeiten die Hauptversammlungen so stattfinden müssen. Doch die Aktionärsrechte seien stark zurückgefahren worden, kritisierte Jella Benner-Heinacher von der DSW unlängst. Zwar konnten die Aktionäre in diesem Jahr ihre Fragen erst einen Tag vor der Hauptversammlung einreichen statt wie 2020 schon zwei Tage vorher. Das nimmt dem Aktionärstreffen aber immer noch viel der sonst üblichen Spontanität. Zumindest gab es in diesem Jahr Versuche, die Abläufe etwas flexibler
Ausblick Wie es mit der virtuellen Hauptversammlung weitergeht, ist fraglich: Noch einmal kann die Bundesregierung die Notregelung nicht verlängern, wie das noch 2020 geschah.
Gesetz Das Kabinett müsste ein neues Gesetz verabschieden, was angesichts des straffen Zeitplans vor der Wahl unwahrscheinlich erscheint. Schafft es das nicht, greift die alte Präsenzregelung. zu gestalten. So wurden bei der HV der Deutschen Bank ausgesuchte Aktionäre live zugeschaltet, sie konnten damit zumindest auf aktuelle Entwicklungen reagieren. „Langweilig wie nie zuvor“seien die virtuellen Treffen gewesen, bemängelt dennoch DSW-Hauptgeschäftsführer Marc Tüngler.
Mehr noch: Die CorporateGoverance-Experten der Fondsgesellschaften wie Ingo Speich von der Deka und Janne Wenning von Union Investment sehen eine Gefahr für die Aktienkultur, wenn den Aktionären kein „echtes Fragerecht“zugestanden werde. Dabei lebe die HV ja vom Diskurs, so Speich. Wenning von der Fondsgesellschaft Union Investment rechnet sogar damit, dass Aktionäre ihre Anteile abstoßen, wenn sie auf der Versammlung ihrer Einflussmöglichkeiten beraubt würden. „Wenn sie auf der HV kein vollumfängliches Frage-, Rede- und Auskunftsrecht mehr haben, werden sie geneigt sein, mit den Füßen abzustimmen“, stellte er im „Handelsblatt“fest.
Immerhin aber nahmen häufig mehr Aktionäre als früher an den Livestreams teil, weil sie nicht anreisen mussten. Das sei doch in Zeiten der Online-Kultur und des Klimaschutzes sogar nachhaltiger, versuchte Eon-Chef Johannes Teyssen die Online-Veranstaltung den Aktionären schmackhaft zu machen.
Zum Ende der Hauptversammlungssaison fragen sich nun viele, wie es weitergeht. Dass ein neues Gesetz kommt, ist wegen der anstehenden Bundestagswahl nicht wahrscheinlich – weder vorher, noch nachher. Denn es ist unrealistisch, dass eine neue Bundesregierung es schafft, noch vor der Jahreswende ein entsprechendes Gesetz zu verabschieden. Aktionärsvertreter wie die DSW können sich aber vorstellen, dass künftige Veranstaltungen auch hybrid abgehalten werden, also gleichzeitig als Präsenzsowie als digitale Veranstaltung. Denn dann könnten zumindest in der Präsenzveranstaltung die Rede- und Antragsrechte voll ausgeübt werden.