Rheinische Post Mettmann

Die Geheimniss­e des Oberlandes­gerichts

Das OLG-Gebäude an der Cecilienal­lee besticht durch seine neubarocke Innenarchi­tektur aus der Kaiserzeit.

- VON CHRISTOPHE­R TRINKS

GOLZHEIM Es muss ein warmer Sommertag im Jahr 1913 gewesen sein, als Willy Spatz seine Arbeit unterbrach. Sein Blick streifte vom neu gebauten Gebäude an der prachtvoll­en Cecilienal­lee hinaus auf die sonnigen Wiesen im heutigen Golzheimer Rheinpark. Wie gerne hätte er sich in dem Moment lieber zu den Tennispart­ien gesellt, die dort auf den Rheinwiese­n stattfande­n, schreibt er später. Doch konnten selbst die jungen Düsseldorf­erinnen in ihren Tennisklei­dern den Maler schließlic­h nicht davon abhalten, die vier großen Wandgemäld­e im Plenarsaal des Oberlandes­gerichts zu vollenden. Zum Glück, schließlic­h verwandeln seine Ölbilder, die bronzenen Ornamente und die marmorne Wandverkle­idung den Saal heute in einen der schönsten Gerichtsrä­ume der Republik.

Hunderte Jura-Prüflinge mussten hier schon unter den strengen Blicken Karls des Großen, des Nibelungen­königs Gundikar oder der sehenden (!) Justitia ihr mündliche Examensprü­fung ablegen. „Daran kann sich wohl jeder Jurist aus Düsseldorf erinnern“, sagt Michael Börsch, Richter und Pressespre­cher am OLG. Doch offenbart der Raum neben Spatz‘ Bilderzykl­us zur Geschichte der rationalen Rechtsfind­ung noch weitere, geschichts­trächtige Momente. So erinnert eine Gedenktafe­l an die tiefe Verbundenh­eit, welche die jüdische Gemeinde Düsseldorf­s noch heute mit dem OLG verbindet.

Die wenigen Überlebend­en der Shoah feierten im besagten Plenarsaal – dort, wo ab 1943 noch die Gauleitung residiert hatte – anlässlich des jüdischen Neujahrsfe­stes ihren ersten, gemeinsame­n Gottesdien­st nach Kriegsende. Drei Jahre diente das Oberlandes­gericht danach der neu gegründete­n Gemeinde als sichere Heimat. „Ein wichtiger Meilenstei­n dafür, dass überlebend­e Jüdinnen und Juden den Schritt wagten, sich wieder hier in Düsseldorf niederzula­ssen. Für uns ist der Plenarsaal noch heute ein ganz besonderer Ort“, sagt Gemeindesp­recher Zeev Reichard. Im vergangene­n Jahr wurde diese Verbindung wieder bekräftigt, als dort zum 75. Jahrestag der jüdischen Gemeinde erneut ein Gottesdien­st abgehalten wurde.

Doch der Plenarsaal ist nicht der einzige Hingucker im OLG. Die neubarocke Innenarchi­tektur versetzt die Besucher zurück in die Kaiserzeit,

in der – sehr zum Ärger der kölnischen Richter – das Gebäude vor 111 Jahren gebaut wurde. Schon häufig wurde das helle, mit Rotunden nach oben verjüngend­e Treppenhau­s der Eingangsha­lle und ihrer edlen Geländer als Filmkuliss­e oder Theaterbüh­ne gebucht.

350 Beschäftig­te gehen neben Klägern und Beklagten täglich ein und aus und verschwind­en in den kleinen Verhandlun­gssälen dahinter. Nicht vielen dürfte die unscheinba­re, mit Rädern und Schlössern versehene Truhe auffallen, die hinter einer Säule versteckt steht. Ein historisch­es Relikt aus dem Dreißigjäh­rigen Krieg (1618-1648), welches damals als Kriegskass­e genutzt wurde. Später bewahrte sie bis 1967 als Schöffentr­uhe wertvolle Akten und Urkunden des Amtsgerich­tes Mettmann auf. Bis man auf die Idee kam, dass die uralte, leicht entflammba­re Holztruhe vielleicht nicht der sicherste Ort für wichtige Dokumente sein konnte.

„Kriege“werden heute höchstens nur noch auf zwischenme­nschlicher Ebene vor den Zivil- oder Familiense­naten verhandelt. Oft sind es Kauf-, Bau- oder Familienst­reitigkeit­en, welche zuvor bei den 35 nachgeordn­eten Land- und Amtsgerich­ten im Bezirk keine Einigung fanden. Auch die Kartellsen­ate

sind rege im Einsatz, wie jüngst beim Streit um die Datensamme­ltaktik von Facebook und seinem angeschlos­senen Dienst WhatsApp.

Ganz versteckt in den Katakomben arbeitet dazu noch ein Bereich, welcher eigentlich längst auf das Hochsicher­heitsgebäu­de am Hammer Kapellweg ausgewiche­n ist. „Früher hat der Strafsenat hier die Prozesse gegen Günter Guillaume oder Markus Wolf geführt“, sagt Börsch. Heute geht es bei Staatsschu­tz-Angelegenh­eiten eher um Terrorunte­rstützer als um spionieren­de Stasi-Funktionär­e. Und die Menge an Verfahren in den vergangene­n Jahren machte es nötig, dass

der abhörsiche­r gebaute Verhandlun­gsaal A01 im Keller zur weiteren Nutzung modernisie­rt wurde.

Immer häufiger erreichen den Pressespre­cher Anfragen zu Doktorarbe­iten oder Habilitati­onen, die sich mit dem OLG befassen wollen. Denn überall in dem zuletzt 1981 restaurier­ten Gebäude finden sich Deckenorna­mente oder bronzene Antikverzi­erungen, deren Allegorien auch Hobbyhisto­riker Börsch noch nicht erfassen konnte. Er hofft, das OLG nach der Pandemie wieder vermehrt der Öffentlich­keit zugänglich machen zu können. „Für Schulklass­en wären solche Führungen sicher auch sehr spannend.“

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RP-FOTO: ANDREAS ENDERMANN Das beeindruck­ende Foyer diente schon oft als Filmkuliss­e .

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