Die Geheimnisse des Oberlandesgerichts
Das OLG-Gebäude an der Cecilienallee besticht durch seine neubarocke Innenarchitektur aus der Kaiserzeit.
GOLZHEIM Es muss ein warmer Sommertag im Jahr 1913 gewesen sein, als Willy Spatz seine Arbeit unterbrach. Sein Blick streifte vom neu gebauten Gebäude an der prachtvollen Cecilienallee hinaus auf die sonnigen Wiesen im heutigen Golzheimer Rheinpark. Wie gerne hätte er sich in dem Moment lieber zu den Tennispartien gesellt, die dort auf den Rheinwiesen stattfanden, schreibt er später. Doch konnten selbst die jungen Düsseldorferinnen in ihren Tenniskleidern den Maler schließlich nicht davon abhalten, die vier großen Wandgemälde im Plenarsaal des Oberlandesgerichts zu vollenden. Zum Glück, schließlich verwandeln seine Ölbilder, die bronzenen Ornamente und die marmorne Wandverkleidung den Saal heute in einen der schönsten Gerichtsräume der Republik.
Hunderte Jura-Prüflinge mussten hier schon unter den strengen Blicken Karls des Großen, des Nibelungenkönigs Gundikar oder der sehenden (!) Justitia ihr mündliche Examensprüfung ablegen. „Daran kann sich wohl jeder Jurist aus Düsseldorf erinnern“, sagt Michael Börsch, Richter und Pressesprecher am OLG. Doch offenbart der Raum neben Spatz‘ Bilderzyklus zur Geschichte der rationalen Rechtsfindung noch weitere, geschichtsträchtige Momente. So erinnert eine Gedenktafel an die tiefe Verbundenheit, welche die jüdische Gemeinde Düsseldorfs noch heute mit dem OLG verbindet.
Die wenigen Überlebenden der Shoah feierten im besagten Plenarsaal – dort, wo ab 1943 noch die Gauleitung residiert hatte – anlässlich des jüdischen Neujahrsfestes ihren ersten, gemeinsamen Gottesdienst nach Kriegsende. Drei Jahre diente das Oberlandesgericht danach der neu gegründeten Gemeinde als sichere Heimat. „Ein wichtiger Meilenstein dafür, dass überlebende Jüdinnen und Juden den Schritt wagten, sich wieder hier in Düsseldorf niederzulassen. Für uns ist der Plenarsaal noch heute ein ganz besonderer Ort“, sagt Gemeindesprecher Zeev Reichard. Im vergangenen Jahr wurde diese Verbindung wieder bekräftigt, als dort zum 75. Jahrestag der jüdischen Gemeinde erneut ein Gottesdienst abgehalten wurde.
Doch der Plenarsaal ist nicht der einzige Hingucker im OLG. Die neubarocke Innenarchitektur versetzt die Besucher zurück in die Kaiserzeit,
in der – sehr zum Ärger der kölnischen Richter – das Gebäude vor 111 Jahren gebaut wurde. Schon häufig wurde das helle, mit Rotunden nach oben verjüngende Treppenhaus der Eingangshalle und ihrer edlen Geländer als Filmkulisse oder Theaterbühne gebucht.
350 Beschäftigte gehen neben Klägern und Beklagten täglich ein und aus und verschwinden in den kleinen Verhandlungssälen dahinter. Nicht vielen dürfte die unscheinbare, mit Rädern und Schlössern versehene Truhe auffallen, die hinter einer Säule versteckt steht. Ein historisches Relikt aus dem Dreißigjährigen Krieg (1618-1648), welches damals als Kriegskasse genutzt wurde. Später bewahrte sie bis 1967 als Schöffentruhe wertvolle Akten und Urkunden des Amtsgerichtes Mettmann auf. Bis man auf die Idee kam, dass die uralte, leicht entflammbare Holztruhe vielleicht nicht der sicherste Ort für wichtige Dokumente sein konnte.
„Kriege“werden heute höchstens nur noch auf zwischenmenschlicher Ebene vor den Zivil- oder Familiensenaten verhandelt. Oft sind es Kauf-, Bau- oder Familienstreitigkeiten, welche zuvor bei den 35 nachgeordneten Land- und Amtsgerichten im Bezirk keine Einigung fanden. Auch die Kartellsenate
sind rege im Einsatz, wie jüngst beim Streit um die Datensammeltaktik von Facebook und seinem angeschlossenen Dienst WhatsApp.
Ganz versteckt in den Katakomben arbeitet dazu noch ein Bereich, welcher eigentlich längst auf das Hochsicherheitsgebäude am Hammer Kapellweg ausgewichen ist. „Früher hat der Strafsenat hier die Prozesse gegen Günter Guillaume oder Markus Wolf geführt“, sagt Börsch. Heute geht es bei Staatsschutz-Angelegenheiten eher um Terrorunterstützer als um spionierende Stasi-Funktionäre. Und die Menge an Verfahren in den vergangenen Jahren machte es nötig, dass
der abhörsicher gebaute Verhandlungsaal A01 im Keller zur weiteren Nutzung modernisiert wurde.
Immer häufiger erreichen den Pressesprecher Anfragen zu Doktorarbeiten oder Habilitationen, die sich mit dem OLG befassen wollen. Denn überall in dem zuletzt 1981 restaurierten Gebäude finden sich Deckenornamente oder bronzene Antikverzierungen, deren Allegorien auch Hobbyhistoriker Börsch noch nicht erfassen konnte. Er hofft, das OLG nach der Pandemie wieder vermehrt der Öffentlichkeit zugänglich machen zu können. „Für Schulklassen wären solche Führungen sicher auch sehr spannend.“