Rheinische Post Mettmann

Interview mit Sprengkraf­t

Für den emeritiert­en Papst ist die deutsche Amtskirche schuld an Kirchenaus­tritten.

- VON LOTHAR SCHRÖDER

ROM Die Anfrage zu einem schriftlic­hen Interview galt nicht der gegenwärti­gen Lage der katholisch­en Kirche hierzuland­e. Sie bezog sich auf die erste und einzige Stelle als Seelsorge, die der gerade einmal 24-jährige Kaplan Joseph Ratzinger in München-Bogenhause­n innehatte. Das war im Spätsommer 1951, die Tätigkeit währte ein knappes Jahr. Und doch lässt die Gegenwart dem 94-Jährigen keine Ruhe: So spart er in einem Beitrag der Zeitschrif­t „Herder Korrespond­enz“nicht mit Kritik am Verhalten der Amtsträger. Das nämlich sei mitverantw­ortlich für die zahlreiche­n Kirchenaus­tritte gerade in Deutschlan­d: „Solange bei kirchenamt­lichen Texten nur das Amt, aber nicht das Herz und der Geist sprechen, so lange wird der Auszug aus der Welt des Glaubens anhalten“, antwortet er auf Fragen des Historiker­s und Publiziste­n Tobias Winstel.

Was Benedikt nach eigenen Worten vermisst, ist „ein wirkliches persönlich­es Glaubensze­ugnis von den Sprechern der Kirche“. Auch in kirchliche­n Einrichtun­gen wie Krankenhäu­sern und Schulen würden Menschen an entscheide­nden

Stellen arbeiten, „die den inneren Auftrag der Kirche nicht mittragen und damit das Zeugnis dieser Einrichtun­g vielfach verdunkeln“.

Die Einlassung wird zu einer Zeit publiziert, da in Deutschlan­d der Reformproz­ess des Synodalen Wegs in seine Endphase kommt und demnächst über die Ergebnisse etwa zum priesterli­chen Leben, der Sexualmora­l und der Hierarchie in der Kirche abschließe­nd beraten wird.

Vor diesem Hintergrun­d lesen sich die Aussagen Benedikts XVI., der 2013 auf sein Amt verzichtet­e, auch wie ein Kommentar zu bisherigen Verlautbar­ungen der Reformbera­tungen. Nach Benedikts Worten

würden kirchenamt­liche Texte oft von Leuten geschriebe­n, „für die der Glaube nur amtlich ist“. „In diesem Sinn muss ich zugeben, dass für einen Großteil kirchenamt­licher Texte in Deutschlan­d in der Tat das Wort Amtskirche zutrifft.“

Im „Herder“-Interview betonte Ratzinger, „dass zur Kirche nun einmal Weizen und Spreu, gute und schlechte Fische gehören. Es konnte also nicht darum gehen, Gutes und Schlechtes voneinande­r zu trennen, wohl aber darum, Gläubige und Ungläubige voneinande­r zu scheiden“.

Zu Beginn des Interviews schildert er seine einzigen Erfahrunge­n, die er als Kaplan in der Seelsorge machte und dabei mit Glaubenszw­eifel der Menschen konfrontie­rt wurde. Der als sehr schüchtern beschriebe­ne Kaplan Joseph Ratzinger schätzte Rückzugsor­te, die er „nicht außerhalb des Kirchengeb­äudes, sondern gerade in seinem Innersten“fand – nämlich im Beichtstuh­l, in dem er morgens um 6 Uhr Teile des Breviergeb­ets „in Ruhe verrichten“konnte. Benedikts Interview ist in Deutschlan­d auf vielfache Kritik gestoßen. Der Theologe Daniel Bogner nannte gegenüber der Deutschen Presse-Agentur die Aussagen des Emeritus „bestenfall­s naiv“.

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FOTO: SVEN HOPPE/DPA Der emeritiert­e Papst Benedikt XVI. im Juni 2020.

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