Die Impfdebatte ehrlich führen
Corona wirft ethische Fragen auf. Und es war absehbar, dass der Debatte über die Impfstoffverteilung eine über den Umgang mit Impfunwilligen folgen würde. Doch weil dieses Thema mit vielen unangenehmen Wahrheiten nun in die entscheidende Phase des Wahlkampfs rutscht, hört man viele Phrasen. Etwa die, es dürfe keinen „Impfzwang durch die Hintertür“geben. Oder das Mantra, man müsse nur „die Schwellen senken“, dann werde die Impfwilligkeit schon wieder steigen.
Tatsache ist, dass ein größerer Teil der Bevölkerung sich gerade lieber nicht impfen lassen will. Dahinter müssen gar keine Verschwörungsmythen stehen. Es reicht Kalkül: Impfung ist unangenehm und lässt sich vermeiden, also lässt man es lieber und hofft, sich nicht anzustecken. Das ändert sich nicht durch Impfstände im Supermarkt. Und auch nicht durch Appelle, sich zum Schutz derer impfen zu lassen, die es nicht tun können: der Kinder oder gefährdeter Gruppen. Das Kalkül ändert sich erst, wenn Nachteile für Ungeimpfte zunehmen. Es ist also Pragmatismus, wenn die Regierung solche Nachteile ins Spiel bringt. Wenn willentlich Ungeimpfte Tests bezahlen müssen oder von Konzerten oder Fußballspielen ausgeschlossen bleiben, wird das die Bereitschaft steigern, den Ärmel hochzurollen. Warum auch sollten etwa vermeidbare Kosten durch ewiges Testen der Allgemeinheit aufgebürdet werden? Aber man sollte nicht so tun, als sei das kein „Zwang durch die Hintertür“.
Die Impfquote ist ein Indikator für Verantwortungsbewusstsein und Solidarität. Beides wird gestärkt, wenn Debatten ehrlich geführt werden. Das bedeutet, Nachteile für Ungeimpfte als das zu benennen, was sie sind: indirekter Druck auf eine Entscheidung, die individuell bleiben sollte. Und was Impfmuffelei bedeutet: die Lasten der Pandemie anderen zu überlassen. BERICHT