„Ein tragischer Tag für Leverkusen“
Verletzte, Vermisste, mindestens zwei Tote – so die traurige Bilanz einer Explosion im Chempark. Die Ursache war zunächst unklar.
LEVERKUSEN Als die Erschütterung die Fensterscheiben gegen 9.30 Uhr urplötzlich erzittern lässt, schwebt die schwarze Rauchwolke schon über Rheindorf in Richtung Opladen. Nachbarn stehen zu der Zeit noch am Gartenzaun und rätseln, was diese ungeheure Detonation ausgelöst hat. Einer sagt: „Ich geh’ rein, mach die Fenster zu. Wenn das vom Bayer kommt...“Als eine Minute darauf die Warn-App Nina auslöst, hat der Nachbar seine Fenster schon verschlossen. So, wie es Nina dringend für ganz Leverkusen empfiehlt. Und ja, es kommt „vom Bayer“, wie man in Leverkusen sagt, wenn man über den Chempark, das ehemalige Bayer-Werk, spricht.
Im Entsorgungszentrum Bürrig, das zwar weit außerhalb des Werkszauns liegt, aber zum Chempark gehört, wird um 9.40 Uhr ein Notruf abgesetzt: Vollalarm für die Werkfeuerwehr. „Auf der Anfahrt haben wir bereits die Berufsfeuerwehr Leverkusen alarmiert“, sagt Stephan Hummel, Leiter der Chempark-Feuerwehr. Auch Hilfe von den beiden anderen Niederrhein-Standorten in Dormagen und Krefeld-Uerdingen wird angefordert. In Leverkusen heulen die Sirenen. Wer Nina auf dem Handy hat, hört das erste Ping für die Warnung, weitere folgen über den Tag.
Was ist passiert? Im Entsorgungszentrum stehen drei Tanks im Tanklager in Flammen. Die Rauchwolke ist weit über Leverkusen hinaus zu sehen. In den Riesenbehältern werden Produktionsabfälle aus dem Chempark gelagert, bis es für sie in die Müllverbrennungsanlage auf dem Areal geht. Chempark-Leiter Lars Friedrich spricht am Dienstagmittag von chlorierten Lösungsmitteln, die da in Flammen aufgegangen sind. Um welche Stoffe es genau geht, „können wir zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht sagen. Das wird in den kommenden Tagen alles analysiert.“Dass auch Giftstoffe sich mittels der Rauchwolke über Leverkusen, vor allem über den Stadtteilen
Bürrig und Opladen, verteilt haben, kann und mag er am Mittag nicht ausschließen. Da war zumindest das Feuer gelöscht.
Vorrang habe zunächst die Menschenrettung, betont Friedrich. Zu diesem Zeitpunkt gelten fünf Mitarbeiter noch als vermisst. Ein weiterer ist gefunden worden. Tot. „Ich habe die Hoffnung, dass wir sie lebend finden“, sagt der Chempark-Leiter sichtlich betroffen vor Journalisten. „Aber das ist nur eine Hoffnung.“Am Abend erhöht sich die Zahl der Toten dann auf zwei.
50 bis 60 Mitarbeiter sollen sich zum Zeitpunkt des Unglücks auf dem Gelände des Entsorgungszentrums – Verbrennungsanlage, Gemeinschaftsklärwerk, Deponie – aufgehalten haben. Klar ist im Laufe des Tages: 31 Mitarbeiter sind verletzt worden, fünf davon schwer. Einer von ihnen hat so starke Verbrennungen erlitten, dass er in ein Spezialkrankenhaus in Köln-Merheim gebracht wird. Auch die Identität des ersten Toten sei noch unklar, berichtet Friedrich am frühen Nachmittag. Er spricht von „schweren Stunden“für den Chempark. Leverkusens Oberbürgermeister Uwe Richrath von einem „tragischen Tag“für die Stadt, die sich gerade erst von der Hochwasserkatastrophe erholt. Und dabei am Dienstag pausieren muss. Das Entsorgungsunternehmen hat wegen der Rauchwolke mit unbekannten Inhaltsstoffen die Abfuhr des Sperrmülls vorerst eingestellt. Luftmesswagen sind unterwegs. Was die Explosion an den drei Tanks mit einem geschätzten Inhalt pro Behälter von rund 300 Kubikmetern Produktionsabfällen ausgelöst hat, weiß bislang niemand.
Am Mittag gibt es Entwarnung für den Rheinisch-Bergischen Kreis, den Kreis Mettmann, später für den Oberbergischen Kreis. Über die Gebiete ist die Rauchwolke gezogen. In Opladen und Bürrig bleibt Nina am Nachmittag aktiv, wird erst später aufgehoben. Die Fenster des Nachbarn, der schneller war als die WarnApp, sind bis dahin verschlossen geblieben.