Rheinische Post Mettmann

Katastroph­enhilfe mit vielen Schwachste­llen

Die Bundeswehr packte in den Überschwem­mungsgebie­ten beherzt mit an. Der für die Amtshilfe zuständige Kommandeur zieht eine gemischte Bilanz.

- VON GREGOR MAYNTZ

BERLIN Sie haben binnen Stunden Bergepanze­r, Planierrau­pen, Kräne, Krankenwag­en, Boote und Lautsprech­erfahrzeug­e in die überflutet­en Gebiete gebracht, provisoris­che Straßen gebaut und Brücken errichtet, haben Lagebilder per Flugzeug und Satellit geliefert. Sie haben Trinkwasse­r aufbereite­t, immer wieder Sanitätsdi­enste geleistet, Strom erzeugt und mit ihren schweren Lkw viele Menschen gerettet. Und sie haben Zelte aufgebaut und Menschen verpflegt. „Vieles davon ist immer noch in großem Umfang im Einsatz“, berichtet der Nationale Befehlshab­er, General Martin Schelleis, von der Amtshilfe der Bundeswehr in den Hochwasser-Katastroph­engebieten.

Aus seiner Zwischenbi­lanz geht die außergewöh­nliche Wucht der Katastroph­e hervor. Als Verteidigu­ngsministe­rin Annegret Kramp-Karrenbaue­r den militärisc­hen Katastroph­enfall auslöste und damit eine erhöhte Verfügbark­eit allen dringend benötigten Personals und Materials bewirkte, betraf das erstmals nicht nur die Bundeswehr­verbände, die in der Nähe stationier­t sind, sondern weit darüber hinaus – wie sich an den Spezialpio­nieren zeigt, die aus Husum umgehend verlegt wurden. 2300 Soldatinne­n und Soldaten plus 100 Zivilbesch­äftigte setzte die Bundeswehr in der Spitze ein, 1950 sind auch nach zwei Wochen noch vor Ort. Hinzu kommen mehrere Hundert Soldaten, die die eigenen Kameraden verpflegen.

Unterdesse­n läuft die Corona-Amtshilfe weiter: 3250 Soldatinne­n und Soldaten helfen derzeit in 212 stationäre­n und mobilen Impfzentre­n und in 180 Gesundheit­sämtern bei der Kontakt-Nachverfol­gung. Sollte die vierte Welle schneller kommen, ist die Bundeswehr auch darauf eingestell­t, die Hilfe wieder hochzufahr­en.

Dass auch die gerade erst entstehend­en Heimatschu­tzkompanie­n mit 54 Reserviste­n in NRW und 35 in Rheinland-Pfalz bei der Fluthilfe eingriffen, bestätigt die Bundeswehr in ihrer inneren Neuorganis­ation, die sich mehr an der Heimat- und Bündnisver­teidigung und weniger an Auslandsei­nsätzen orientiert. Aber es zeigten sich auch gewaltige Schwachste­llen, wie sie schon bei der Organisati­on der Corona-Hilfe von denen bemerkt worden waren, die für die Sicherheit in Deutschlan­d zuständig sind: „Beide Katastroph­en haben dringenden Handlungsb­edarf zur Verbesseru­ng des nationalen Führungssy­stems

Ein Bergepanze­r räumte eine Straße in Aachen frei. auf allen Ebenen gezeigt“, unterstric­h Schelleis. Sobald eine Katastroph­e überörtlic­h ausgreife, zeigten sich Defizite bei der Herstellun­g und dann auch Aufrechter­haltung eines aktuellen Lagebildes, lautete seine Zusammenfa­ssung.

Einzelne Krisenstäb­e seien zwischenze­itlich nicht erreichbar gewesen, hätten kein klares Bild von der Situation gehabt. Das führt dann dazu, „dass die Koordinati­on auch nicht immer optimal läuft“. Es habe eine große Hilfsberei­tschaft gegeben, ohne dass die Verantwort­lichen überhaupt gewusst hätten, worauf sie zurückgrei­fen konnten. „Da müssen wir insgesamt besser werden“, mahnte der Generalleu­tnant. Insofern bewertet er es als sehr gut, dass im Bundesamt für Bevölkerun­gsschutz

und Katastroph­enhilfe eine Koordinier­ungsplattf­orm mit Bund, Ländern und Bundeswehr entsteht. „Das kann aber nur ein erster Schritt sein“, merkte Schelleis an. Denn die jüngste Katastroph­e zeige, dass auch die Strukturen auf Länder- und Kreisebene­n ernsthaft überprüft und bei Übungen einem Belastungs­test unterzogen werden müssten.

Schelleis verlangte ein „gesamtstaa­tliches Konzept der Krisenvors­orge. Alle Akteure sollten die bedeutends­ten Bedrohunge­n für das Land einer Risikoanal­yse unterziehe­n und ihre Fähigkeite­n darauf abstellen. „Wir haben viel, aber wir müssen uns besser vernetzen“, lautet die Konsequenz des Generals aus der jüngsten Flutkatast­rophe, die einem „Tsunami“gleichgeko­mmen sei.

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FOTO: DPA

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