Katastrophenhilfe mit vielen Schwachstellen
Die Bundeswehr packte in den Überschwemmungsgebieten beherzt mit an. Der für die Amtshilfe zuständige Kommandeur zieht eine gemischte Bilanz.
BERLIN Sie haben binnen Stunden Bergepanzer, Planierraupen, Kräne, Krankenwagen, Boote und Lautsprecherfahrzeuge in die überfluteten Gebiete gebracht, provisorische Straßen gebaut und Brücken errichtet, haben Lagebilder per Flugzeug und Satellit geliefert. Sie haben Trinkwasser aufbereitet, immer wieder Sanitätsdienste geleistet, Strom erzeugt und mit ihren schweren Lkw viele Menschen gerettet. Und sie haben Zelte aufgebaut und Menschen verpflegt. „Vieles davon ist immer noch in großem Umfang im Einsatz“, berichtet der Nationale Befehlshaber, General Martin Schelleis, von der Amtshilfe der Bundeswehr in den Hochwasser-Katastrophengebieten.
Aus seiner Zwischenbilanz geht die außergewöhnliche Wucht der Katastrophe hervor. Als Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer den militärischen Katastrophenfall auslöste und damit eine erhöhte Verfügbarkeit allen dringend benötigten Personals und Materials bewirkte, betraf das erstmals nicht nur die Bundeswehrverbände, die in der Nähe stationiert sind, sondern weit darüber hinaus – wie sich an den Spezialpionieren zeigt, die aus Husum umgehend verlegt wurden. 2300 Soldatinnen und Soldaten plus 100 Zivilbeschäftigte setzte die Bundeswehr in der Spitze ein, 1950 sind auch nach zwei Wochen noch vor Ort. Hinzu kommen mehrere Hundert Soldaten, die die eigenen Kameraden verpflegen.
Unterdessen läuft die Corona-Amtshilfe weiter: 3250 Soldatinnen und Soldaten helfen derzeit in 212 stationären und mobilen Impfzentren und in 180 Gesundheitsämtern bei der Kontakt-Nachverfolgung. Sollte die vierte Welle schneller kommen, ist die Bundeswehr auch darauf eingestellt, die Hilfe wieder hochzufahren.
Dass auch die gerade erst entstehenden Heimatschutzkompanien mit 54 Reservisten in NRW und 35 in Rheinland-Pfalz bei der Fluthilfe eingriffen, bestätigt die Bundeswehr in ihrer inneren Neuorganisation, die sich mehr an der Heimat- und Bündnisverteidigung und weniger an Auslandseinsätzen orientiert. Aber es zeigten sich auch gewaltige Schwachstellen, wie sie schon bei der Organisation der Corona-Hilfe von denen bemerkt worden waren, die für die Sicherheit in Deutschland zuständig sind: „Beide Katastrophen haben dringenden Handlungsbedarf zur Verbesserung des nationalen Führungssystems
Ein Bergepanzer räumte eine Straße in Aachen frei. auf allen Ebenen gezeigt“, unterstrich Schelleis. Sobald eine Katastrophe überörtlich ausgreife, zeigten sich Defizite bei der Herstellung und dann auch Aufrechterhaltung eines aktuellen Lagebildes, lautete seine Zusammenfassung.
Einzelne Krisenstäbe seien zwischenzeitlich nicht erreichbar gewesen, hätten kein klares Bild von der Situation gehabt. Das führt dann dazu, „dass die Koordination auch nicht immer optimal läuft“. Es habe eine große Hilfsbereitschaft gegeben, ohne dass die Verantwortlichen überhaupt gewusst hätten, worauf sie zurückgreifen konnten. „Da müssen wir insgesamt besser werden“, mahnte der Generalleutnant. Insofern bewertet er es als sehr gut, dass im Bundesamt für Bevölkerungsschutz
und Katastrophenhilfe eine Koordinierungsplattform mit Bund, Ländern und Bundeswehr entsteht. „Das kann aber nur ein erster Schritt sein“, merkte Schelleis an. Denn die jüngste Katastrophe zeige, dass auch die Strukturen auf Länder- und Kreisebenen ernsthaft überprüft und bei Übungen einem Belastungstest unterzogen werden müssten.
Schelleis verlangte ein „gesamtstaatliches Konzept der Krisenvorsorge. Alle Akteure sollten die bedeutendsten Bedrohungen für das Land einer Risikoanalyse unterziehen und ihre Fähigkeiten darauf abstellen. „Wir haben viel, aber wir müssen uns besser vernetzen“, lautet die Konsequenz des Generals aus der jüngsten Flutkatastrophe, die einem „Tsunami“gleichgekommen sei.