„Sie trinken Alkohol, liegen sich in den Armen und haben von CoronaRegeln offensichtlich nie etwas gehört“
PALMA Die Infektionszahlen auf Mallorca sind in den letzten Tagen explodiert. Deswegen hat das deutsche Robert-Koch-Institut die Insel und zugleich ganz Spanien zum Hochinzidenzgebiet erklärt. Nichtgeimpfte deutsche Mallorca-Rückkehrer müssen seit Dienstag mindestens fünf Tage in Selbstisolierung, bevor sie sich freitesten können – das gilt sogar für Kinder. Auch Österreich verschärfte die Regeln und führte wieder eine PCR-Testpflicht für Spanien-Rückkehrer ein. Doch viele Urlauber, die schon auf der Insel sind oder kurz vor dem Abflug Richtung Insel stehen, scheint dieses Szenario nicht zu schrecken.
Am sichtbarsten wird das an der Playa de Palma, der „Ballermann“-Partyzone. Tausende junge Menschen, darunter viele Deutschsprachige, feiern dort jeden Abend mit Alkohol, ohne Abstand oder Maske. „Saufen, saufen, saufen“, grölt die Menge. Einer der Partyhelden ist mit einem Megafon ausgerüstet und heizt die Stimmung mit lockeren Sprüchen an: „Das ist total geil hier“, ruft er in die Nacht.
Eigentlich ist seit dem Wochenende auf Mallorca ein nächtliches Versammlungsverbot in Kraft. Wilde Open-Air-Partys gelten als Hotspot. Jede Nacht taucht die Polizei auf und versucht, die Menschen nach Hause zu schicken – mit mäßigem Erfolg. Die Ordnungshüter werden ausgelacht. Und mit Sprüchen bedacht wie: „Sie gehen, wir kommen.“Denn kaum sind die Beamten verschwunden, wird weitergefeiert.
„Für das Verhalten der Partyurlauber möchte man sich fremdschämen“, überschrieb die „Mallorca-Zeitung“einen Meinungsartikel zu den Auswüchsen. „Als gebe es keine Pandemie“, schimpfte das Blatt entsetzt. „Sie trinken – obwohl das längst verboten ist – Alkohol in der Öffentlichkeit, liegen sich in den Armen und haben in ihrer feucht-fröhlichen Euphorie von Corona-Regeln offensichtlich nie etwas gehört.“
Die Zeitung erinnert daran, dass die Insel vom Tourismus lebt und ein erneutes vorzeitiges Ende der Saison wie im vergangenen Jahr viele Familien in die Armut stürzen würde. „Es kann nicht sein, dass sich ein Großteil der Menschen auf Mallorca
monatelang diszipliniert an alle Corona-Auflagen hält, um irgendwie die Tourismussaison 2021 zu retten. Und dass dann eine winzige Minderheit, noch dazu eine derart rücksichtslose, diese massiven Anstrengungen der Bevölkerung mit Füßen tritt.“
Willi Verhuven, Chef des Reiseveranstalters Alltours, sieht das ähnlich: „Die Sauftouristen repräsentieren nur zwei bis drei Prozent der Urlauber auf Mallorca“, sagt Verhuven. Er fordert ein Verbot des Sauftourismus: „Diese Leute schaden dem Image und der Wirtschaft Mallorcas.“
Das Gros der Mallorcaurlauber benimmt sich hingegen vorbildlich. Doch durch die Höherstufung der Insel vom Risikogebiet zum Hochinzidenzgebiet und die damit verbundene Reisewarnung werden nun alle Deutschen gleichermaßen getroffen. Trotzdem lassen sich die meisten nicht aus der Ruhe bringen: „Viele Urlauber reagieren gelassen“, stellt die „Mallorca-Zeitung“bei einer Umfrage auf der Straße fest.
Die meisten Kommentare von Reisenden in einschlägigen Mallorca-Foren bestätigen diesen Eindruck weitgehend. „Wir kommen auf alle Fälle, solange Mallorca nicht noch weiter höhergestuft wird. Wir sind beide vollständig geimpft“, schreibt eine Inselfreundin namens Sabine. „Ich fliege im August und freue mich. Ich lasse mir den Urlaub nicht versauen“, verkündet eine andere Reisende, die sich als Anita vorstellt. Aber es gibt auch Absagen: „Gut, dass wir storniert haben. Das bringt doch nichts, wenn man mit Kindern hinterher in Quarantäne muss.“
Die Reisebranche meldet zunächst keine größere Stornierungswelle. Obwohl die Sorge wächst, dass der Kater noch kommen könnte und dass neue Buchungen gebremst werden könnten. Bereits vor der Berliner Entscheidung hatten die Hotelbetriebe einen Rückgang der Reservierungen um 30 Prozent gemeldet, was sie auf die neue Corona-Welle zurückführen.
Die Hoteliers beten unterdessen, dass die Stimmung nicht doch noch weiter kippt. Die Vizechefin des Hotelverbandes FEHM, María José Aguiló, räumt nach der deutschen Reisewarnung ein: „Das ist eine schlechte Nachricht.“
„Die Hochstufung Spaniens zum Hochinzidenzgebiet mitten in der Ferienzeit macht zahlreichen Reisenden und insbesondere vielen Familien mit Kindern die Urlaubspläne zunichte“, sagt Norbert Fiebig, Präsident des Deutschen Reiseverbandes.
Er schätzt, dass sich derzeit rund 400.000 deutsche Urlauber in Spanien befinden – ein Großteil davon auf Mallorca. Deutschland ist der wichtigste Reisemarkt der Insel.
Mehr als 330 Menschen auf den Balearen liegen derzeit mit CovidKomplikationen im Krankenhaus. Noch steht das Gesundheitssystem nicht vor dem Kollaps, wie in früheren Viruswellen, aber wegen des wachsenden Drucks müssen bereits Routine-Eingriffe verschoben werden.
Auch immer mehr Touristen stecken sich im Urlaub an. Hunderte wurden in den vergangenen Wochen bei den obligatorischen CoronaTests vor dem Rückflug positiv getestet. Die speziellen Quarantäne-Herbergen sind überfüllt. Immer mehr Hotels müssen deswegen für infizierte Gäste Quarantäne-Zimmer bereitstellen. Dennoch: Die Schnelltests vor dem Rückflug entdecken offenbar längst nicht alle Infizierten. Immer mehr Mallorca-Urlauber merken erst nach der Rückkehr in die Heimat mit starken Symptomen, dass sie das Virus als Souvenir mitgebracht haben.
Aus der „Mallorca-Zeitung“