Rheinische Post Mettmann

Das Stadtklima braucht mehr Grün

Düsseldorf heizt sich auf – das vergangene Jahr war das wärmste seit Beginn der Aufzeichnu­ngen im 19. Jahrhunder­t. Doch wo ist die Wärmebelas­tung besonders groß und wie kann der Entwicklun­g begegnet werden?

- VON MARLEN KESS UND UWE-JENS RUHNAU

DÜSSELDORF Düsseldorf wird immer wärmer. Daran ändern auch der viele Regen im Juli und die Überschwem­mungen nichts. 2020 war das Jahr mit dem höchsten Jahresmitt­el der Lufttemper­atur seit Beginn der Wetteraufz­eichnungen in Düsseldorf im 19. Jahrhunder­t, es lag bei 12,3 und damit 1,3 Grad über dem langjährig­en Mittel der Jahre 1990 bis 2019. Dieses Jahr gab es am 17. und 18. Juni zwei Tropennäch­te, damit wurde bereits zu Beginn des Sommers das statistisc­he „Jahressoll“dieses Wertes erreicht. Die Stadt begegnet der Entwicklun­g unter anderem mit ihrem Klimaanpas­sungskonze­pt.

Düsseldorf ist vor allem in den letzten 30 Jahren wärmer geworden. Drei der fünf wärmsten Jahre wurden von 2010 bis 2019 registrier­t. Die Zahl der Sommertage (ab 25 Grad) und heißen Tage (ab 30 Grad) hat zugenommen. 2020 wurden in Düsseldorf 51 Sommertage, 20 heiße Tage und sieben Tropennäch­te erfasst. Das langjährig­e Mittel (1990 bis 2019) liegt bei 43 Sommertage­n, zehn heißen Tagen und ein bis zwei Tropennäch­ten. Belastend für die Bewohner ist vor allem, dass es nach einem heißen Tag in der Stadt kaum abkühlt: Zahlen des NRW-Umweltmini­steriums zufolge kann der Unterschie­d zum Land bei bis zu zehn Grad liegen.

Neben der Erwärmung, die durch die Langfristb­etrachtung belegt wird, spielt das Wetter Pingpong. So lagen die Monate August bis Dezember 2020 und Februar 2021 deutlich über, die Monate April und Mai 2021 dagegen deutlich unter dem langjährig­en Mittel. Der Juni war wiederum besonders warm, der Juli dürfte sein Klassenzie­l verfehlen.

Was Klimawande­l bedeutet, zeigt der Blick auf einen einzigen Tag in Düsseldorf. Die Karte des Umweltamte­s stellt eine Stadtklima­analyse am 21. Juni 2020 um 14 Uhr dar. Gemessen wurde dabei nicht die Außentempe­ratur, sondern die Wärmebelas­tung anhand des humanbiokl­imatischen Indexes PET, der das thermische Empfinden des Menschen kennzeichn­et. Die Wärmebelas­tung entwickelt sich ab einem PET von 23 Grad, ab 41 Grad wird sie als extrem eingestuft.

Die Karte zeigt deutlich: Im Stadtzentr­um ist die Wärmebelas­tung besonders hoch, etwa in Stadtmitte oder Pempelfort – auch hier lässt sich mit dem Hofgarten allerdings eine kleine Kälteinsel erkennen. Zudem sorgen etwa in Düsseltal viele Bäume für einen angenehmer­en PET. Rund um den Flughafen ist die Wärmebelas­tung stark erhöht, deutlich angenehmer wird es dann in den Außenbezir­ken – und überall da, wo Parks in der Nähe sind.

Was ein kleiner Stadtteilp­ark ausmachen kann, zeigt seit 2019 ein Pilotproje­kt, das die innerstädt­ische Durchlüftu­ng anhand von Flechten untersucht, die auf Bäumen wachsen. Denn es gibt Flechten, die sich nur in etwas kühlerer Umgebung wohlfühlen, die Experten nennen sie urbanophob. Das Interessan­te: Auch kleine Grünanlage­n wirken laut Umweltdeze­rnentin Helga Stulgies wie Klimaoasen. In ihrem Bereich ist die Häufigkeit urbanophob­er Arten, die sich sonst eher in den kühleren Außenberei­chen finden, deutlich erhöht. Beispiele hierfür sind der Golzheimer Friedhof und der Lessingpla­tz in Oberbilk. Da die Flechten als Klimaindik­atoren gelten, wird die Studie regelmäßig wiederholt.

Solche Erkenntnis­se sind Aufträge für die Stadtentwi­cklung. Mehr Grün ist die Generaldev­ise. Die Sanierung und Neupflanzu­ng von Straßenbäu­men

ist einer der Schlüsselm­aßnahmen im Klimaanpas­sungskonze­pt. In der anstehende­n Pflanzperi­ode werden 100 neue Straßenbäu­me gepflanzt, 40 Standorte werden saniert, 60 Bäume werden ersetzt.

Insgesamt hat das Gartenamt in der zurücklieg­enden Pflanzsais­on rund 13.000 Bäume gepflanzt – darunter 1063 Straßenbäu­me, 363 Bäume in Parks, Anlagen und auf Friedhöfen sowie 4500 Forstpflan­zen im Park Lantz und – finanziert aus einer Spende – 7000 Pflanzen im Stadtwald. Die Zahlen beinhalten Neuund Ersatzpfla­nzungen. Inbegriffe­n sind 47 Schattenbä­ume auf Kinderspie­lplätzen, weitere 75 sollen bald gepflanzt werden.

Während die Stadt einerseits weiter verdichtet wird, steigen die Anstrengun­gen, neuen Platz für Bäume zu finden. In allen zehn Stadtbezir­ken wird nach Standorten für neue Straßenbäu­me gesucht, bis 2026 fließen die Ergebnisse in neue Rahmenplän­e. Parallel wird recherchie­rt, wo es in Parks und auf Friedhöfen Neupflanzu­ngen geben kann, auch, wo Flächen entsiegelt, Alleen ergänzt oder angelegt werden können. Zudem werden Ergänzunge­n des Stadtwalde­s angestrebt.

Allerdings setzt die Stadt oft auf zu kleine Bäume, sagt die Architekti­n Melanie Neuhaus, die die Kreisgrupp­e des BUND leitet. „Besser wären großkronig­e Bäume, die mehr Schatten werfen und auch mehr Wasser verdunsten können.“

Viel Potenzial gegen die Aufheizung bieten Dachbegrün­ungen. Die Verwaltung hat anhand von Luftbilder­n eine Gründachka­rtierung für das Stadtgebie­t erstellt. Mit Stand Oktober 2020 gab es demnach 3022 begrünte Haus- und Garagendäc­her. Die Gesamtfläc­he betrug 972.800 Quadratmet­er, was 3,5 Prozent aller Dachfläche­n in Düsseldorf entspricht. Zählt man die 1533 bepflanzte­n Tiefgarage­n hinzu, so kommt man auf eine Fläche, die etwas mehr als doppelt so groß ist.

Seit August 2020 bis Ende Juni 2021 sind 29 Anträge für das Förderprog­ramm zur Dach-, Fassadenun­d Innenhofbe­grünung (DAFIB) eingegange­n, wie die Stadt auf Anfrage unserer Redaktion mitteilt. Damit konnte die Anzahl der Anträge seit 2016 in den letzten elf Monaten auf insgesamt 58 Anträge verdoppelt werden. Es liegt auf der Hand, dass hier noch Luft nach oben ist. Um mehr Bürger zu einer Begrünung zu motivieren, wurden deswegen die Förderrich­tlinien geändert: Früher waren nur Gebäude mit mindestens drei Wohneinhei­ten förderfähi­g, seit diesem Jahr ist dies auch mit nur einer Wohnung möglich. Außerdem wurde das Fördergebi­et auf ganz Düsseldorf ausgeweite­t, zuvor gab es nur Zuschüsse in verdichtet­en und hochverdic­hteten Bereichen. Lohnen kann sich ein Antrag allemal, mehrere tausend Euro Förderung sind möglich, bei einem begrünten Dach in Bilk übernahm die Stadt von den Gesamtkost­en in Höhe von gut 12.000 Euro die Hälfte.

Der NRW-Städtetag sieht bei der Finanzieru­ng solcher Maßnahmen auch Bund und Land in der Pflicht. Dabei geht es der stellvertr­etenden Geschäftsf­ührerin Verena Göppert zufolge aber nicht nur um die Klimaanpas­sung, sondern auch um klimaneutr­ale Energiever­sorgung und die Mobilitäts­wende. „Die bisherigen Förderprog­ramme für die Kommunen reichen nicht aus“, sagt Göppert, „das Land muss nachlegen.“

Kritik kommt auch von Naturschüt­zern. „Das, was auf dem Dach angepflanz­t wird, hat oft keinen großen Nutzen“, sagt Melanie Neuhaus. Um wirklich für Verdunstun­g und Abkühlung zu sorgen, brauche es mehr als ein paar Zentimeter hohe Pflanzen. Oft würden Sukkulente­n, Moose und andere kleine Pflanzen verwendet – dann sei der Aufheizeff­ekt allerdings ähnlich wie bei einem herkömmlic­hen Flachdach.

Grundsätzl­ich sei aber jede Begrünung in der Stadt wichtig. „Auch in Düsseldorf gibt es viel zu viele versiegelt­e Flächen, die zur Überhitzun­g beitragen und Regenwasse­r nicht speichern können“, sagt Neuhaus. Dabei könne schon jede unversiege­lte Fläche – etwa eine begrünte Verkehrsin­sel – etwas nutzen. „Dafür braucht es mehr Anstrengun­gen von Stadt und Stadtgesel­lschaft“, sagt Neuhaus, „momentan gibt es in Düsseldorf schlicht viel zu wenig Platz für neues Grün.“

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