Die Hochburg der Grünen
Die Partei ist der klare Sieger der Wahl in Köln. Im Wahlkreis mit dem Stadtteil Nippes hat das Bündnis das stärkste Ergebnis erreicht.
KÖLN Auf dem Leipziger Platz in Nippes spielen die Kinder oft „Frau Böhmer“. Das geht dann nicht lange gut, weil jedes Mal ein Streit entbrennt um die Frage, wer die Hauptrolle spielen darf, also Frau Böhmer. Die 50-Jährige und ihr Fachgeschäft für Obst und Gemüse kennt in dem Kölner Stadtteil vermutlich jeder. Tatjana Böhmer strahlt immer. Sie kennt nicht nur die Namen sämtlicher Kunden, sondern weiß auch, wie deren Kinder und Hunde heißen. Dass sie jeden Tag in aller Herrgottsfrühe auf dem Großmarkt steht, merkt man ihr nie an.
„Mein Mann und ich sind seit 2007 hier im Veedel, und wir haben uns damals schon gewundert, wie groß die Nach- frage nach gutem Obst und Gemüse ist“, sagt sie. Heute ist sie davon überzeugt: „In Nippes sind Lebensmittel ein Statussymbol – gute Lebensmittel und das Fahrrad, nicht etwa ein dickes Auto.“
Tatjana Böhmers Obstladen zwischen dem Brauhaus „Em golde Kappes“und der FC-Kneipe „Alt Neppes“ist für viele hier charakteristisch für das Lebensgefühl: Nippes ist das Dorf in der Großstadt. Hier gibt es Blumenbeete am
Straßenrand, die von den Bewohnern angelegt wurden und gepflegt werden. Abends werden rund um den Schillplatz im Sommer Tischtennisplatten und Stühle nach draußen geschleppt. Dabei gibt es diesen Platz eigentlich gar nicht, er ist in keinem Navigationssystem zu finden. Die Nippeser haben den namenlosen Platz so getauft, weil die Schillstraße angrenzt. Wenn hier abends die Lichterketten über den Restauranttischen leuchten und jeder jeden kennt, ist das Dorfgefühl perfekt.
Der Stadtteil im Kölner Norden gehört zum Wahlkreis III, in dem es am Sonntag einen grünen Kantersieg gab: Der ehemalige Fraktionsvize der Grünen im Landtag, Arndt Klocke, bekam 41,6 Prozent der Erststimmen, SPD-Mann Jochen Ott 25,9 Prozent. Nathanael Liminski (CDU), Chef der Staatskanzlei in Düsseldorf, lag bei 13,8 Prozent. Erstmals haben die Grünen in NRW bei einer Landtagswahl Direktmandate errungen, in Köln gleich vier. Hier kamen die Grünen insgesamt auf gut 30 Prozent der Zweitstimmen – mehr als 18 Prozent über dem Wert von 2017. Neben Arndt Klocke haben auch Eileen Woestmann (Köln I: Innenstadt, Rodenkirchen) mit 33,6 Prozent, Frank Jablonski (Köln II: Lindenthal) mit 35,9 Prozent und Berivan Aymaz (Köln VI: Innenstadt, Kalk) mit 37 Prozent ihre Herausforderer geschlagen.
Nicht erst seit der Landtagswahl gilt Köln als Hochburg der Grünen. Seit bald 40 Jahren ist die Partei hier politisch aktiv. Seit 1984 sind sie im Rat der Stadt vertreten – schon damals mit beachtlichen 10,8 Prozent. Bei der Kommunalwahl 2020 erreichten sie 28,5 Prozent und wurden stärkste Kraft; mit 26 Ratsfrauen und Ratsherren sind sie seitdem im Stadtrat vertreten. Dort machen die Kölner den Grünen das vor, was auf Landesebene gerade diskutiert wird: ein Bündnis mit der CDU; in Köln kommt lediglich noch die Partei Volt hinzu. Und ihre Präsenz merkt man in der Stadt – etwa bei den Tempo-30-Zonen.
Im vergangenen Dezember ist Köln der Städteinitiative „Lebenswerte Städte durch angemessene Geschwindigkeiten – eine neue kommunale Initiative für stadtverträglicheren Verkehr“beigetreten. Die Initiative bekennt sich zur Mobilitätswende und fordert den Bund auf, die rechtlichen Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass Kommunen
Tempo 30 als Höchstgeschwindigkeit innerorts in bestimmten Straßen anordnen können, wo sie es für notwendig halten. Auch der Ausbau von Bus und Bahn, Radwegen und Elektromobilität wird schon seit Jahren forciert. Unterstützung in ihrer Politik erhalten die Grünen auch von Kölns parteiloser Oberbürgermeisterin Henriette Reker.
Im Nippeser Tälchen, einem Park mit Hängematten und einer Hundewiese, spielt Michael Tariverdian mit seiner kleinen Tochter unter den Bäumen im Sand. Der 41-Jährige ist Grafikdesigner und lebt mit seiner Frau, von Beruf Ärztin, seit zwei Jahren in Nippes. Ein Auto haben sie nicht, warum auch, es ist alles zu Fuß zu erreichen: Supermärkte, Drogeriemärkte, Apotheken, Spielplätze und Cafés. Eine Besonderheit des Viertels ist der tägliche Markt auf dem Wilhelmplatz, den es schon seit 1900 gibt.
Wie auf dem Dorf. Aber es ist ein Leben, das man sich leisten können muss. „Natürlich ist Nippes auch ein stark gentrifiziertes Viertel, in dem viele junge, eher zahlungskräftige und relativ gebildete Menschen leben“, sagt Tariverdian. „In dieser Blase fallen ökologische, links-tolerante Ideen natürlich auf fruchtbaren Boden“, sagt er. Die Mietwohnung hat die Familie aber nur „unter der Hand“und zu einem fairen Preis zufällig gefunden, wie Tariverdian sagt. „Wir könnten uns das sonst gar nicht leisten hier.“Trotz doppelten Einkommens. „Im Grunde sind wir hier in Nippes elitäre Hippies.“
Karl Werz hat seit mehr als 27 Jahren eine Kneipe im Viertel, das „Alt Neppes“. „Es sind die Jungen, die die Grünen gewählt haben“, sagt der 71-Jährige. „Ich war es nicht.“Das Rekordergebnis der Partei ist auch ein Resultat dessen, dass viele Erstwähler
sich für die Grünen entschieden haben. Normalverdiener könnten sich hier in Nippes längst keine Wohnung mehr leisten, sagt Werz. „Und die Diskrepanz zwischen Arm und Reich geht immer weiter auseinander.“Er wird laut, wenn er etwa über Förderungen für Lastenfahrräder spricht. „Und dann fahren die hier falschrum in die Einbahnstraße“, sagt er. Es sei ein Fehler, den Autofahrern das Leben immer schwerer zu machen. Keine Parkplätze, überteuerte Stellplätze – auch das ist Nippes.
Michael Tariverdian ist realistisch. Er weiß, dass Nippes nur für ein paar Jahre das Zuhause seiner Familie sein wird. „Obwohl wir beide gut verdienen, können wir uns eine Wohnung hier gerade so leisten – hier Eigentum zu erwerben, ist überhaupt nicht denkbar.“Und das wird sie irgendwann dann doch raustreiben aufs Land.