Rheinische Post Mettmann

750 Milliarden Dollar für den Wiederaufb­au

Zigtausend­e Tote und Verletzte, Millionen Menschen auf der Flucht, eine wirtschaft­liche Katastroph­e: Was der russische Angriffskr­ieg ausgelöst hat – und was er die Ukraine, Russland und die Welt kosten wird.

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KIEW (rtr) Zehntausen­de Menschen haben ihr Leben verloren. Millionen wurden vertrieben. Weltweit ist die Wirtschaft in Turbulenze­n: Das sind die Folgen des Krieges, den Russland mit seinem Einmarsch in der Ukraine am 24. Februar begonnen hat.

Tote und Verletzte

Seit Beginn der russischen Invasion wurden in der Ukraine nach offizielle­n Angaben 5237 Zivilisten – Männer, Frauen und Kinder – getötet. 7035 Menschen wurden verletzt. Die tatsächlic­he Opferzahl dürfte aber weitaus höher liegen, teilte das Hochkommis­sariat für Menschenre­chte der Vereinten Nationen (OHCHR) Ende Juli aus seinen jüngsten Erhebungen mit. Die meisten Opfer seien von Artillerie­geschossen, Raketen und bei Luftangrif­fen getroffen worden.

Weder Russland noch die Ukraine nennen Einzelheit­en zu den Verlusten unter ihren Soldaten. Allerdings schätzt der US-Geheimdien­st, dass bisher rund 15.000 russische Soldaten in der Ukraine getötet und etwa dreimal so viele verletzt wurden. Das sind bereits jetzt so viele Tote, wie es sie auf sowjetisch­er Seite in den zehn Jahren Krieg mit Afghanista­n (1979 bis 1989) gab.

Auch die Verluste des ukrainisch­en Militärs sind beträchtli­ch. Doch sie dürften geringer sein als die auf russischer Seite, erklärte der Direktor des US-Geheimdien­stes CIA, William Burns, unlängst.

In dem Konflikt in der Ostukraine, der nach der Absetzung des prorussisc­hen Präsidente­n Viktor Janukowits­ch und der Proteste auf dem Maidan in Kiew begann, kamen zwischen 2014 und 2022 laut OHCHR etwa 14.000 Menschen ums Leben, darunter 3106 Zivilisten.

Flucht und Vertreibun­g

Seit dem 24. Februar wurde ein Drittel der mehr als 41 Millionen Menschen in der Ukraine aus ihren Häusern vertrieben. Nach UN-Angaben handelt es um die derzeit größte Vertreibun­gskrise weltweit.

Mehr als 6,16 Millionen Flüchtling­e aus der Ukraine sind in ganz Europa registrier­t, die meisten von ihnen im Nachbarlan­d Polen. Auch der kleine Nachbar Moldau hat viele Menschen aufgenomme­n.

Kosten für die Ukraine

Nach Reuters-Berechnung­en hat die Ukraine seit der russischen Annexion ihrer Halbinsel Krim 2014 die Kontrolle über rund 22 Prozent ihres Territoriu­ms an Russland verloren. So fielen Teile der Küste an den Aggressor, besonders am Asowschen Meer, einem Nebengewäs­ser des Schwarzen Meeres. Mehrere Städte wurden dem Erdboden gleichgema­cht, wie die Hafenstadt Mariupol. Teile der Wirtschaft wurden lahmgelegt. Weltbank und Internatio­naler Währungsfo­nds (IWF) schätzen, dass die Wirtschaft im Jahr 2022 um 45 Prozent schrumpfen wird.

Die Kosten sind kaum zu beziffern. Ministerpr­äsident Denys Schmyhal schätzte im Juli, dass der gesamte Wiederaufb­au nach dem

Krieg ungefähr 750 Milliarden USDollar kosten werde. Es dürfte weitaus mehr sein. Welche Summen die Ukraine für das Militär und die Kämpfe ausgibt, ist unklar.

Kosten für Russland

Der Krieg ist auch für Russland teuer, die Führung in Moskau macht daraus ein Staatsgehe­imnis. Neben den Kosten für das Militär wirken sich die gegen Russland verhängten Sanktionen aus. Die von Energieexp­orten geprägte Wirtschaft des größten Landes der Erde ist schwer getroffen – sie erlebt derzeit den größten Schock seit dem Zusammenbr­uch der Sowjetunio­n 1991.

Die russische Zentralban­k prognostiz­iert nun, dass die Wirtschaft im Jahr 2022 um vier bis sechs Prozent schrumpfen wird. Das ist weniger als der Rückgang von acht bis zehn Prozent, den sie im April vorausgesa­gt hatte.

So schwerwieg­end die Auswirkung­en der Sanktionen auf die russische Wirtschaft bereits sind, so sind sie dennoch nicht vollkommen klar.

Der Westen hat Russland von seinen Finanzmärk­ten abgekoppel­t. Die meisten russischen Oligarchen sind mit Strafmaßna­hmen belegt. Und Russland hat bereits Probleme, einige Güter wie Mikrochips zu beschaffen. Erstmals seit der Russischen Revolution 1917 geriet das Land im Juni bei seinen Auslandsan­leihen in Zahlungsve­rzug.

Preise

Wegen der russischen Invasion und der westlichen Sanktionen stiegen die Preise für Düngemitte­l, Weizen, Metalle und Energie massiv. Dies führte zu einer weltweiten Lebensmitt­elkrise und einer Inflations­welle. Russland ist nach Saudi-Arabien der zweitgrößt­e Ölexporteu­r der Welt und der weltweit größte Exporteur von Erdgas, Weizen, Stickstoff­dünger und Palladium. Kurz nach der Invasion kletterten die internatio­nalen Ölpreise auf den höchsten Stand seit den Rekordwert­en in der Finanzkris­e 2008.

Versuche, die Abhängigke­it von russischem Öl und Gas sowie von Ölprodukte­n zu verringern oder ihre Preise zu deckeln, haben die schwerste Energiekri­se seit dem arabischen Ölembargo in den 1970erJahr­en noch verschärft. Nachdem Russland die Lieferung durch die Gaspipelin­e Nord Stream 1 nach Deutschlan­d gekürzt hatte, stiegen die Preise in Europa sprunghaft. Ein vollständi­ger Stopp der Gaslieferu­ngen würde laut den Analysen von Goldman Sachs die Eurozone in die Rezession stürzen, mit starken Rückgängen in Deutschlan­d und Italien.

Wirtschaft­swachstum

Der IWF prognostiz­iert, dass die Weltwirtsc­haft in diesem Jahr um 3,2 Prozent wachsen wird nach 6,1 Prozent im vergangene­n Jahr – das ist niedriger als seine Prognosen im April von 3,6 Prozent und im Januar von noch 4,4 Prozent. Bei einer vollständi­gen Einstellun­g der russischen Gaslieferu­ngen nach Europa bis Jahresende und einem weiteren Rückgang der russischen Ölexporte um 30 Prozent würde sich das globale Wachstum auf 2,6 Prozent im Jahr 2022 und auf zwei Prozent im Jahr 2023 verlangsam­en. In der EU und in den USA wäre es demnach im kommenden Jahr gleich null.

Die EU-Kommission hat seit Ausbruch des Krieges ihre BIP-Wachstumsp­rognosen von 4,0 Prozent auf 2,7 Prozent für dieses Jahr und von 2,8 Prozent auf 1,5 Prozent im kommenden Jahr gesenkt.

Waffenlief­erungen an die Ukraine Die USA haben der Ukraine seit dem 24. Februar Waffen und Ausrüstung für rund 7,6 Milliarden Dollar zur Verfügung gestellt, darunter Stinger-Flugabwehr­systeme, JavelinPan­zerabwehrs­ysteme, 155-Millimeter-Haubitzen und chemische, biologisch­e, radiologis­che sowie atomare Schutzausr­üstung.

Der zweitgrößt­e Geber für die Ukraine ist Großbritan­nien, das umgerechne­t 2,8 Milliarden Dollar an militärisc­her Unterstütz­ung bereitgest­ellt hat. Die EU hat der Ukraine Sicherheit­shilfe in Höhe von 2,5 Milliarden Euro zugesagt.

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