Ampelkoalition lehnt Rente mit 70 Jahren ab
Eine Erhöhung des Eintrittsalters, wie Ökonomen fordern, wird es wohl nicht geben. Doch der Reformbedarf wird spätestens ab 2026 akut.
BERLIN Die Forderung von Arbeitgebern und Ökonomen nach einer Erhöhung des Rentenalters auf 70 Jahre stößt in der Ampelkoalition auf Widerstand: „Die Diskussion ist hinter der Zeit. Wer länger als bis 67 arbeiten will, kann das bereits tun“, sagte SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich unserer Redaktion. „Im Koalitionsvertrag haben wir vereinbart, das Instrument der Flexi-Rente zu stärken. Wer aber nicht mehr länger arbeiten kann, dem werden wir nichts wegnehmen“, sagte Mützenich. „Einer faktischen Rentenkürzung, die eine allgemeine Anhebung des Renteneintrittsalters auf 70 bedeutet, wird die SPD-Fraktion nicht zustimmen. Wir werden die bestehenden Herausforderungen nicht auf dem Rücken der älteren Menschen abladen“, erklärte der SPDPolitiker. Ähnlich äußerten sich die Grünen. Und auch die FDP will das generelle Renteneintrittsalter nicht weiter anheben.
Ausgelöst hatte die Debatte der Präsident des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall, Stefan Wolf. Angesichts der demografischen Entwicklung und der steigenden sozialen Belastungen seien die Reserven der Rentenkasse aufgebraucht. „Stufenweise werden wir auf das Renteneintrittsalter von 70 Jahren hochgehen müssen – auch weil das Lebensalter immer weiter steigt“, sagte Wolf der Funke-Mediengruppe. Ohne die Erhöhung werde das System mittelfristig nicht mehr finanzierbar sein.
Die Ampel hatte sich in ihrem Koalitionsvertrag jedoch festgelegt, das Renteneintrittsalter nicht anzutasten. Darauf berufen sich nun auch alle drei Parteien. Allerdings besteht in der Rentenversicherung wegen der beschleunigten Alterung und des gleichzeitigen Rückgangs der Erwerbsbevölkerung Reformbedarf spätestens ab 2026. Die Koalition müsse sich bereits in dieser Legislaturperiode Gedanken über die nötige Reform in der nächsten Periode machen, fordern Arbeitgeber und Ökonomen. Geregelt ist bisher, dass das Renteneintrittsalter bis 2031 schrittweise auf 67 Jahre steigt. Der erste Jahrgang, für den dies gilt, ist der Jahrgang 1964; alle älteren Jahrgänge können noch etwas früher in Rente gehen. Vom Erreichen der Marke 67 Jahre ist Deutschland vor allem wegen der für viele attraktiven Rente mit 63, die mit 45 Versicherungsjahren möglich ist, derzeit noch weit weg: Das tatsächliche durchschnittliche Renteneintrittsalter erreichte 2021 erst 64,2 Jahre.
Wie die SPD sind auch die Grünen strikt gegen ein noch höheres Rentenalter. „Die Anhebung des Renteneintrittsalters auf 70 ist der falsche Weg. Wer das vorschlägt, meint eigentlich eine Rentenkürzung für Menschen mit körperlich harten Jobs, für Pflegekräfte, Stahlarbeiter oder Feuerwehrleute“, sagte Fraktionsvize Andreas Audretsch. „Perspektivisch brauchen wir grundlegende Reformen, um Generationengerechtigkeit zu schaffen. Dazu gehören gute Löhne, eine höhere Erwerbstätigkeit von Frauen, mehr Zuwanderung und eine Reform der Rentenversicherung selber – hin zu einer Bürgerversicherung, in die alle einzahlen, auch Beamte, Abgeordnete oder Minister“, sagte der Grünen-Politiker.
Selbst die den Arbeitgebern nahestehendere FDP will sich nicht für ein höheres Rentenalter in die Bresche werfen. „Wir lehnen eine Erhöhung des Renteneintrittsalters über die bisherige Regelung hinaus ab“, sagte der rentenpolitische Sprecher Pascal Kober. Um die Rentenfinanzierung generationengerechter zu machen, steige man jetzt in die Kapitaldeckung ein. Die FDP plädiere für einen noch flexibleren Renteneintritt. „Jeder soll ab 60 Jahren selbst entscheiden dürfen, ab wann er in Rente geht. Entsprechend der Anzahl der Erwerbsjahre wird dann die Höhe der Rente festgelegt“, so Kober. Zudem müssten die Zuverdienstgrenzen für Rentner entfallen.
Ökonomen fordern von der Ampelkoalition mehr Tatkraft. „Ein höheres Renteneintrittsalter sollte nicht die einzige Anpassung sein. Ein langsameres Wachstum der Renten ist ebenfalls erforderlich“, sagte Ifo-Chef Clemens Fuest unserer Redaktion. „Es ist offenkundig, dass mit steigender Lebenserwartung und weniger Beitragszahlern das Standard-Renteneintrittsalter steigen muss“, so der Münchner Ökonom. „Die zusätzlichen Lasten allein durch höhere Beiträge oder Steuerzuschüsse zu finanzieren, wäre grob unfair gegenüber der jungen Generation und würde Beschäftigung und Wachstum stark beeinträchtigen“, sagte Fuest.
Die Wirtschaftsweise Veronika Grimm forderte die Kopplung des Renteneintritts an die höhere Lebenserwartung und mehr Weiterbildungsangebote für die Beschäftigten. „Die Lebenserwartung steigt, und die Gesundheit der Menschen im Alter verbessert sich im Durchschnitt. Das erfordert auch eine Anpassung beim Rentenalter, damit die Rentenversicherung finanzierbar bleibt“, erklärte Grimm. „Es müssen parallel die Möglichkeiten verbessert werden, sich entlang des Erwerbslebens weiterzubilden. Idealerweise gelingt es, die Erwerbsverläufe so zu gestalten, dass die Menschen im Alter Tätigkeiten ausüben, die leistbar sind.“