Suizid entfacht Debatte über digitale Gewalt
Nach dem Tod einer Ärztin werden Forderungen nach besserem Schutz vor Hass im Netz laut.
BERLIN Der Tod der österreichischen Ärztin Lisa-Maria K. hat auch hierzulande eine Debatte über den Schutz vor digitaler Gewalt ausgelöst. Aus dem Parlament wurden Warnungen vor zunehmender Radikalisierung im Netz laut, ein gezielteres Vorgehen der Ermittlungsbehörden wurde gefordert. „Extremisten nutzen Hass und Hetze zunehmend als Strategie, um ein Klima von Angst und Gewalt zu schüren und ihnen unliebsame Stimmen zum Schweigen zu bringen“, sagte der Vizevorsitzende der Grünen im Bundestag, Konstantin von Notz, unserer Redaktion. Unionsfraktionsvize Andrea Lindholz (CSU) sieht in K.s Tod auch einen Beleg für die „erschreckende gesellschaftliche Sprengkraft von Hass und Hetze im Netz“. Die CSU-Innenpolitikerin sagte: „Soziale Medien wirken wie Brandbeschleuniger für Radikalisierungsprozesse, die sich natürlich auch auf die reale Welt auswirken.“
Die im Kampf gegen die CoronaPandemie engagierte Medizinerin K. war nach eigenen Angaben massiv von Impfgegnern unter Druck gesetzt worden und hatte Morddrohungen erhalten. Am Freitag wurde sie tot in ihrer Praxis in Oberösterreich gefunden. Die Staatsanwaltschaft Wels bestätigte einen Suizid. Vor einigen Wochen hatte K. ihre Praxis geschlossen, da sie sich von Polizei und Behörden nicht genug geschützt sah. Sie soll selbst rund 100.000 Euro in Schutzmaßnahmen investiert haben, zuletzt stand ein bewaffneter Sicherheitsmann dauerhaft vor ihrer Praxis. Am Montagabend gedachten Tausende am Stephansdom in Wien der Ärztin und entzündeten Lichter.
Nach Einschätzung der österreichischen Politikwissenschaftlerin Natascha Strobl stehen „Rechtsextreme, Nazis und Faschisten sowie Leute, die sich radikalisieren und diese Einstellungen ganz oder teilweise übernommen haben“, hinter derartiger Mobilisierung im Netz. „Das wird sich mit jeder Krise weiter verschärfen. Wir erleben einen gesellschaftlichen Verrohungs- und Faschisierungsprozess.“Die Rechtsextremismus-Expertin sieht erhebliche Defizite auch in der Ermittlungsarbeit in Deutschland. „Man wird nicht immer ernst genommen. ,Ist ja nur das Internet‘ ist nach wie vor bei vielen Behörden die erste Reaktion.“Strobl kritisierte einen Mangel an Expertise und Ressourcen in den Behörden. Grenzüberschreitender Hass werde zudem kaum sanktioniert, und der Austausch etwa zwischen deutschen und österreichischen Behörden funktioniere nicht so, wie er sollte. „Hier braucht es klare Abstimmung“, betonte Strobl.
Brisant ist die zunehmende Radikalisierung im Netz auch, da sich soziale Probleme weiter verschärfen könnten. „Die Auswirkungen grassierender Inflation und explodierender Energiepreise auf den sozialen Frieden in Deutschland machen mir große Sorgen“, sagte CSU-Innenexpertin Lindholz. Sie kritisiert, dass Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) zwar öffentlich vor den Auswirkungen warne, aber bisher nichts aktiv gegen diese Entwicklungen unternehme. „Frau Faeser riskiert, der Lage hinterherzulaufen, anstatt sie präventiv einzudämmen. Ein Baustein wäre zum Beispiel, den Sicherheitsbehörden moderne Befugnisse im digitalen Raum zu geben, damit einschlägig bekannte Extremisten wirksam überwacht werden können“, so Lindholz.
Der Grünen-Innenpolitiker von Notz forderte, derartigen Angriffen und bewussten Einschüchterungen „zur Verteidigung unserer Demokratie“entschieden entgegenzutreten. „Behörden müssen die digital verbreitete Hetze ernst nehmen und mit den Ressourcen ausgestattet werden, um diese Taten effektiv zu verfolgen.“Dort, wo Akteure Desinformation gezielt zur gesellschaftlichen Spaltung nutzten, müssten auch Bundesbehörden mit dem Ziel ermitteln, diese Strukturen aufzudecken und trockenzulegen, so der Grünen-Politiker weiter.