Rheinische Post Mettmann

Ein Vierteljah­rhundert im Varieté

Das Apollo-Theater feiert – und blickt zurück auf eine 25-jährige Geschichte, die eigentlich schon viel früher ihren Anfang nahm.

- VON BIRGIT WANNINGER

UNTERBILK Die Geschichte hat er schon oft erzählt, aber sie ist so schön, dass sie auch an dieser Stelle noch einmal erwähnt werden soll. Bernhard Paul hatte mit ihr stets die Lacher auf seiner Seite. „Du wirst noch mal unter der Brücke enden“, hat seine Mutter immer wieder gesagt, nicht wissend, dass sie recht behalten sollte. Denn das extravagan­te gläserne Theater-Gebäude des Architekte­n Niklaus Fritschi steht tatsächlic­h genau dort – unter der Rheinknieb­rücke. Hausherr ist Bernhard Paul.

Mit dem Varieté hat sich der Roncalli-Gründer einen Traum erfüllt. Das Apollo war der erste VarietéNeu­bau in Deutschlan­d nach dem Zweiten Weltkrieg. Und es ist nicht nur aufgrund seines Namens eine Hommage an das alte Apollo am Ende der Königsalle­e, das bis 1959 Deutschlan­ds größtes Varieté Theater war, mit einer langen Geschichte. Inzwischen hat auch das Apollo, dessen Dach sich nur 40 Zentimeter unter der Rheinknieb­rücke befindet, seine eigene Geschichte. In diesem Jahr ist es 25 Jahre alt und feiert am 17. Oktober mit einer großen Gala seinen Geburtstag. Schon am 4. August startet die „Große Jubiläumss­how 25 Jahre Apollo“, so der Titel.

Ein Vierteljah­rhundert ist das Apollo somit alt und die Entstehung­sgeschicht­e war nicht immer einfach. Exakt am Tag der Eröffnung, also am 17. Oktober 1997, hat der Roncalli-Chef vom damaligen Ministerpr­äsidenten Johannes Rau bei der Premiere einen Umschlag erhalten. Inhalt: die Baugenehmi­gung.

Das Haus, das bis zum letzten Tag während der Sommerpaus­e renoviert wurde, glänzt wieder gülden – sogar die Toilettent­üren. Es ist ein außergewöh­nliches Gebäude – oben der Balkon mit Klappsitze­n wie im Kino, wo der Zuschauer Snacks und Getränke zu sich nehmen kann; im großen Saal gibt es für Gäste Sechser-Tische, an denen sie speisen können. Hatte in den Anfangsjah­ren bis 2012 die LSG (Lufthansa Service Catering) die Küche übernommen, so kocht heute das Apollo in Eigenregie.

Insgesamt gab es bis heute 133 unterschie­dliche Programme und 7697 Vorstellun­gen, die mehr als 2,8 Millionen Besucher gesehen haben und sich meist auch bestens amüsierten. Anfangs wechselten die Programme alle vier Wochen, heute nur noch alle drei Monate.

Aber es gab auch den einen oder anderen Tiefpunkt: Da musste ein Conférenci­er ausgewechs­elt werden, ein Mentalist hatte eine Trefferquo­te von nur 50 Prozent. Zwischendu­rch gab es Streit mit dem Vermieter, bis man sich 2010 vor dem Landgerich­t gütlich einigte.

Seit Jahren will Bernhard Paul, dass der Zirkus als Kulturgut anerkannt wird und nicht als Wirtschaft­sgut gilt. Dafür kämpft er, denn dieses Gesetz stammt noch aus dem Dritten Reich. Inzwischen gibt es Signale, das Gesetz zu ändern.

2012 echauffier­te sich Paul bei einer Premierenf­eier über gestiegene Gema-Gebühren und prognostiz­ierte sogar, ihm bliebe keine andere Wahl, als das Haus zu schließen. Dennoch schaffte es der RoncalliCh­ef mit anderen Varieté-Leitern die Gema zu überzeugen, ihre Tarifrefor­m zu überdenken. Der Verband, der die Rechte von Komponiste­n vertritt, kam den Varietés deutlich entgegen.

Das war zu einem Zeitpunkt, als auf der kleinen Bühne links vom Publikum schon lange keine Live-Band mehr spielte. Die meisten Künstler brachten ihre eigene Musik vom Band mit, damit sie ein besseres Timing hatten. Live-Musik kam erst wieder mit Adrian Paul, dem Sohn des Impresario­s, zurück ins Apollo.

Heute laufen, oder besser tanzen, vier junge Damen mit wechselnde­n knappen Kostümen als Roter Faden durchs Programm. Die Mädels haben das Nummerngir­l abgelöst, es war ein Relikt aus alten Zeiten. Das Mädchen schritt in fescher Uniform nach jedem Akt mit einem goldenen Stern, auf dem eine Ziffer stand, über die Bühne und lächelte…

Ein Relikt aus alten Zeiten war auch Konrad Thur. Vielen besser bekannt als der Mann mit dem Hütchen. 1909 in Düsseldorf geboren, trat er schon im Apollo an der Kö auf. Er galt als der älteste Artist der

Welt und gab Gastspiele in renommiert­en Häusern. Im Apollo Varieté gehörte er fast zum Inventar.

Regelmäßig war er dort mit seinem Sohn John als die „Thuranos“mit seiner Drahtseiln­ummer zu sehen. 2004 feierte er, immer noch aktiv, seinen 95. Geburtstag. Zu den Gratulante­n gehörte damals auch Ministerpr­äsident Peer Steinbrück. Auch seinen 100. wollte Thur im Apollo begehen – auf der Bühne. Doch der älteste Artist der Welt, der noch seinen 98. Geburtstag im Apollo feierte, starb im selben Jahr im Haus seiner Tochter in Dänemark.

Es gab beeindruck­ende Künstler und Clowns wie beispielsw­eise Peter Shub. Legendär seine Nummer mit dem unsichtbar­en Hund an der Leine. Grandios auch die Sorellas - ein männliches Trapez Duo, mit zahlreiche­n Preisen ausgezeich­net. Wegen eines Rückenleid­ens kann Rodrique Funke nun nicht mehr am Trapez arbeiten.

Sein Freund Christoph Gobet hat seit Kurzem einen neuen Partner: Julian Kaiser. Vielleicht werden wir ihn auf der Bühne im Apollo wiedersehe­n. Die Sorellas waren übrigens Teil der wohl besten Show mit Tim Fischer. „Ich hab das Paradies gesehen“, so der absolut passende Titel, mit dem der Chansonnie­rs Abend für Abend brillierte.

Eindrucksv­oll auch die Zebras und nicht zuletzt Stammgäste wie die Pellegrini Brothers. Die vier begeistern immer wieder mit ihrer Handbalanc­e-Akrobatik. Und noch ehe sie loslegen, bringen sie die weiblichen Zuschauer zum Kreischen, wenn sie ihre weißen Jacken aufreißen und ihre Sixpacks zeigen. Bei der Geburtstag­sfeier des Apollo vor zehn Jahren standen die Pellegrini Brothers gerade auf der Bühne, als ein Feueralarm ausgelöst wurde, der das Kreischen der Frauen übertönte. Die Gäste mussten den Saal verlassen, die Feuerwehr kam mit einem Großaufgeb­ot und konnte wegen eines Fehlalarms schnell Entwarnung geben. Nach einer kurzen Pause machten die Pellegrini Brothers weiter.

Es gab viel Spektakulä­res und viel Romantisch­es. Immer wieder schön: der Abgang der Künstler nach dem Schlussapp­laus. Dann hob sich der hintere Vorhang und die Künstler sind noch einmal im Foyer hinter der großen Glasscheib­e zu sehen und winken.

Diese Tradition gibt es nicht mehr. An ihrer Stelle sind die phantastis­chen Bühnenbild­er von Dimitri

Filbert getreten, ein wahrer Kulissenkü­nstler, ein Designer, der jedes Bild in der Roncalli eigenen Werkstatt baut.

Dimitri gehört zur neuen, jungen Generation, zu der auch der Sänger Max Buskohl zählt. Denn mit der rockigen Show „Route 66“im Jahr 2016 kam wieder Livemusik ins Varieté. Paul Junior spielte bei dieser Show nicht nur die Rhythmusgi­tarre, sondern führte als damals 25-Jähriger erstmals Regie.

Es weht ein frischer Wind. Bernhard Paul, inzwischen 75, hat seine drei Kinder, die alle im Zirkus aufgewachs­en sind, für seine Nachfolge präpariert. 2019 traten Adrian, Vivian und Lili gemeinsam mit einer Rollschuh-Nummer auf, eine Überraschu­ng für den Vater, denn er wusste nichts davon.

Das war vor drei Jahren. Lilli, die zwischenze­itlich Let‘s Dance gewann, ist viel unterwegs. Vivian und Adrian sind bereits in die Fußstapfen ihres Vaters getreten und haben die ersten Geschäfte im RoncalliUn­ternehmen übernommen, Adrian ist künstleris­cher Leiter, seine Schwester für das Casting verantwort­lich. Und nach der langen Corona-Schließung laufen die Shows nun wieder an.

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RP-FOTO: ANNE ORTHEN Next Generation: Die Geschwiste­r Adrian, Vivian und Lili Paul (v.l.) vor einem Bild ihres Vaters Bernhard.
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FOTO: RONCALLI Johannes Rau (r.) brachte Bernhard Paul die Baugenehmi­gung für das Theater zur Premiere mit.
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FOTO: APOLLO VARIETÉ Das Dach des Gebäudes befindet sich nur 40 Zentimeter unter der Rheinknieb­rücke.
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RP-FOTO: WERNER GABRIEL Unvergesse­n: Konrad Thur (r.) mit seinem Sohn John, vor einem Auftritt 1998.

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