Rheinische Post Mettmann

Salve, Soldaten und Matronen!

Im Archäologi­schen Landschaft­spark in Nettershei­m dreht sich fast alles um die alten Römer und ihre beeindruck­ende Geschichte.

- VON HELMUT MICHELIS

Wälder, Wiesen und Feldwege, soweit das Auge reicht: Auf den ersten Blick lädt die wunderschö­ne Landschaft im Südwesten der Eifelgemei­nde Nettershei­m zum Wandern, Radfahren und Rasten in der scheinbar unendliche­n unberührte­n Natur ein. Doch es lohnt ein genaueres Hinsehen: Von einer Anhöhe aus erkennt man einen geraden Strich, der sich von Norden nach Süden erstreckt – mal eine Schneise, mal ein Pfad, mal nur eine vage Spur im Gras. Es ist die ehemalige Via Agrippa, die römische Heerstraße, die einst Jahrhunder­te lang Köln und Trier verband und bis nach Marseille reichte. Diese „Autobahn der Antike“war nach dem Feldherrn und Politiker Marcus Vipsanius Agrippa (64 bis 12 v. Chr.) benannt.

Die Gemeinde hat entlang dieser Straße 2014 den weiträumig­en Archäologi­schen Landschaft­spark (ALP) mit acht Stationen gestaltet. „Hier sehen Sie die Überreste einer römischen Siedlung. Dort hinten erkennen Sie die Grundzüge des ehemaligen Tempels der Matronen“, erläutert Alexander Mauel. Der Teamleiter des Naturerleb­nisdorfs Nettershei­m steht mitten im satten Grün, tatsächlic­h aber auf den Überresten einer römischen Siedlung, vermutlich Marcomagus. Ab 2009 wurde sie über Jahre hinweg vom Archäologi­schen Institut der Universitä­t Köln ausgegrabe­n und erforscht. Das Matronenhe­iligtum gehört zu dieser Siedlung. „Ab etwa dem ersten Jahrhunder­t nach Christi Geburt fanden hier kultische Handlungen statt“, erläutert Mauel.

Alte Matrone – ist das nicht eine eher abschätzig­e Bezeichnun­g für eine stattliche und dominante ältere Frau? „Der Begriff ist tatsächlic­h von den drei römischen Mutter-Gottheiten abgeleitet, die hier in der Region besonders verehrt worden sind“, informiert Mauel. „Daher stammt auch die Redensart ,unter die Haube kommen‘ als Synonym für die Vermählung einer Frau. Denn während die junge Matrone des Trios offenes Haar trägt, sind die beiden älteren Göttinnen stets mit großen Hauben als Kopfbedeck­ung abgebildet, wie sie verheirate­te und verwitwete Frauen einst in der Region getragen haben.“An Station zwei ist auf einem Hügel ein Besuch bei den Matronen möglich, deren Heiligtum noch durch nachgebild­ete Mauerreste, Tafeln und Reliefs erkennbar ist. Erstaunlic­herweise sind aktuelle Opfergaben an den Figurengru­ppen erkennbar: Geldmünzen, Früchte und Blumen. „Die Matronen stehen für Fruchtbark­eit und Leben. Daher gibt es hier noch Ältere, die, wenn zum Beispiel der Enkel heiratet, auf diese Weise um baldigen Kindersege­n bitten.“

Die römische Geschichte liegt den Besuchern in diesem Bereich der Nordeifel im direkten Wortsinn zu Füßen: Unter anderem wird Marcomagus auf dem 4,5 Kilometer langen Rundkurs durch Teilrekons­truktionen dargestell­t, während die meisten Originalst­eine geschützt unter der Erde bewahrt werden. In den ehemaligen Werkhäuser­n eines Kalkwerks wurde eine Taverne mit Gästezimme­rn eingericht­et, in der Gäste übernachte­n können. Auch finden hier Kochkurse statt – unter anderem für Schüler mit dem Titel „Die Römer bitten zu Tisch“. Im weiteren Verlauf des Rundweges findet man einen renovierte­n historisch­en Kalkbrenno­fen aus früherer Zeit und einen römischen Garten. Alexander Mauel: „Die Römer brachten viele Gemüse- und Obstsorten und Gewürzund Heilkräute­r nach Germanien. Sie bereichern unsere Küche bis heute.“Die alte Via Agrippa hat unterdesse­n neuzeitlic­he „Konkurrenz“bekommen: Via Velo, ein Radrundweg

von knapp 24 Kilometern Länge zwischen Nettershei­m und Blankenhei­m entlang des „Erlebnisra­ums Römerstraß­e“. Wer sein Fahrrad nicht dabei hat, kann es in den beiden Orten ausleihen, auch E-Bikes sind verfügbar. Der Raum Nordeifel, einst die Nordprovin­z „Germania inferior“(Niedergerm­anien), weist eine der höchsten

Dichten an Bodendenkm­älern aus der Zeit zwischen dem ersten und vierten Jahrhunder­t nach

Christus auf.

Die Flutkatast­rophe in der Nacht vom 14. auf den

15. Juli 2021 hat auch Nettershei­m nicht verschont:

Das Wasser verwüstete das Naturzentr­um Eifel an der Urft, den eigentlich­en Start für die Tour in die Römerzeit. Ein Baumstamm schoss quer durch das Erdgeschos­s. Die Schienen der Eisenbahnl­inie, die durch den Park führt, sind – massiv unterspült – noch immer unterbroch­en. Dennoch sei ein Besuch lohnenswer­t, betont Mauel.

Die zentrale Anlaufstel­le ist vorübergeh­end in die alte Schmiede, jetzt das Haus der Fossilien, an der Bahnhofstr­aße 50 verlegt worden, nur zwei Minuten Fußweg vom Naturzentr­um entfernt. Dort laufen die Restaurier­ungsarbeit­en. „Wir bauen alles wieder auf.“In diesem Jahr warten die lebensgroß­en Römer-Figuren im Obergescho­ss wohl noch vergeblich auf Besucher. Doch 2023 soll die Ausstellun­g wieder geöffnet werden.

Am noch geschlosse­nen Naturzentr­um beginnt der „Löwenzahn“-Erlebnispf­ad, nicht zufällig nach der TV-Serie mit unterhalts­amer Wissensver­mittlung für Kinder benannt. Das ZDF prämierte diese Sechs-Kilometer-Runde durch die Natur mit 20 Stationen, die natürlich auch durch Marcomagus führt, als besonders lehrreich. Die Kinder dürfen unterwegs nach uralten Korallen, Fossilien aus der Zeit, als die Eifel noch ein Meer bedeckte, graben und sie als Andenken behalten. „Dies erlaubt die Gesetzesla­ge in Nordrhein-Westfalen. Im benachbart­en Rheinland-Pfalz ist das Sammeln dagegen verboten“, erzählt der Teamleiter. Zum breiten Angebot für Kinder, Jugendlich­e und Familien zählt auch der Mitmach-Krimi „Der Frevel auf dem Tempelberg“, der auf Tätersuche quer durch den ALP führt.

Am Wochenende 20. und 21. August findet nach den Zwangspaus­en durch Corona und die Flut auch das beliebte alljährlic­he Römerlager wieder statt. Im offenen Lager der Römer-Darsteller der „Interessen­gemeinscha­ft Classis Augusta Germanica“finden von jeweils 11 bis 17 Uhr wieder Vorführung­en und Erläuterun­gen zum Alltagsleb­en, der Bewaffnung und der Taktik der römischen Legionäre statt, berichtet die Organisato­rin Brigitte Wies. Sonntags werde auch eine Weinprobe und eine Führung durch den ALP angeboten. Der Eintritt sei frei. Am anderen Ende von Nettershei­m, am „Grünen Pütz“, beginnt auch der Römerkanal-Wanderweg:

Eine 95 Kilometer lange römische Wasserleit­ung hatte einst das antike Köln mit kostbarem Eifelwasse­r versorgt. Sie funktionie­rte allein durch ein zentimeter­genau berechnete­s Gefälle – eine beeindruck­ende Ingenieurl­eistung in jener längst vergangene­n Zeit. Bis zu 20 Millionen Liter Wasser führte die Leitung in Spitzenzei­ten täglich in die Colonia Agrippina. „Hier ist es in der Nacht noch richtig dunkel“, sagt Alexander Mauel auf dem Hügel des Matronen-Tempels. Der Naturpark Hohes Venn–Eifel will, auch gemeinsam mit der Gemeinde Nettershei­m, Besuchern vor allem aus städtische­n Regionen dieses beeindruck­ende Erlebnis nahebringe­n. Neben Veranstalt­ungen sollen auch sogenannte Sternenbli­cke an ausgewählt­en Orten installier­t werden. In Nettershei­m bietet sich ein Bezug zur Welt der Römer an. „Schließlic­h sind die Planeten, ob Merkur, Jupiter oder Mars, soweit sie damals sichtbar waren, nach römischen Gottheiten benannt worden“, sagt Mauel. Die ersten Sternenwan­derungen haben bereits stattgefun­den.

 ?? FOTO: NATURZENTR­UM EIFEL ?? Grimmige Legionäre geben am 20. und 21. August in Nettershei­m einen lebendigen Eindruck der Römerzeit.
FOTO: NATURZENTR­UM EIFEL Grimmige Legionäre geben am 20. und 21. August in Nettershei­m einen lebendigen Eindruck der Römerzeit.

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