Hendrik goes to Hollywood
Eine deutsche Frau im All, Filmproduktionen in NRW und mehr amerikanische Investitionen an Rhein und Ruhr – mit dieser Wunschliste reist Ministerpräsident Wüst durch Kalifornien.
LOS ANGELES Genervt oder neugierig schlängeln sich Einheimische und Touristen um den Menschenpulk, der sich vor dem Intercontinental Hotel in Downtown Los Angeles gebildet hat. Journalisten mit Kameras, Mikrofonen und Schreibblöcken umringen Hendrik Wüst, der auf dem Bürgersteig in den Häuserschluchten ernst in die Gesichter schaut, während im Hintergrund Polizei- und Ambulanzfahrzeuge mit Sirenen vorbeidonnern. Tag eins von Wüsts einwöchiger USA-Reise begann ernst. In der Nacht zuvor hatte der Iran Luftangriffe auf Israel geflogen, Wüst will ein paar Worte dazu loswerden. Daher der entschlossene Blick zu den Beteuerungen: „Wir stehen fest an der Seite Israels.“
Dann bindet Wüst schnell seine Krawatte ab, knöpft den obersten Hemdknopf auf und strahlt nun in die Kameras. Während er noch im Flieger von Zürich nach Los Angeles saß, hat Bayer Leverkusen mit seinem spektakulären 5:0 die Meisterschaft perfekt gemacht. Und weil der Medien- und insbesondere Bildprofi Wüst sein Publikum gleich immer mitdenkt, und zum Fußballfan besser der lockere als der ministerpräsidiale Wüst passt, müssen die Krawatte und der ernste Gesichtsausdruck weg. „Ganz NRW ist stolz auf Bayer Leverkusen, unglaublich stark“, jubelt der Fan des WerkselfErzrivalen 1. FC Köln. Da schlägt Landesväterlichkeit die sportliche Rivalität.
Ohnehin lässt sich der Sieg bei einer anderen Rivalität viel gewinnbringender verwerten: „Bayer statt Bayern“, hatte er nach dem Meisterspiel im Kurznachrichtendienst X getwittert. Auffällig oft hatte Wüst in den vergangenen Tagen immer wieder gegen Bayern gestichelt. Erst vor wenige Tagen hatte er als Reaktion auf eine Studie der Unternehmensberatung KPMG unserer Redaktion gesagt: „Wir lassen andere Industrieländer wie Bayern oder Baden-Württemberg hinter uns.“Und pünktlich zu seiner Abreise nach Kalifornien erschien in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ein Interview mit der Überschrift „Gendern spielt in NRW keine Rolle“, ein klarer Seitenhieb auf die Gesetzespläne aus München. Auch der USA-Trip selbst lässt sich als Gegenentwurf zu Söders jüngster China-Reise verstehen, von der vor allem das Bild eines Panda-Küsschens und viel Häme und Spott blieben.
Wüst, der sich daheim in NRW regelmäßig und aus seiner Sicht bislang völlig unbeschadet den Vorwurf des Instagram-Präsidenten gefallen lassen muss, ist da bei der Wahl der Bildmotive deutlich geschickter vorgegangen. In einem Kontrollraum mit blinkenden Bildschirmen verteilt Wüst am zweiten Reisetag Nüsse. Der Münsterländer wollte nach eigenem Bekunden als Kind gerne Feuerwehrmann, nicht Astronaut werden. Jetzt aber steht er mit kindlicher Faszination im Jet Propulsion Laboratory ( JPL) – einer Einrichtung des renommierten Caltech, das im Auftrag der Nasa Raumsonden und Marsrover entwickelt und baut, auf einer Fläche so groß wie Disneyland – „nur mit deutlich mehr Spaß“, scherzt JPL-Direktor Dave Gallagher.
Dass Wüst hier zum Erdnussverteiler wird, ist kein Zufall: In den Anfangsjahren der Raketenforschung schlugen zahlreiche Versuche, Raketen in Richtung Mond zu schießen fehl. Als bei einem erneuten Versuch unter exakt gleichen Bedingungen der einzige Unterschied darin bestand, dass ein JPL-Mitarbeiter Erdnüsse dabei hatte und der Flug zum Mond gelang, war die Glückserdnuss geboren. Prominenten Besuchern wird seither eine Packung Nüsse in die Hand gedrückt. Auch in Amelie Schoenenwalds ausgestreckte Hand schüttet Wüst jetzt ein paar. Die Biologin ist Reserveastronautin der ESA und reist auf Wüsts Einladung in der Delegation mit. Sollte der Kandidat einer anderen Nation verhindert sein, würde Schoenenwald an seiner Stelle ins All reisen. Auch das nutzt Wüst als politische Steilvorlage. Der Bund habe es versäumt, eine eigene Mission durchzusetzen und damit die Chance verstreichen lassen, die erste deutsche Frau ins All zu schießen: „Ich werbe sehr dafür, dass die Bundesregierung da nachlegt und das ermöglicht.“Der nordrhein-westfälische Fingerzeig nach
Berlin – er gelingt auch aus 9300 Kilometern Entfernung.
Dabei hat der Bund aus Sicht des NRW-Regierungschefs auch schöne Seiten: Kolibris fliegen am Abend durch den malerischen Garten der Villa Aurora, in der Ferne ist der Pazifik zu sehen. Hier in den Pacific Palisades hat einst Lion Feuchtwanger mit seiner Frau Marta Zuflucht vor den Nazis gefunden und Weltliteratur geschaffen. Heute gehört die Künstlerresidenz dem Bund, beherbergt Stipendiaten und ist Schauplatz der alljährlichen deutschen Oscar-Party. Ein Hauch von Hollywood soll auch an diesem Besuchsabend der NRW-Delegation über die Flure und durch den Garten wehen. In der Villa wird feierlich die deutsche Produktion „Moses – 13 Steps“präsentiert, ein filmisches Porträt über den US-Star-Hürdenläufer Edwin Moses, produziert vom Kölner Leopold Hoesch, Morgan Freeman adelt mit seinem Namen zumindest den Abspann. Wüst nutzt sein Einführungsstatement und jubelt über die erfolgreiche NRW-Produktion und die internationale Kooperation.
Edwin Moses gibt für die Gäste in der Villa die für die nordrhein-westfälischen Gastgeber unschmeichelhafte Anekdote zum Besten, wie er in seinem ersten Jahr als frisch gekürter Olympiasieger nach Köln gekommen sei, um vor 60.000 Zuschauern zu laufen, für 1800 Dollar. Andere Läufer hätten nur 200 oder 300 Dollar erhalten, und er habe die Veranstaltung dann selbstverständlich boykottiert. Wüst steht einige Meter daneben und lächelt darüber hinweg. Am Ende sind solche Spitzen egal, auch dieser Abend wird schöne Bilder liefern. Gemeinsam mit der Schauspielerin und Filmproduzentin Veronica Ferres steht er scherzend auf dem Balkon, schnappt sich ihr Handy für ein Selfie. Dann unterhält er sich mit Basketball-Weltmeister Daniel Theis und dessen Partnerin.
Aus Sicht der Landesregierung langfristig bedeutender sind Vertreter großer Studios, die an diesem Abend das Gespräch mit dem
Politiker aus Deutschland suchen. HBO und Amazon zeigen Interesse. Neben in Aussicht gestellten Steuererleichterungen für Filmschaffende ist es wohl auch die zuletzt streikende Künstlerschaft in den USA, die Deutschland für die großen Studios attraktiver macht. „Das ist unsere große Chance“, sagt Wüst am Tag nach dem Empfang vor dem GriffithObservatorium mit dem berühmten Hollywoodzeichen im Rücken. Auf den Hinweis, dass Deutschland in dem Fall aber zum Streikbrecher werde, sagt Wüst: „Sorry, aber ich will mich hier nicht an anderer Stelle verwenden. Wir müssen unsere Stärken nutzen.“Er sei ein großer Freund der Tarifpartnerschaft, aber wenn die Studios gerne in Deutschland investieren wollten, dann sollten sie es auch tun.
Ein ähnlicher Pragmatismus gilt inzwischen dank „Zeitenwende“auch für die Rüstungsindustrie. Mieden Politiker früher noch die Nähe zu Firmen, die mit Waffensystemen gutes Geld verdienen, hat der Krieg in der Ukraine diesbezüglich einen spürbaren Stimmungswechsel herbeigeführt. Nördlich von LA liegt ein riesiger mit Stacheldraht abgetrennter Komplex mit einem eigenen Rollfeld und Tower. Zwei F-35-Kampfjets donnern über dem Delegationsbus hinweg. Hier im kalifornischen Palmdale baut der Rüstungskonzern Northrop Grumman die Rumpfteile für die US-Kampfjets, die Lockheed Martin später im texanischen Fort Worth fertigstellt. Also jene Teile, die Rheinmetall ab Sommer 2025 in Weeze fertigen will.
Es ist neben den geplanten Milliardenprojekten von Microsoft eine jener Großinvestitionen, die in kaum einer Wüst-Rede fehlen. Während der Microsoft-Deal den Schönheitsfehler hat, dass die Idee für das ausschlaggebende Standortgutachten noch unter der Ägide des damaligen NRW-Wirtschaftsministers Andreas Pinkwart (FDP) entstand und die Kommunen sich die Ansiedlung der Rechenzentren selbst zuschreiben, geht das Rheinmetall-Projekt nachweislich mit aufs Wüst-Konto. Und so dürfte es dem Regierungschef gut gefallen, dass der RheinmetallAviation-Chef Mike Schmidt auf der Bühne in der Fertigungshalle angesichts einer Baugenehmigung in nur sechs Wochen vom „NRW-Tempo“schwärmt. Wüst revanchiert sich, indem er die amerikanischen Partner ermutigt, mehr am Standort NRW zu tun und den Journalisten in die Mikrofone spricht: „Wir sind weiter sehr offen dafür, weitere Investitionen der Rüstungsindustrie in NRW möglich zu machen.“
Gleich zu Beginn seiner Reise war Wüst gefragt worden, wann er seinen Trip als erfolgreich ansehe: „Wenn ich bei dem einen oder anderen Thema, wo NRW eine Stärke hat, uns noch mal wieder auf die USamerikanische Landkarte gebracht habe, dann ist das ein Erfolg.“Und lässt unausgesprochen: Wenn er sich selbst gleich mit auf die Karte packt, dann ist das deutlich mehr als ein netter Beifang.
„Das ist unsere große Chance“Hendrik Wüst NRW-Ministerpräsident