Eine Ahnung von Angriff
Israel hat offenbar Ziele in der Nähe der iranischen Atomanlage in Isfahan ins Visier genommen – allerdings ohne größere Schäden anzurichten. Die Folgen des Konflikts für den Krieg im Gazastreifen sind trotzdem deutlich spürbar.
TEL AVIV Die drohende Eskalation zwischen Iran und Israel scheint fürs Erste gestoppt: Zwar griff Israel offenbar in der Nacht auf Freitag ein Ziel bei der iranischen Stadt Isfahan an, US-Medien zufolge per Raketen. Doch iranische Staatsmedien berichteten anschließend, es habe keine Schäden gegeben, und ein ungenannter iranischer Regierungsvertreter sagte der Nachrichtenagentur Reuters, die Führung des Landes habe keine Pläne für einen weiteren Gegenschlag.
Nichtsdestotrotz scheint der israelisch-iranische Schlagabtausch bereits Auswirkungen auf den Krieg im Gazastreifen zu haben: Einem Bericht des US-Senders CNN zufolge hätte Israels Armee, die IDF, am vergangenen Montag Flyer über Teilen der Stadt Rafah in Gaza abwerfen sollen, offenbar, um Zivilisten zur Evakuierung aufzurufen. Seit Wochen spricht Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu davon, dass eine Offensive in Rafah an der Grenze zu Ägypten kurz bevorsteht. Doch wegen des iranischen Großangriffs auf Israel in der Nacht auf Sonntag wurde die Aktion israelischen Quellen zufolge auf Eis gelegt.
Die US-Regierung, Israels wichtigster Verbündeter, sowie weitere Staaten warnen eindringlich vor einem Einsatz in Rafah, da sich in der Stadt und ihrer Umgebung rund anderthalb Millionen Zivilisten aufhalten. Netanjahu jedoch besteht darauf, dass Israel ohne einen Einsatz in der Stadt, die als letzte Hochburg der Hamas gilt und zudem als Knotenpunkt im Waffenschmuggel dient, den Krieg gegen die Terroristen nicht gewinnen könne.
Dazu kommt, dass Netanjahu unter dem Druck seiner ultrarechten Koalitionspartner steht, etwa der Partei „Jüdische Stärke“, angeführt von dem rechtsextremen und vorbestraften Minister für nationale Sicherheit, Itamar Ben-Gvir. Ohne Rafah-Offensive würde Netanjahu seine Legitimität als Regierungschef verlieren, drohte dieser kürzlich.
Manche Experten bezweifeln indes, dass ein Einsatz in Rafah den „totalen Sieg“bringen würde, den Netanjahu immer wieder verspricht. „Das ist nur Gerede, die Menschen kaufen Netanjahu diese Slogans nicht mehr ab“, meint Michael Milshtein, Vorsitzender des Forums für Palästinenserstudien an der Universität von Tel Aviv und ehemaliger Leiter der Abteilung für palästinensische Angelegenheiten im israelischen Militärgeheimdienst. „Unser Problem in Gaza ist noch längst nicht gelöst. Die Hamas ist weiterhin der dominante Akteur in Gaza, trotz all der Schläge, die sie einstecken musste.“Milshtein zweifelt sogar daran, dass die IDF diese Woche tatsächlich eine Offensive
in Rafah geplant hatte, wie es in manchen Berichten geheißen hatte: „Vielleicht war das nur ein Trick, um die Iraner abzulenken, während die Armee ihren Gegenschlag vorbereitete.“
Viele Palästinenser wiederum hätten den iranischen Angriff auf Israel in den sozialen Medien gefeiert, berichtet Milshtein, der fließend Arabisch
spricht. „Gleichzeitig ist die große Mehrheit sehr besorgt, dass der iranische Angriff die internationale Aufmerksamkeit von der Lage in Gaza abziehen könnte.“
Internationale Hilfsorganisationen beschreiben die humanitäre Lage im Gazastreifen als dramatisch und warnen vor einer Hungersnot, insbesondere im Norden des Gebiets.
Nach starkem Druck seitens der internationalen Gemeinschaft hatte Israel kürzlich einen neuen Grenzübergang zum Norden des Gazastreifens für Hilfskonvois geöffnet und nutzt seit Mittwoch zudem den Hafen der Stadt Ashdod, um zusätzliche Güter für Gaza in Empfang zu nehmen.
Doch echte Erleichterung für die notleidende Zivilbevölkerung dürfte erst eine Feuerpause bringen – und eine solche ist nicht in Sicht: Zwar verhandeln Israel und die Hamas mithilfe der Vermittlerstaaten USA, Ägypten und Katar seit Monaten über eine Kampfpause, in deren Rahmen die Hamas die verbliebenen israelischen Geiseln freilassen würde. Kürzlich mussten die verzweifelten Angehörigen der 134 Verschleppten jedoch wieder einmal schlechte Nachrichten verkraften: Wie der CIA-Direktor William J. Burns am Donnerstag mitteilte, hat die Hamas den jüngsten Kompromissvorschlag abgelehnt.