Mehr als nur deutliche Worte
Annalena Baerbock soll heftig mit Benjamin Netanjahu aneinandergeraten sein.
BERLIN Ein Besuch bei Benjamin Netanjahu ist wie ein schweres Auswärtsspiel. Die Verteidigung muss stehen. In diesem Fall könnte Angriff die beste Verteidigung gewesen sein. Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock traf den israelischen Regierungschef in der vergangenen Woche, sprach 90 Minuten mit ihm. Es heißt, der britische Außenminister David Cameron, der ebenfalls einen Termin bei Netanjahu hatte, habe Baerbocks Klartext gelobt. Ihre Mission: Netanjahu von einem nächsten schweren militärischen Angriff gegen die Hamas in Gaza abzuhalten. Zudem wollte die deutsche Chefdiplomatin den israelischen Regierungschef davon überzeugen, den Konflikt mit Iran nicht durch einen Gegenangriff weiter anzuheizen.
Nun sollen sich Netanjahu und Baerbock bei ihrem Gespräch ordentlich gezofft haben, berichtete zunächst der israelische Sender „Channel 13“, den sich die „Bild“-Zeitung nach eigener Darstellung habe bestätigen lassen. Von einem Wortgefecht ist die Rede. Auslöser sollen Bilder aus Gaza gewesen sein, die Netanjahu Baerbock zeigte. Darauf sollen Märkte im Gaza-Streifen mit gut gefüllten Auslagen zu sehen gewesen sein. Zudem hätten die Israelis Aufnahmen von Stränden in Gaza mit Palästinensern vorgeführt, die gebadet und sich gesonnt hätten. Baerbock hielt dagegen. Sie könne Bilder hungernder Kinder aus Gaza zeigen. Das Auswärtige Amt nennt die Darstellung der „Bild“in einer ersten Reaktion „falsch und irreführend“.
Trotzdem hält sich der Eindruck, dass der Lautstärkeregler beim Gespräch zwischen Baerbock und Netanjahu offenbar einen Defekt hatte. Baerbock habe „angefasst“reagiert und Netanjahu gefragt, ob er sagen wolle, dass Ärzte in Gaza wie auch internationale Medien nicht die Wahrheit berichteten. Baerbock sagt auf Nachfrage zum Streit am Rande von G7 in Capri: „Wir berichten nicht aus vertraulichen Gesprächen.“Der deutsche Botschafter Steffen Seibert sei im Kontakt mit dem Stab von Netanjahu.
Baerbock mag den politischen Nahkampf, weil sie von ihrem Naturell her gerne dagegenhält. Zu früheren Zeiten hat dies auch schon der russische Außenminister Sergej Lawrow, ein Meister der politischen Lüge, zu spüren bekommen. Je härter der Gegner, umso klarer wird Baerbock. Bei Netanjahu, der als Langzeit-Regierungschef mit allen politischen Wassern gewaschen ist, muss Baerbock für sich verbuchen, dass er ihr zwar zugehört, aber dann doch sein Ding gemacht hat.
Italiens Außenminister Antonio Tajani schickt am letzten Tag des G7-Treffens auf Capri ein Wort als Botschaft sowohl an Israel als auch an Iran: „Deeskalation“. Auch USAußenminister Antony Blinken sagt: „Deeskalation.“Ob es hilft? Baerbock hat unter vier Augen erfahren, wie Netanjahu eskalieren kann.