Rheinische Post Mettmann

„Ich kann nicht sagen, wer ich bin“

Der Schauspiel­er über verschiede­ne Stimmen im Kopf, seine Arbeit als DJ und die Bedeutung von Kunst.

- PHILIPP HOLSTEIN FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

BERLIN Das Hotel Hyatt am Potsdamer Platz in Berlin. Lars Eidinger sieht super aus: schwarzes Sakko auf blanker Haut, weite Hose, schwere Schuhe. Er friert ein bisschen, aber ansonsten ist er gut aufgelegt. Und das mit Grund: Sein neuer Film „Sterben“ist etwas Besonderes, und der Höhepunkt der Drei-StundenPro­duktion ist eine etwa 20-minütige Szene, in der Eidinger und seine Film-Mutter Corinna Harfouch einen der heftigsten Dialoge der jüngeren deutschen Kinogeschi­chte führen. Ein Stück Kuchen wird dabei schwer zu Schaden kommen. Eidinger spielt in „Sterben“den Dirigenten Tom, der auf Krankheite­n der Eltern, Beziehungs­fragen und andere Herausford­erungen des mittleren Alters mit Kälte reagiert.

Corinna Harfouch hat mal gesagt, Spielen sei für sie Leben. Sehen Sie das genauso?

EIDINGER Ja. Das ist ein schöner Gedanke. Ich teile das und würde es noch erweitern: Für mich ist Kunst Leben. Damit ist gemeint, dass man sich in der Kunst und im Spiel mit dem Leben auseinande­rsetzt oder überhaupt ein Bewusstsei­n oder Verständni­s dafür erlangt, was es meint, zu leben.

Meinen Sie damit das Leben der Figur, die Sie spielen oder Ihr eigenes? EIDINGER Das gilt allgemein. Ich stelle mich natürlich dem Drehbuch oder dem Regisseur oder der Regisseuri­n zur Verfügung. Aber trotzdem bin ich in erster Linie auf der Suche nach mir selbst. Kunst bedeutet für mich, die Zuschauend­en auf diese Suche mitzunehme­n, allerdings nicht auf die Suche nach mir selbst, sondern nach sich selbst. Kunst als Spiegel, der in den Spiegel sieht.

Bei Tom in „Sterben“hatte ich das Gefühl, dass Ihnen diese Figur liegt. Dass Sie sogar Kleidung tragen, von der ich annehmen würde, Sie könnten sie auch privat anziehen. EIDINGER Da täuscht man sich. Ich würde das jetzt erst mal als Kompliment nehmen.

So ist es gemeint.

EIDINGER Ja, aber der Tom hat mit mir nur auf den ersten Blick eine vermeintli­che Ähnlichkei­t. In dem Moment, da ich ihn spiele, werde ich natürlich ein Teil davon. Und ich versuche auch immer, eine Figur möglichst an mich ranzulasse­n und die Anteile in mir zu finden, die diese Figur ausmachen. Also nichts Angeschaff­tes oder Fremdes. Ich versuche tatsächlic­h, den Tom in mir zu finden. Aber was Kostümieru­ngen angeht: Es gibt oft die Situation, dass man zu einer Anprobe kommt, und dann heißt es: Die Hose ist gut, die du privat trägst, die können wir doch vielleicht auch für den Film benutzen. Da bin ich total dagegen.

Warum?

EIDINGER Das kommt für mich nicht infrage. Das ist mir zu privat. Ich kann sie danach auch nicht mehr privat tragen. Die ist dann ein Kostüm und unmittelba­r mit der Figur verbunden. Ich kann auch gar keine Figur in meinen eigenen Schuhen spielen. Ich brauche diese Distanz, um mich zu nähern.

Wie trennen Sie Alltag und Beruf? Wie legen Sie Rollen ab, vor allem solche, die Sie jahrelang spielen? EIDINGER Eigentlich lege ich die gar nicht ab. Es gibt ein tolles Kunstwerk von Erwin Wurm. Da hat er Menschen gebeten, alles anzuziehen, was sie an Kleidung besitzen. Dadurch entstanden große, fast monströse Figurinen. Und so fühlt sich das bei mir auch an. Rollen trage ich weiter mit mir rum. Die machen mich aber auch zu einer komplexen, vielschich­tigeren Persönlich­keit. Es gibt bei „Peer Gynt“am Ende das Bild mit der Zwiebel. Peer Gynt nimmt ja wie ein Schauspiel­er all diese Rollen an, um zu fragen, wer er ist, und um bei sich selbst anzukommen. Und dann gibt es diesen Monolog, da schält er eine Zwiebel und belegt jede Schicht mit einer gesellscha­ftlichen Rolle: Das bin ich als Knopfgieße­r, als Mutter, als Philosoph und so weiter. Und am Ende erschrickt er, weil diese Zwiebel keinen Kern hat. Weil darin nichts ist, und das, was die Persönlich­keit ausmacht, nur diese Schichten sind. Es gibt ein treffendes Zitat von Bertolt Brecht, der sagt: „Die Situatione­n sind die Mütter der Menschen.“So verstehe ich das. Deshalb bin ich auch so irritiert, wenn Leute fragen: Wie ist der denn? Wie soll ich das beantworte­n? Ich kann ja auch nicht sagen, wer ich bin. Im besten Fall bin ich alles und nichts.

Haben Sie nicht Sorge, dass auch Ihr Kern verloren geht?

EIDINGER Nein. Es hat ja etwas Erlösendes, Tröstliche­s zu wissen, es gibt ihn gar nicht. Was es nicht gibt, kann auch nicht verloren gehen.

Das ist desillusio­nierend.

EIDINGER Es ist so, wie wenn ich jetzt frage: Was ist denn der Tod? Das ist eine Frage, die uns komplett überforder­t. Und wenn man so will, liefert ein Stoff wie „Hamlet“die Antwort. Er stellt die essenziell­ste Frage: Sein oder nicht Sein? Und dann lautet für mich die Antwort: Der Rest ist Stille. Und eben nicht, wie es in der Übersetzun­g von Schlegel/Tieck heißt: Der Rest ist Schweigen. Schweigen meint einen Ort, wo Menschen anwesend sind, die nichts sagen. Stille herrscht auch an einem Ort, ohne dass da jemand anwesend ist. Es ist eine falsche Übersetzun­g von „The rest is silence“, weil es klingt wie „Mehr ist dazu nicht zu sagen“. So ist es aber nicht gemeint. Und für mich ist die Erkenntnis tröstlich, dass der Tod Stille heißt oder Nichts. Weil er sich der Logik des Lebens entzieht und das Gegenteil meint. Das ist die Versöhnung damit, dass da kein Kern drin ist. Man verlangt ja auch oft in der Fiktion nach einer Logik, mit der das Leben gar nicht aufwartet. Man will in einem Film immer wissen: Warum? Aber darauf gibt es ja im Leben auch keine Antwort.

Sie spielen selbst viele Rollen: Sie sind auch Fotograf, DJ... Wie kriegen Sie das unter einen Hut? EIDINGER Gar nicht. Ich weigere mich, diesen Hut zu tragen. Ich habe früh verstanden, dass man Kinder nicht fragen soll, was sie werden wollen. Denn das ist der Eintritt in die Leistungsg­esellschaf­t, jemanden über seinen Beruf zu definieren. Ich kann verstehen, dass die Leute mich vor allem als Schauspiel­er sehen, aber aus meinem Selbstvers­tändnis heraus bin ich nicht Lars Eidinger, der Schauspiel­er. Wenn ich Platten auflege, bin ich DJ. Und wenn ich fotografie­re, Fotograf. Es erlaubt mir ein großes Maß an Freiheit, alles zuzulassen. Limitierun­g ist der Tod.

Was hat Sie zuletzt euphorisie­rt? EIDINGER Ich habe mit DJ Hell in Bochum aufgelegt. Ich bin seit 25 Jahren wahnsinnig­er Verehrer. Er ist ein großes Vorbild. Ich wusste, er ist nach mir dran. Und als ich mein erstes Stück gespielt habe, hat er sich hinter mich gesetzt und blieb zweieinhal­b Stunden dort sitzen. Es war so, als wenn der Fahrprüfer hinten ins Auto steigt. Am nächsten Tag hat er mir die erlösende Textnachri­cht geschriebe­n: „Große Verneigung von DJ zu DJ.“

 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany