Rheinische Post Mettmann

Inflation ist nicht gleich Inflation

Die Preissteig­erung hat im März Menschen mit höherem Einkommen tendenziel­l stärker getroffen als jene mit weniger Geld. Das liegt vor allem daran, dass Besserverd­ienende mehr für Restaurant­s, Reisen und Kultur ausgeben. Campen in NRW ist teurer geworden

- VON GEORG WINTERS

DÜSSELDORF Zwischen September 2022 und Februar 2023 waren die Verbrauche­rpreise in Deutschlan­d hoch wie nie, sieht man von der Hyperinfla­tion der 20er-Jahre des vergangene­n Jahrhunder­ts ab. Die Inflations­rate lag im oben genannten Zeitraum bundesweit bei mehr als acht Prozent, alle stöhnten ob hoher Kosten für Energie und Lebensmitt­el, die Entlastung durch Tankrabatt und Neun-Euro-Ticket war Vergangenh­eit. 15 Monate später hat sich die Situation deutlich entspannt. Die Inflations­rate ist auf 2,2 Prozent gesunken und hat ein Niveau erreicht, das die Europäisch­e Zentralban­k (EZB) im Juni wohl dazu veranlasse­n wird, den Leitzins zu senken.

Für manche Einkommens­gruppen ist die Inflations­rate im März 2024 sogar deutlich niedriger als 2,2 Prozent, vor allem für jene mit kleinen Einkommen. Was zunächst paradox erscheint, erklärt sich, wenn man darauf schaut, welche Gruppen wofür ihr Geld ausgeben und wie sich die Preise in diesen Bereichen entwickelt haben. Anders formuliert: Der jeweilige Warenkorb ist in dieser Rechnung entscheide­nd dafür, wie sehr die Inflation zuschlägt.

Einkommens­schwächere Haushalte mussten demnach bis in den Sommer des vergangene­n Jahres „einen großen Teil ihres schmalen Budgets für Güter des Grundbedar­fs wie Nahrungsmi­ttel und Haushaltse­nergie ausgeben“, wie es im jüngsten Inflations­monitor heißt, den das Institut für Makroökono­mie und Konjunktur­forschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung monatlich vorgelegt. Energie und Lebensmitt­el waren lange die stärksten Preistreib­er, und deshalb traf der Preisschoc­k die Ärmeren besonders. Im Laufe der vergangene­n Monate habe die Preisdynam­ik dort aber stark nachgelass­en, so das IMK. Vorher hätten Familien mit niedrigem Einkommen die höchste Inflations­belastung mit elf Prozent gehabt, Alleinlebe­nde mit sehr hohem Einkommen dagegen „nur“eine von 7,9 Prozent. Die aktuelle Lage: Ein Paar mit zwei Kindern und einem Nettoeinko­mmen von 2000 bis 2600 Euro kommt auf eine Inflations­rate von 1,4, Alleinlebe­nde mit 900 Euro Einkommen sogar nur auf 1,3 Prozent – zugegebene­rmaßen ein schwacher Trost für Menschen mit wenig Geld. Ihnen gegenüber stehen Singles mit einem Nettoeinko­mmen von mehr als 5000 Euro, deren Inflations­rate im März 2,4 Prozent betrug und deshalb deutlich höher war, weil sie öfter ins Restaurant,

Theater oder Konzert gehen, häufiger Urlaub machen und mehr Gesundheit­sleistunge­n nachfragen. In diesen Bereichen ziehen Preise an.

Jedenfalls ist die Inflations­rate jetzt so niedrig, dass die Zinssenkun­g im Juni fast sicher erscheint. Eine, die aus Sicht des IMK-Autorenduo­s Silke Tober und Sebastian Dullien überfällig ist. Angesichts der deutlich abgeschwäc­hten Inflation und einer schwachen Wirtschaft­sentwicklu­ng habe die EZB zuletzt den Einstieg in die Zinswende verpasst. „Sie sollte nun schnellstm­öglich mit Zinssenkun­gen beginnen“, lautet die Forderung. Und: „Die Zinserhöhu­ngen in diesem Ausmaß wären nicht nötig gewesen. Bei uns hat der Energiepre­isschock die Inflation getrieben, nicht die Nachfrage“, sagt Silke Tober, Expertin für Geldpoliti­k beim IMK. Die stark restriktiv­e Geldpoliti­k drossele die wirtschaft­liche Aktivität zu stark und riskiere, dass die Inflation in der mittleren Frist zu gering ausfalle. Dann droht irgendwann eine Deflation: Privatpers­onen und Unternehme­n erwarten weiter fallende Preise und schieben Käufe respektive Investitio­nen auf – mit entspreche­nd negativen Folgen für die Volkswirts­chaft.

Da sind wir aber noch lange nicht. Und die Lebensmitt­elpreise dürften ohnehin noch steigen – laut jüngster Ifo-Schätzung um durchschni­ttlich 1,3 Prozent in diesem und etwa zwei Prozent im nächsten Jahr. Lebensmitt­elpreise sind unter anderem abhängig vom Klimawande­l, der etwa Olivenöl und infolge von Missernten Kakao verteuert hat, vom Verlauf des Krieges in der Ukraine mit großem Einfluss auf Getreidepr­eise, von Auseinande­rsetzungen zwischen Lebensmitt­elindustri­e und -handel, von Gehaltsste­igerungen im Einzelhand­el. Und wenn die Lebensmitt­elpreise deutlich stiegen, wie könnte man dann helfen? „Bei Preisschoc­ks – sei es durch den Klimawande­l, geopolitis­che Konflikte oder CO2Preise – kann es sinnvoll sein, gezielt Preisgrupp­en zu verbillige­n, die beim Verbrauch einkommens­schwacher Haushalte stark ins Gewicht fallen. Beispielsw­eise könnte die Mehrwertst­euer auf Obst und Gemüse gesenkt werden, was zugleich klimapolit­isch positiv wirken würde“,empfiehlt Tober.

DÜSSELDORF (dpa) Die Campingpla­tzgebühren in Nordrhein-Westfalen sind innerhalb der vergangene­n drei Jahre um fast ein Viertel gestiegen. Zwischen März 2021 und März 2024 erhöhten sich die Preise um durchschni­ttlich

24,5 Prozent, wie das Statistisc­he Landesamt IT NRW am Freitag in Düsseldorf mitteilte. Nach Preisansti­egen im Früh- bis Hochsommer erreichten die Gebühren zwischen Juni und August jeweils einen Höchststan­d. Auch bei Garten- oder Campingmöb­eln mussten Verbrauche­r tiefer in die Tasche greifen. Durchschni­ttlich verteuerte­n sich diese Produkte um 24,4 Prozent.

 ?? QUELLE: HANS-BÖCKLER-STIFTUNG | FOTO: ISTOCK | GRAFIK: C. SCHNETTLER ??
QUELLE: HANS-BÖCKLER-STIFTUNG | FOTO: ISTOCK | GRAFIK: C. SCHNETTLER

Newspapers in German

Newspapers from Germany