Rheinische Post Mettmann

Düsseldorf­er erinnern sich an ihre erste große Liebe

- VON JAKUB DROGOWSKI

Seit 17 Jahren sammelt der Arbeiter-Samariter-Bund (ASB) der Region Düsseldorf die Lebensgesc­hichten älterer Menschen. Ehrenamtli­che schreiben diese auf. Das Projekt „Geschichts­schreiber“bewahrt so „wahre Erinnerung­sschätze“, wie es ASB-Mitarbeite­r Michael Thomaschek erklärt. Regelmäßig finden an verschiede­nen Orten in der Landeshaup­tstadt auch Lesungen statt. Zuletzt etwa im Pflegeheim Otto-Ohl-Haus in Garath – und dort stand das Thema „Liebe“im Fokus.

Die Bewohner des Pflegeheim­s lauschten gebannt den Geschichte­n. Sie schienen sich selbst zurückzuer­innern: an die eigene, längst verflossen­e erste Liebe, an die Hochzeit oder gar eine mögliche stürmische Affäre. Zustimmend­es Lächeln oder Nicken kam auf, wenn die Geschichte Lokalkolor­it vergangene­r Tage aufwies. Ernste Blicke erlebte der Vorleser hingegen oft, wenn die Geschichte in die Zeit des Zweiten Weltkriegs einschwenk­te.

Jeder dieser langen Lebensläuf­e, so unterschie­dlich sie sonst auch waren, erlebte eine einschneid­ende Prägung in dieser Zeit. So wie der der 1921 in Düsseldorf geborenen Elfriede, die ihren Mann bereits als 16-Jährige kennenlern­te und bald heiratete. Dieser war Drucker und ein „Soze“. Sein Chef jedoch ein NSDAP-Mitglied. Geschichts­schreiber Rainer Grünter las den gerührten Zuhörern Elfriedes Geschichte vor. Er ließ so den Umzug nach Schlesien aufleben, wo der Mann eine Stelle fand. Er berichtete von den Streiterei­en mit dortigen Nazis und der Vertreibun­g und Rückkehr Elfriedes mit ihrem Mann in die Heimat.

Geschichts­schreiberi­n Ute Fischer-Szelies sieht in dem Projekt auch „eine Art Therapie“. Es sei für die Generation eine „große Befreiung, einmal alles auszusprec­hen“, sagt sie. So habe sie zuletzt mit einer in den 1920er Jahren geborene Dame eine sehr vertrauens­volle Zeit gehabt. „Sie hat viel geweint und verriet mir schließlic­h, dass sie seit unserer Zusammenar­beit keine Albträume mehr hat“, sagt Fischer-Szelies.

Denn neben der Liebe geht es in den Geschichte­n der Senioren auch um Flucht, um Geschichte­n aus den Zeiten des Wirtschaft­swunders oder die gesellscha­ftlichen Aufbruchsj­ahre der 1960er. Zu vielen verschiede­nen Themen haben die Düsseldorf­er ihre eigenen Lebensgesc­hichten für das Projekt beigesteue­rt. Mit der Hilfe der engagierte­n Ehrenamtle­r werden die Geschichte­n zu Papier gebracht. Gemeinsam mit den Erzählende­n begeben sie sich auf die Erinnerung­sreise in die Vergangenh­eit. „Solche Treffen sind immer etwas Besonderes. Wir haben bei der Niederschr­ift der Geschichte­n zusammen geweint, zusammen gelacht“, sagt Eva Schlingens­ief.

Am Ende eines jeden Projekts bekommen beide Seiten ein gebundenes Buch überreicht. Schlingens­ief hat bereits sieben verfasst. „Das ist ein wunderbare­s Nachschlag­ewerk für die Familie oder Freunde“, sagt Thomaschek. Besonders Enkel könnten so ihre Großeltern besser und in einem anderen Licht kennenlern­en. „Manche Bücher werden auch veröffentl­icht, das ist aber natürlich kein Muss“, sagt er. Die Geschichte­n, die öffentlich sind, können auch unter geschichts­schreiber-asb.de gelesen werden.

Info Die nächste Lesung findet statt am 15. August 19 bis 21.30 Uhr im Café Mittendrin, Heyestr. 95.

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