Rheinische Post Mettmann

„Es werden exakt drei Katastroph­en eintreten“

Ein langer Abend mit dem Wiener Schriftste­ller in Brüssel – mit Gesprächen über Kröten, Fußball-Nationalma­nnschaften und das Dilemma der EU.

- DAS GESPRÄCH FÜHRTE HENNING RASCHE

an als Kommission­spräsident­in ein Skandal gewesen. Wir haben eine unterentwi­ckelte europäisch­e Demokratie. 27 verschiede­ne Mitgliedst­aaten wählen nach 27 unterschie­dlichen Systemen auf nationalen Listen das supranatio­nale Europäisch­e Parlament. Der Widerspruc­h in sich. Das ist keine gemeinsame Demokratie. Dann aber wäre es doch das Minimum bei der Europawahl, dass ich weiß, wen ich wähle. Wenn Millionen Menschen wählen gehen, und dann wird die Kommission­spräsident­in eine Frau, die nicht kandidiert hat und einfach ausgeschna­pst wird von zwei Regierungs­chefs und dann von einem willfährig­en Parlament bestätigt wird, dann ist das ein Riesenprob­lem.

Macht sie einen schlechten Job?

MENASSE Sie hat gezeigt, dass sie weiß, wem sie ihren Job zu verdanken hat, und sich den Staats- und Regierungs­chefs gegenüber gefügig gezeigt. Das ist aber nicht der Job der Kommission­spräsident­in. Die hat Widerstand zu leisten gegen nationale Staats- und Regierungs­chefs. Darum gibt es die verschiede­nen Institutio­nen. Die Kommission soll Gemeinscha­ftspolitik entwickeln, gegen den Widerstand der nationalen Staats- und Regierungs­chefs im Rat. Wenn von der Leyen irgendetwa­s in ihrer Agenda als Erfolg vorweisen konnte, dann war es der Green Deal.

Aber?

MENASSE Das Einzige, was irgendwie für sie gesprochen hat, ist sie sofort bereit einzukübel­n, um ihren Job zu behalten, wenn die CDU sagt: Pass auf, wir verlängern dich, aber den Green Deal vergiss. Das ist so erbärmlich, dass ich jeden verstehe, der sagt, es wird nie funktionie­ren mit der EU. Frau von der Leyen repräsenti­ert genau das Problem. So wird es nichts mit Europa.

Es ist keine Behauptung, dass Robert Menasse wütend ist, man spürt es. Der kleine Tisch der Brasserie bebt immer wieder, weil er mit den Armen wackelt, sodass die Gläser beinahe umkippen.

Haben Sie irgendeine Hoffnung, die mit der Europawahl verbunden wäre?

MENASSE Es werden exakt drei Katastroph­en eintreten.

Oh.

MENASSE Es werden so viele nationalis­tische Abgeordnet­e wie nie zuvor ins Parlament gewählt werden. Gleichzeit­ig wird vermutlich von der Leyen als schwache, willfährig­e Kommission­spräsident­in von Gnaden der nationalen Staats- und Regierungs­chefs bestätigt. Aber es wird noch etwas Furchtbare­res passieren.

Und zwar?

MENASSE Nach der Wahl werden auch die Kommissare bestimmt. Und nach den Wahlsiegen der Nationalis­ten in den Mitgliedst­aaten werden lauter nationalis­tische Kommissare in die Kommission entsandt. Das heißt, wir haben den Rat, der Gemeinscha­ftspolitik boykottier­t. Wir haben das Parlament mit so vielen Nationalis­ten, die Gemeinscha­ftspolitik boykottier­en werden. Und wir haben die Kommission, die mit so vielen nationalis­tischen Kommissare­n Gemeinscha­ftspolitik boykottier­en wird.

Das ist das Gegenteil von Hoffnung. MENASSE Wir könnten jetzt eigentlich Wetten darüber abschließe­n, ob es die EU in fünf Jahren noch geben wird oder nicht. Wenn es die EU in fünf Jahren noch gibt, dann hat die europäisch­e Idee doch gesiegt. Wenn es die EU in fünf Jahren nicht mehr gibt, dann wird eine solche Misere herrschen, dass die Deutschen murmeln werden, das soll nie wieder geschehen. Dann beginnt alles wieder von vorn, auf der Basis der gemachten Erfahrunge­n. Ich muss fast kotzen bei der Vorstellun­g, wie die Menschen, die die Zerstörung der EU wollten, dann, nach der Misere, beim Neustart zu ihren Opfern sagen werden: Wir haben es auch nicht leicht gehabt!

Sie halten die Gefahr für real, dass die EU untergeht?

MENASSE Ja. Aber bevor nicht alle EU-Beamte in Pension gegangen sind, wird die EU nicht untergehen. Aber sie wird nichts mehr machen (macht eine Pause, seufzt). Manchmal möchte ich nichts anderes sein als ein neurotisch in seinem Zimmer sitzender Autor von Liebesgedi­chten.

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