Die Lust auf deutschen Rotwein schwindet
Die Winzer geraten unter Druck, Erzeuger im Ausland produzieren oftmals günstiger. Einige heimische Sorten liegen aber im Trend.
DÜSSELDORF In vino veritas – im Wein liegt die Wahrheit. Und zu dieser gehört, dass viele Winzer in Deutschland besorgt sind. Steigende Kosten, Wettbewerbsdruck aus dem Ausland und Extremwetterereignisse stellen den heimischen Weinbau vor Probleme. 2023 erhöhten deutsche Winzer den Preis für einen Liter Wein im Durchschnitt um 31 Cent. Die enorm gestiegenen Herstellungskosten konnten aber auch damit nicht kompensiert werden, sagt Ernst Büscher vom Deutschen Weininstitut. Und wenn deutscher Wein zu teuer wird, greifen Verbraucher gerne auch zu Produkten aus anderen Regionen. „Schließlich kann Wein im Ausland aufgrund deutlich niedrigerer Löhne oftmals sehr viel günstiger produziert werden“, sagt der Weinexperte.
Die wirtschaftlichen Herausforderungen treffen Winzer ausgerechnet zu einer Zeit, in der die generelle Nachfrage nach Wein rückläufig ist. Zwischen August 2022 und Juli 2023 wurden knapp drei Prozent weniger Wein als im Vorjahreszeitraum konsumiert, teilt der Deutsche Weinbauverband (DWV) mit. Doch nicht nur in Deutschland stehen Winzer unter Druck: Insgesamt wird mehr Wein hergestellt als getrunken. Nach Angaben der Internationalen Organisation für Rebe und Wein (OIV ) wurden im Jahr 2022 weltweit 258 Millionen Hektoliter Wein produziert. Zugleich lag der globale Weinkonsum bei geschätzten 232 Millionen Hektolitern. Das entspricht einem Überschuss von 25 Millionen Hektoliter.
Die Folgen bekommen auch die deutschen Weinerzeuger zu spüren. Wo ein Überangebot herrscht, haben Erzeuger und Händler mit „einer intensiven Wettbewerbssituation im eigenen Land sowie auf den Exportmärkten“zu kämpfen, sagt Büscher. Zugleich relativiert er: „Eine Überproduktion von Wein in dieser Dimension gibt es schon sehr lange.“Das bestätigt auch
Erik Schweickert. Er ist Professor für Internationale Weinwirtschaft an der Hochschule Geisenheim. Global betrachtet lägen Angebot und Nachfrage beim Weinbau seit vielen Jahren auseinander – nicht ohne Folgen. So sind die weltweiten Rebflächen seit 1995 deutlich von 7,8 Millionen Hektar auf noch 7,3 Millionen Hektar im Jahr 2022 geschrumpft – ein Rückgang um sechs Prozent.
Doch warum schauen die Menschen in Deutschland nicht mehr so tief ins (Wein-)Glas? „Die klassischen Weintrinker werden älter und weniger, während die nachwachsenden Generationen weniger Alkohol trinken“, teilt der DWV mit. Weinwissenschaftler Schweickert führt zudem ein stärkeres Gesundheitsbewusstsein an: Das Glas Wein zum Mittagessen kommt heutzutage sehr viel seltener vor als früher. Hinzu komme, dass Wein kein Grundnahrungs-, sondern ein Genussmittel ist, an dem in Krisen eher gespart werde.
Schwer hat es vor allem der Rotwein, den im Vorjahr weniger Menschen gekauft haben, wie Weinexperte Büscher betont. Nicht für alle Produkte sieht es aber schlecht aus. Im Trend lägen frische und leichtere Weiß- und Roséweine. Und auch die Nachfrage nach alkoholfreien Weinen steige stark an. Noch bewege sich deren Marktanteil am gesamten Markt bei nur rund einem Prozent, sagt Büscher, aber die Kurve steige an. „Im vergangenen Jahr hatten wir hier Absatzzuwächse von 27 Prozent und ein Umsatzwachstum von 54 Prozent“, führt er aus. Der Experte glaubt, dass dieses Segment für die Branche eine wirtschaftlich interessante Alternative werden könnte. „Sie kann damit neue Zielgruppen ansprechen und Menschen auf der alkoholfreien Ebene für Wein begeistern“, sagt der Weinexperte.
Sollte die angespannte Lage auf dem deutschen Weinmarkt anhalten, müsse man trotzdem über eine weitere Verringerung der Flächen nachdenken. Doch so weit will Büscher noch nicht gehen. Er hat Hoffnung auf eine baldige Besserung in der Branche. Wegen der aktuellen Lage werde zwar darüber diskutiert, routinemäßig gerodete Weinberge etwas länger als üblich brachliegen zu lassen, sie aber nicht vollständig aus der Produktion zu nehmen. Um bestehende Weinübermengen kurzfristig vom Markt zu bekommen, könne Wein zudem zu reinem Alkohol destilliert werden. Das passierte in größerem Umfang zuletzt in Frankreich.
Der DWV fordert angesichts der Herausforderungen derweil einen Strukturwandel in der Branche und politische Unterstützung. Diskutiert werden müsse etwa ein europaweiter Anbaustopp sowie sozialverträgliche Ausstiege aus dem Berufsstand. Außerdem müsse die Biodiversität auf gerodeten Flächen langfristig gefördert werden. „Es braucht Lösungen für zukunftsfähige Betriebe, die mehr als nur eine kurzfristige Bereinigung der Lagerbestände sind“, fordert der Verband.