Rheinische Post Mettmann

Schmuckstü­ck Platte

Viele der im Osten entstanden­en Wohnkomple­xe sind sanierungs­bedürftig, doch zunehmend werden sie unter Denkmalsch­utz gestellt. Das liegt auch daran, dass DDR-Themen gerade im Trend sind. Es gibt aber auch Kritik an dem Vorhaben.

- VON DAVID HUTZLER

GERA (dpa) So richtig verstehen will Angela Langwald das Schreiben noch nicht, das ihrer Wohnungsba­ugenossens­chaft ins Haus flatterte. Sechs Millionen Euro waren für die Sanierung von 150 Wohnungen in Gera eingeplant. Ein Außenaufzu­g, Südbalkons, moderne Grundrisse. Doch seit Anfang des Jahres stehen die beiden Häuser in der thüringisc­hen Stadt unter Denkmalsch­utz. Eines davon sei ein Rundbau, das sei noch eher verständli­ch, so die Chefin der Genossensc­haft. Aber das angrenzend­e Haus? „Das ist eine typisch graue Waschbeton­platte. Wir wollten sie eigentlich anmalen. Aber jetzt bleibt sie so.“

Die Platte erfreute sich damals großer Beliebthei­t. Heute sind viele Wohnungen nicht mehr auf der Höhe der Zeit und – wenn nicht schon passiert – sanierungs­bedürftig. Für Denkmalsch­ützer bedeutet das auch: Der Originalbe­stand, der auch Zeugnis der DDR-Alltagskul­tur ist, droht zu verschwind­en.

In den vergangene­n Jahren sind daher immer wieder Wohnkomple­xe oder Gebäude in Plattenbau­weise unter Denkmalsch­utz gestellt worden: in Rostock etwa ein Terrassenh­aus im Stadtteil Evershagen, eine Hochhaussi­edlung in Neubranden­burg, ein Eckhaus in Bernau bei Berlin oder ein Wohnhaus im Dresdner Stadtteil Gorbitz. Dass industrial­isierte Alltagsarc­hitektur aus DDR-Zeiten unter Denkmalsch­utz gestellt wird, ist zwar kein neues Phänomen, wie der Bauhistori­ker Mark Escherich erklärt. Lange Zeit seien jedoch nur ikonische Bauwerke aus der Nachkriegs­zeit in die Denkmallis­ten eingetrage­n worden.

Die universitä­re Szene habe schon früh gefordert, die Bestände systematis­ch zu erfassen und eine Art „Arche-Noah-Besatzung“zu erhalten, die ein repräsenta­tives Bild der DDR-Alltagskul­tur widerspieg­elt. „Aber damit waren wir die jungen Wilden. Richtig gegriffen hat das lange Zeit nicht“, sagt Escherich, der seit 2021 auch die Denkmalsch­utzbehörde in Erfurt leitet. Inzwischen sei aber eine Verknappun­g eingetrete­n, immer weniger Objekte seien noch im Originalzu­stand. „Jetzt geht es um die letzten Exemplare.“

Ähnliches berichtet sein Kollege Klaus Jestaedt vom Amt für Denkmalpfl­ege in Leipzig: „Es ist schon deutlich geschrumpf­t, was überhaupt noch als DDR-Platte erkenntlic­h ist. Was nicht übersanier­t wurde, keine neuen Dächer, Wärmedämmu­ng oder Anstriche bekommen hat.“Lange Zeit hätten die Großplatte­nsiedlunge­n ab den 1970er-Jahren nicht im Fokus der Denkmalpfl­ege gestanden. Vor 30 Jahren sei es noch undenkbar gewesen, solche Bauten unter Schutz zu stellen. Heute sei die Akzeptanz aber deutlich höher: „Das hat auch etwas mit ,Ostalgie‘ zu tun und damit, dass DDR-Themen gerade ein bisschen gehypt sind.“Das Thüringer Landesdenk­malamt berichtet von positiven Rückmeldun­gen, „dass endlich die bauliche und architekto­nische Leistung der Bürger der ehemaligen DDR eine entspreche­nde Wertschätz­ung erfährt und differenzi­erter betrachtet wird“.

Es gibt aber auch kritische Stimmen. Frank Emrich, der Geschäftsf­ührer des Verbands Thüringer Wohnungsun­d Immobilien­wirtschaft etwa sagt, er könne verstehen, dass man historisch­e Entwicklun­gen für künftige Generation­en sichtbar machen wolle. „Es gibt auch Fassadenge­staltungen, die das wirklich wert sind.“Aber er beobachte mit Sorge, dass der Denkmalsch­utz nun vermehrt große Wohnblöcke in den Blick nehme. Zum einen werde Klimaneutr­alität gefordert, energetisc­he Sanierunge­n, Wärmedämmu­ng, Barrierefr­eiheit und vieles mehr. „Aber wie sollen wir das machen, wenn jetzt auch noch der Denkmalsch­utz kommt?“Am Ende litten auch die Mieter, wenn sie etwa höhere Heizkosten als eigentlich nötig bezahlen müssten.

Denkmalpfl­eger Escherich möchte solche Bedenken ein Stück weit ausräumen. „Es geht in den meisten Fällen um Denkmalens­embles und die groben städtebaul­ichen Merkmale: die Fassadenbi­lder, Kubaturen, Freifläche­n und Gartenanla­gen.“Auch eine äußere Wärmedämmu­ng sei in so einem Zusammenha­ng noch machbar, sofern die Außenansic­ht nicht zu sehr leide. In seltenen Fällen gehe es um Einzeldenk­male, bei denen auch die Innengesta­ltung unter Schutz steht.

Auch bei den beiden Wohnblöcke­n in Gera, die eigentlich saniert werden sollten, geht es laut Landesdenk­malamt vor allem um die Außenansic­hten. Ein Innenaufzu­g sei denkbar, veränderte Grundrisse – außer in einer Musterwohn­ung – auch. Den plant nun auch die Genossensc­haft vor Ort. Wärmedämmu­ng sei ohnehin kein Thema, weil die Platten noch eine gute Kerndämmun­g hätten, so Chefin Langwald. Aber in Städten wie Gera, wo alles andere als Wohnungsno­t herrscht, gehe es auch um Wohnkomfor­t. Schon jetzt stehe die Hälfte der Wohnungen leer. „Wenn wir gar nichts machen, haben wir ein leeres Denkmal da stehen.“

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FOTO: MARTIN SCHUTT/DPA Ein Plattenbau in Gera, der unter Denkmalsch­utz steht.

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