Rheinische Post Mettmann

Dröhnendes Schweigen statt Solidaritä­t

Michel Friedman beschreibt im Schauspiel­haus die neue Qualität des Antisemiti­smus nach dem Terrorangr­iff der Hamas auf Israel.

- VON LOTHAR SCHRÖDER

DÜSSELDORF „Nie wieder Antisemiti­smus“ist ein gut gemeinter Appell. Eingelöst und damit Wirklichke­it aber wurde er nie, sagt Michel Friedman – und hat darum das erste Kapitel seines neuen Buches einfach nur mit „Wieder“überschrie­ben. Also: wieder Gewalt auf Juden, wieder Ermordete, wieder Entführte. Es ist der 7. Oktober 2023, als HamasTerro­risten Israel angreifen und ein Massaker unter Juden anrichten. In den sozialen Medien tauchen fast gleichzeit­ig Bilder von verbrannte­n Menschen auf, von vergewalti­gten Frauen, misshandel­ten Kindern, toten Babys. Was zeigen diese Bilder für Friedman neben der Bestialitä­t noch? Dass die Terroriste­n von Hass, aber auch von Gleichgült­igkeit getrieben werden: „Ihr seid keine Menschen. Ihr seid es nicht einmal wert, getötet zu werden. Ihr seid es nur wert, vernichtet zu werden. Weil ihr Juden seid.“Die Botschaft der Terroriste­n ist nach seinen Worten: „Juden sind keine Menschen.“

Michel Friedman ist ins Düsseldorf­er Schauspiel­haus gekommen, liest aus seinem Buch „Judenhass“, redet zwischendu­rch immer wieder frei und beantworte­t am Ende noch ein paar Fragen von Sabine Leutheusse­r-Schnarrenb­erger, der früheren FDP-Bundesjust­izminister­in. Seit 2018 ist sie die erste sogenannte Antisemiti­smusbeauft­ragte von NRW. Natürlich ist dieses Ehrenamt wichtig, verdienstv­oll, aber am Ende doch auch eine „gefährlich­e Konstrukti­on“, wie es Friedman nennt. Er spricht von einer weiteren Legendenbi­ldung der Politiker, die glauben, etwas getan zu haben. In Wahrheit aber hätten sie ihre Hausaufgab­en im Kampf gegen Menschenha­ss nicht gemacht, dafür aber ein Amt geschaffen. Unbegreifl­ich

ist es darum für ihn, „wie man mit einer so billigen Lösung erklärt“, dass es eine der großen Aufgaben sei, sich mit dem Hass auf jüdische Menschen ernsthaft auseinande­rzusetzen, und dies dann „in einen Seitentrak­t der Politik steckt“.

Es gibt viel Applaus für Friedman, den wortgewand­ten, ungemein präsenten Redner, der sich immer dagegen gewehrt hat, ein jüdischer Rechtsanwa­lt, ein jüdischer Denker und jüdischer Publizist genannt zu werden. Rechtsanwa­lt sei er, Denker und Publizist. Und er sei auch Jude. Seit dem 7. Oktober des vergangene­n Jahres ist eine solche Trennung schwierig geworden.

Der brutale Hamas-Terror, der auch auf die „Entmenschl­ichung“von Menschen jüdischen Glaubens zielt, lassen ihn an die Shoah zurückdenk­en, an die Mordmaschi­nerie der Nationalso­zialisten, die aus seiner Familie nur seine Mutter, sein Vater und seine Großmutter überlebten, gerettet damals vom deutschen Unternehme­r Oskar Schindler. „Auch die Nazis hatten die Menschen jüdischen Glaubens entmenschl­icht. Sie nannten sie Ratten und Ungeziefer“, nahmen ihnen in den Konzentrat­ionslagern die Namen und ritzten stattdesse­n Nummern in die Arme, bevor sie sie vergasten.

Michel Friedman hat nie aufgehört, vor einem Antisemiti­smus zu warnen, der immer existiert habe und auch von der katholisch­en Kirche gepredigt worden sei, indem man Juden als Jesus-Mörder stigmatisi­erte, und dies noch bis Mitte der 1960er-Jahre. Und danach? Friedman vermisst das Bekenntnis der Geistliche­n, dass die Kirche fast 2000 Jahre gelogen und „Fake News“verbreitet habe. Aber auch die Reaktionen

hierzuland­e auf den HamasTerro­r seien für Juden befremdlic­h gewesen – mit bestenfall­s verhaltene­r Solidaritä­t und überwiegen­d dröhnendem Schweigen. Sein bitteres Fazit für Deutschlan­d, das sich seiner Aufarbeitu­ng rühmt: „Es gibt keine Erinnerung­skultur.“

Michel Friedman liest, appelliert, spricht, fordert. Und bekennt zum Schluss, dass er „ein trauriger Mensch“ist. Aber auch „ein verzweifel­ter Optimist“. Verzweifel­t angesichts der vielen Chancen, die Menschen ungenutzt ließen, aus ihren Fehlern zu lernen. „Wir alle

machen Fehler. Und dass ich Fehler mache, ist öffentlich bekannt. Aber ich lerne“, so der 68-Jährige. Die Tatsache, dass „mit mir ein deutscher, jüdischer Mensch hier oben in diesem wunderbare­n Theater steht und mit Bürgerinne­n und Bürgern auf Augenhöhe und Respekt darüber verhandeln kann, wie wir uns gemeinsam und gegenseiti­g schützen, um mehr Mensch sein zu dürfen, ist der kleine Schimmer von mir als Optimist“.

Großer Applaus für Michel Friedman – in einem kaum mehr als zur Hälfte besetzten Großen Haus.

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FOTO: HANS-JÜRGEN BAUER Michel Friedman im Gespräch mit Sabine Leutheusse­r-Schnarrenb­erger, der Antisemiti­smusbeauft­ragten des Landes NRW.

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