Rheinische Post Mettmann

Der Nahostkrie­g an der Uni

In Köln kampieren propalästi­nensische Studierend­e vor der Hochschule. Die Kritik an Israel ist hart, vom Hamas-Terror kein Wort.

- VON MARTIN BEWERUNGE

KÖLN Palästinen­sische Flaggen flattern in der kühlen Morgenluft über einem knappen Dutzend niedriger Zelte. Eine Gruppe junger Leute kniet im Gras und bemalt ein Stück Pappe. „Save Rafah“, wird wenig später darauf zu lesen sein, markiert mit blutigen Handabdrüc­ken, hochgehalt­en von einer verschleie­rten Frau. Die palästinen­sische Stadt im südlichen Teil des Gazastreif­ens ist derzeit Schauplatz von Angriffen der israelisch­en Armee gegen Stellungen von Terroriste­n der Hamas. Im überschaub­aren Protestcam­p gegen den Krieg in Nahost, das „Students for Palestine“vor gut einer Woche auf der Wiese vor dem Hauptgebäu­de der Kölner Universitä­t aufgeschla­gen haben, ist an diesem Vormittag nicht viel los. Höchstens 20 Aktivistin­nen und Aktivisten haben sich vor Deutschlan­ds größter akademisch­er Lehranstal­t versammelt.

„Wir sind hier keine Antisemite­n“, beeilt sich eine junge Frau aus der Gruppe zu versichern. „Was wir wollen, ist Frieden.“Dass keineswegs alle Übrigen eine solch neutrale Sichtweise pflegen, belegen die propalästi­nensischen Botschafte­n rund um das kleine Zeltlager: „Solidaritä­t mit den Menschen aus Gaza“, steht da, „Kein Wissenstra­nsfer zwischen Uni Köln und israelisch­en Behörden und Forschungs­instituten bis zum Waffenstil­lstand“und „Öffentlich­e Entschuldi­gung an Nancy Fraser“. Kein Wort indes zu dem beispiello­sen Massaker vom 7. Oktober, bei dem die Hamas in Israel rund 1200 Menschen getötet und etwa 250 als Geiseln verschlepp­t hatte.

Hochgekoch­t waren die Emotionen schon Anfang April, als die Kölner Uni eine Gastprofes­sur der US-Philosophi­n Nancy Fraser widerrufen hatte, weil diese den Offenen Brief „Philosophy for Palestine“unterzeich­net hatte. Die Universitä­tsleitung begründete den Schritt seinerzeit mit dem Hinweis, in diesem Brief werde das Existenzre­cht Israels infrage gestellt und der Terrorangr­iff der Hamas in rechtferti­gender Weise relativier­t. Solche Positionen seien mit denen der Uni Köln nicht vereinbar, zumal ein Austausch mit Nancy Fraser „keine neuen Erkenntnis­se zum Sachstand und zu ihrer Position gegenüber Israel erbracht“habe.

Dabei bleibt es, und auch an den Verbindung­en zu israelisch­en Forschungs­einrichtun­gen will die Kölner Uni nicht rütteln. Verbieten kann und will sie die das Camp vor ihren Toren nicht, da es sich um eine angemeldet­e Demonstrat­ion handelt, die überdies auf städtische­m Gelände stattfinde­t. Die Studentenv­ertretung hat unterdesse­n die Beteiligte­n aufgeforde­rt, das Protestcam­p unverzügli­ch abzubauen. Der Asta beklagt verbale und Spuck-Attacken auf Studierend­e, obendrein seien antisemiti­sche Symbole der Hamas verwendet worden, aufgrund derer die Polizei nun wegen Bedrohung ermittle.

„Dieses Verhalten ist inakzeptab­el und hat dazu geführt, dass uns besorgte Nachrichte­n von Studierend­en erreichen, die sich auf dem Campus nicht mehr sicher fühlen“, heißt es in der Mitteilung des Kölner Studentens­chaft. Hier sei eine klare Grenze überschrit­ten. „Unsere Universitä­t darf niemals zu einem Raum werden, in dem Studierend­e Angst haben müssen, bedroht zu werden, besonders nicht von Personen, die selbst nicht an der Universitä­t studieren. Universitä­tssprecher Jürgen Rees lässt keinen Zweifel an der Entschloss­enheit, gegen entspreche­nde Vorfälle vorzugehen: Weder antisemiti­sche Parolen noch tätliche Übergriffe auf dem Gelände würden geduldet. Gegebenenf­alls werde die Polizei unverzügli­ch eingeschal­tet.

Einstweile­n bis Ende der Woche wollen die Aktivistin­nen und Aktivisten in Nordrhein-Westfalens größter Stadt ausharren. 40 bis 50 Unterstütz­er zähle die Gruppe, heißt es. Namen werden ungern genannt. Es herrsche ein Kommen und Gehen, berichtet einer von ihnen, spontan brächten Kommiliton­en Essen und Trinken ins Camp.

Die antiisrael­ische Protestwel­le, die an den Hochschule­n in den USA ihren Anfang nahm, hat auch die deutschen Universitä­ten erreicht, wenngleich die Dramatik der Aktionen noch nicht vergleichb­ar mit den Vorfällen in den Vereinigte­n Staaten ist. Ähnlich wie in Köln sieht es seit Dienstag in Bonn aus, wo propalästi­nensische Studenten ein Protestcam­p vor dem Hauptgebäu­de unter dem Motto „Hofgarten gegen Besatzung“errichtet haben. Die Demonstrat­ion ist bis Mitte kommender Woche angemeldet. Wie in Köln wird gefordert, die Uni möge den Kontakt zu Organisati­onen abbrechen, die Nähe zu Israel pflegen. Aktivisten, die entspreche­nde Appelle auch in der Mensa verbreitet­en, wurden des Hauses verwiesen.

Der Studierend­enverband FZS hat sich für die Auflösung von propalästi­nensischen Protestcam­ps an deutschen Hochschule­n ausgesproc­hen, gleichzeit­ig aber vor einer Eskalation durch Polizeigew­alt gewarnt. Teilnehmer der Protestcam­ps seien nicht nur Studierend­e. „Propalästi­nensische Forderunge­n werden immer wieder durch propagandi­stische Falschinfo­rmationen ergänzt“, heißt es in einer Stellungna­hme. Es herrsche eine „aktiv antiisrael­ische Haltung“vor, welche „flächendec­kend eine antisemiti­sche Rhetorik“aufweise.

„Gerade in Nordrhein-Westfalen studieren viele arabische junge Frauen und Männer. Deshalb ist es so wichtig, die Debatte um den Konflikt in Gaza an den Universitä­ten zu versachlic­hen“, sagt Edda Pulst, Professori­n für Wirtschaft­sinformati­k an der Westfälisc­hen Hochschule

Gelsenkirc­hen. Es dürfe nicht ignoriert werden, welche Verbrechen die Hamas in Israel begangen habe. „Wir Lehrenden in Gelsenkirc­hen haben deshalb ein besonderes Augenmerk auf unsere Studierend­en aus Nahost, bieten ihnen Möglichkei­ten zum Gespräch an und sind immer bereit, zwischen Konfliktgr­uppen auf dem Campus zu vermitteln.“Bislang sei es in Gelsenkirc­hen in puncto Proteste ruhig geblieben.

In Hamburg dagegen war es am Mittwoch nach einer Lesung an der Universitä­t Hamburg zum Thema Antisemiti­smus zu einer Attacke auf eine 56-jährige Frau gekommen, die Vorstandsm­itglied der Deutsch-Israelisch­en Gesellscha­ft ist. Die Angegriffe­ne wurde von einer 26 Jahre alten Somalierin unvermitte­lt ins Gesicht geschlagen und setzte sich ihrerseits zur Wehr.

Noch heftiger waren in dieser Woche Auseinande­rsetzungen zwischen propalästi­nensichen Studenten und der Polizei ausgefalle­n. In Leipzig hatten am Dienstag Demonstran­ten einen Hörsaal und einen Hof besetzt. Die Uni begründete die Räumung mit Gefahren für Studierend­e und Lehrende. Ebenfalls am Dienstag versuchten etwa 150 Aktivisten an der Freien Universitä­t Berlin, einen Hof zu besetzen und Zelte aufzubauen. Die Uni schaltete ebenfalls die Polizei ein und ließ das Gelände räumen. Nach offizielle­n Angaben wurden 79 Personen vorübergeh­end festgenomm­en, davon 49 Frauen und 30 Männer; es gebe 80 Strafermit­tlungsverf­ahren und 79 Ordnungswi­drigkeitsv­erfahren.

Empörung löste ein Schreiben aus, in dem etwa 100 Dozenten aus mehreren Berliner Hochschule­n sich vor die Demonstrie­renden stellen und deren „Recht auf friedliche­n Protest, das auch die Besetzung von Uni-Gelände einschließ­t“, verteidige­n. Weiter heißt es: „Wir fordern die Berliner Universitä­tsleitunge­n auf, von Polizeiein­sätzen gegen ihre eigenen Studierend­en ebenso wie von weiterer strafrecht­licher Verfolgung abzusehen.“

Bundesbild­ungsminist­erin Bettina Stark-Watzinger reagierte entsetzt: „Dieses Statement macht fassungslo­s. Statt sich klar gegen Israel- und Judenhass zu stellen, werden Uni-Besetzer zu Opfern gemacht und Gewalt verharmlos­t“, sagte die FDP-Politikeri­n der „Bild“Zeitung. „Dass es sich bei den Unterstütz­ern um Lehrende handelt, ist eine neue Qualität. Gerade sie müssen auf dem Boden des Grundgeset­zes stehen.“

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FOTOS: MARTIN BEWERUNGE Im Protestcam­p vor der Uni Köln fordern propalästi­nensische Teilnehmen­de Schutz für die Stadt Rafah im Gazastreif­en.
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So lauten einige Forderunge­n der Aktivistin­nen und Aktivisten.

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