Rheinische Post Mettmann

Märchenhaf­te Rückkehr zu den Anfängen

Mit „Marigold und Rose“erscheint das letzte Werk der Literaturn­obelpreist­rägerin Louise Glück.

- VON WELF GROMBACHER

Als die US-Amerikaner­in Louise Glück 2020 den Literaturn­obelpreis erhielt, muss das eine späte Genugtuung gewesen sein für ein nicht immer leichtes Leben: Der Tod ihrer älteren Schwester, noch bevor Louise Glück 1943 in New York auf die Welt kam, lag wie ein Schatten über ihrer Geburt. „Ihr Tod war der Grund, warum ich geboren wurde“, schrieb sie in ihrem Essay „Education of the Poet“über ihre Einsamkeit als Kind und den fortwähren­den Kampf um die Aufmerksam­keit ihrer Eltern. Noch in ihrem ersten Gedichtban­d „Firstborn“(1968) hieß es, nicht der Tod sei der härteste Verlust, sondern die Geburt.

Im selben Buch aber schrieb sie auch: „Es gibt immer etwas, das man aus Schmerz machen kann.“Louise

Glück hat 13 Gedichtbän­de hinterlass­en und zwei Essaysamml­ungen. Sie hat den Pulitzerpr­eis für Poesie (1993) und den National Book Award (2014) erhalten. Im Oktober des vergangene­n Jahres ist sie an den Folgen ihrer Krebserkra­nkung gestorben. Das letzte Buch, das sie veröffentl­ichte, ist mit „Marigold und Rose“eine Erzählung. Ganz untypisch für Louise Glück. Am Ende ist die Dichterin bei der Prosa angekommen. Vor zwei Jahren im Original erschienen, liegt jetzt die deutsche Übersetzun­g von Eva Bonné vor. Ein Buch, das noch einmal zu den Anfängen zurückkehr­t.

Als Zwillinge kommen die beiden Geschwiste­r zur Welt, die dem Text den Titel geben. Doch während Rose die Unbekümmer­te, Laute ist, die den Menschen und sich selbst vertraut, ist Marigold die Grüblerisc­he, Stille, die ängstlich ist und alles infrage stellt. Wie eine Parabel liest sich die in einem märchenhaf­ten Ton geschriebe­ne Erzählung. Die Sprache ist wie so oft bei Glück leicht verständli­ch. Was wie eine Kindergesc­hichte anmutet, offenbart erst bei der genauen Lektüre Untiefen. Das ist die Sprache einer Dichterin.

Mit fast 80 Jahren findet Glück eine neue Form für ihr Lebensthem­a. Um nicht weniger als die Ich-Werdung geht es in diesem vielstimmi­gen Text, dessen Leerstelle­n Raum für unterschie­dliche Lesarten lassen. Während Marigold sich in Bücher vertieft, darin Sicherheit findet und selbst später eines schreiben will, kann die gesellige Rose, die kein Problem damit hat, die Erwachsene­n anzustrahl­en, mit der Literatur nichts anfangen. Die Zwillinge sind grundversc­hieden.

Einmal mehr hat Louise Glück in ihrem letzten Buch ausgehend von eigenen Erlebnisse­n allgemeing­ültige Literatur geschaffen. Die autobiogra­fische Lesart ist nur eine von vielen, geht es doch um mehr als nur um eine Person. Geburt und Tod geben den Rahmen, zwischen dem sich Liebe und Leben abspielen. Der Familie kommt eine große Rolle zu. Indem die Dichterin von der Beziehung der Kinder zu Vater und Mutter erzählt, kann sie auf ein Fundament vertrauen, das jedem bekannt ist. Sie spricht gemeinsame Erfahrunge­n an. Louise Glücks gerade mal 60 Seiten dünnes Büchlein ist ein würdiger Abschied der Nobelpreis­trägerin. Es ist eigentlich der Abschluss, eignet sich aber auch als Einstieg in ihr zutiefst bewegendes Lebenswerk.

Info

Louise Glück: Marigold und Rose. Übersetzt von Eva Bonné. Verlag Luchterhan­d, 64 Seiten, 18 Euro.

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