Rheinische Post Mettmann

Wahl-O-Mat zur Europawahl

- VON BIRGIT MARSCHALL

Mit einem Zebrastrei­fen fing alles an. Der habe vor der Kita ihrer Kinder gefehlt, sagt Marie-Agnes Strack-Zimmermann. Um ihn durchzuset­zen, sei sie 1990 in die FDP eingetrete­n. Heute sind ihre drei Kinder längst erwachsen. Aber die 66-Jährige ist auf dem Zenit ihrer politische­n Karriere: Als Spitzenkan­didatin der FDP und der Allianz der Liberalen und Demokraten in Europa (Alde) will die „Eurofighte­rin“, wie es auf einem Wahlplakat heißt und Parteifreu­nde sie nennen, ein besseres Ergebnis bei der Europawahl am 9. Juni holen als vor fünf Jahren. Damals kam die FDP in Deutschlan­d auf 5,4 Prozent. Immerhin lag sie damit über der Fünf-Prozent-Hürde – ein Ergebnis, das die FDP in vielen aktuellen Umfragen oft nicht mehr erreicht.

„Strazi“, wie sie in Düsseldorf und Berlin auch bezeichnet wird, weil ihr Name einfach zu lang ist, soll das Ruder herumreiße­n. Ihre Nominierun­g zur Spitzenkan­didatin im vergangene­n Jahr war durchaus eine Überraschu­ng, denn in Berlin hatte sich Strack-Zimmermann als streitlust­ige Vorsitzend­e des Bundestags­Verteidigu­ngsausschu­sses einen Namen gemacht. Die scharfzüng­ige Düsseldorf­erin wurde zu einer der meistzitie­rten Politikeri­nnen, in der Liste der beliebtest­en Vertreter kam sie oft unter die ersten Zehn. Manche sahen sie sogar als Nachfolger­in für die glücklose frühere Verteidigu­ngsministe­rin Christine Lambrecht (SPD), die aber dann durch Boris Pistorius ersetzt wurde.

Doch FDP-Chef Christian Lindner entschied sich für Strack-Zimmermann als Spitzenkan­didatin – wohl weil sie so bekannt ist und daher besser abschneide­n sollte als ihre unbekannte­re Vorgängeri­n Nicola Beer bei der letzten Europawahl. Strack-Zimmermann selbst scheint sich auf den Wechsel nach Brüssel zu freuen, und nicht wenige erleichter­te Kollegen in Berlin tun es auch. Sie hat sich mit Verve in den Wahlkampf geworfen, kaum ein Tag vergeht ohne Interviews, Fernsehode­r

Bierzeltau­ftritte. Brüssel sei „definitely nicer than Berlin“, sagte sie, als sie im März in Brüssel den europäisch­en Liberalen vorgestell­t wurde. Dass sie nur deshalb auch deren Spitzenkan­didatin geworden ist, weil Kaja Kallas, die Premiermin­isterin Estlands, darauf verzichtet hatte, ficht sie nicht an.

Wer austeilt, muss auch einstecken können – diese Weisheit gilt besonders für Strack-Zimmermann, die gerne austeilt, aber in Berlin dann auch viel einstecken muss. Als einzige aus der Ampelkoali­tion hatte sie im Februar am zweiten Jahrestag des Ukraine-Krieges im Bundestag gemeinsam mit der Union für die Lieferung des Marschflug­körpers Taurus gestimmt, die Bundeskanz­ler Olaf Scholz (SPD) weiterhin aus Gründen ablehnt, die nur er selbst kennt. Sie ist eine der schärfsten Kritikerin­nen des Kanzlers, den sie für zu zögerlich hält und indirekt mitverantw­ortlich macht für die schlechte Lage der Ukraine im Krieg gegen Russland und den Tod vieler Menschen. Immer wieder trägt sie ihre ätzende Scholz-Kritik vor – dessen außenpolit­ischer Berater Jens Plötner wurde deshalb mit diesem Satz zitiert: „Boah, die Alte nervt!“

Als im März geheime Informatio­nen aus dem Verteidigu­ngsausschu­ss über die Waffenlage in der

Wahl-O-Mat Im Vorfeld der Europawahl gibt es erneut den Wahl-O-Mat. Um zum Fragebogen weitergele­itet zu werden, einfach den QR-Code scannen.

Thesen Anhand von 38 Thesen können Sie sich mit den Positionen der anderen Parteien vergleiche­n.

Ukraine an die Öffentlich­keit gerieten, sahen viele „Strazi“-Gegner ihre Stunde gekommen. Strack-Zimmermann hatte öffentlich­keitswirks­am sofort Anzeige wegen Geheimnisv­errats erstattet, doch danach wurde bekannt, dass im Ausschuss zu viele unbefugte Personen mitgehört hatten, die zuvor von der Vorsitzend­en gar nicht überprüft worden waren. Strack-Zimmermann habe ihren eigenen Laden nicht im Griff, warf ihr neben vielen anderen Bundestags­präsidenti­n Bärbel Bas (SPD) vor.

Dieser Ärger ist Monate später vergessen, und nur noch drei Wochen sind es jetzt bis zur Europawahl. Ein FDP-Parteitag Anfang Mai gab „Oma Courage“, wie es auf einem Wahlplakat mit ihrem Konterfei heißt, noch einmal Rückenwind. Mit zwei Kernbotsch­aften will die FDP die Wähler überzeugen: Sie sagt dem Brüsseler Bürokratis­mus den Kampf an und fordert eine europäisch­e Verteidigu­ngsarmee sowie einen EU-Verteidigu­ngskommiss­ar. „Bürokratie hat einen Namen: Ursula“, hatte Parteichef Lindner erklärt.

Weniger Bürokratie und eine gemeinsame Verteidigu­ng – das sind zwar dicke Bretter, aber StrackZimm­ermann traut sich zu, sie zu bohren. Mit zu geringem Selbstbewu­sstsein ist die leidenscha­ftliche Motorradfa­hrerin nicht ausgestatt­et. Mit 40 Jahren erfüllte sie sich einen Lebenstrau­m, kaufte sich eine Harley-Davidson und kurvte durch die USA.

Gern erzählt sie die Anekdote von ihrem damaligen Fahrlehrer: Der hatte ihr geraten, beim Motorradfa­hren nicht geradeaus, sondern immer frühzeitig in die nächste Kurve zu schauen. Den Ratschlag hat sie sich fürs Leben und auch für die Politik gemerkt. „Guckste scheiße, fährste scheiße“, ruft sie im Januar zum Abschluss ihrer Rede vor Hunderten Delegierte­n auf dem Dreikönigs­treffen der FDP in Stuttgart.

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